Hauptrubrik
Banner Full-Size

Guter Musikunterricht sucht immer Begegnungen

Untertitel
nmz-Interview mit Markus Köhler, Vorsitzender des vbs und stellvertretender Vorsitzender des VDS
Publikationsdatum
Body

Markus Köhler ist seit Ende der achtziger Jahre für den Verband Bayerischer Schulmusiker (vbs) tätig. Nach verschiedenen Stationen ist er seit 1995 Vorsitzender des vbs und seit 2004 Stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Deutscher Schulmusiker (VDS). Seit 1994 im Schuldienst unterrichtet er seit 2003 als Oberstudienrat am Gymnasium bei St. Anna, einem sprachlich-humanistischen Gymnasium in Augsburg. Anlässlich der 27. Bundesschulmusikwoche des VDS in Stuttgart, die unter dem Titel „Begegnungen – Musik, Regionen, Kulturen“ vom 17. bis 20. September in Stuttgart stattfindet, traf er sich mit Andreas Kolb, Chefredakteur der neuen musikzeitung, zum Gespräch.

neue musikzeitung: Markus Köhler, erzählen Sie unseren Lesern, vielleicht auch gerade den jüngeren unter ihnen, die sich noch mit dem Gedanken auseinandersetzen, Schulmusiker zu werden, wie Ihr persönlicher Weg an die Schule war?

Markus Köhler: Mein Weg zum Schulmusiker ist wohl eher untypisch, da ich nicht aus musikalischen Traditionen stamme. Meine Eltern hatten zwar beide während ihrer Schulzeit Klavierunterricht und wollten immer, dass auch ich ein Instrument lerne, aber ich weigerte mich erfolgreich mit jugendlichem Trotz. Nur in der fünften Klasse hatte ich einige Monate Geigenunterricht, also instrumentalen Gruppenunterricht, alle zwei Wochen, vier Schüler in einer halben Stunde am Freitag nachmittag.

nmz: Das heißt, man kann auch im Gruppenunterricht etwas lernen?

Köhler: Sicher. Aber ich schob das Gan­ze schnell wieder beiseite. Ich wollte unbedingt Lehrer werden und dachte mir während meiner Schulzeit mehrere Wunsch-Kombinationen aus, Deutsch und Englisch, Latein und Französisch, Physik und Geographie oder am liebsten etwas mit Mathematik oder Geschichte, meine beiden Leistungskurse. Von Musik war da noch nicht die Rede. Letztlich entschied ich mich für Mathematik und katholische Religionslehre. Nach meinem ersten Semester (WS 1983/84) sagte man uns, dass für Mathematiklehrer überhaupt kein Bedarf im Schuldienst bestehe und man empfahl dringend, den Studiengang zu wechseln. Für das gymnasiale Lehramt gab es nur drei so genannte Mangelfächer: Sport weiblich, evangelische Religionslehre und eben Musik. Da fielen für mich gleich zwei Fächer automatisch weg. Dann machst du halt Musik, sagte ich mir. Ich setzte mich zweieinhalb Jahre hin und übte meine Instrumente.

nmz: Welches waren Ihre Instrumente?

Köhler: Als Hauptfach Klavier, als Nebenfach Geige. Vielleicht ist es auch eine Chance, wenn man erst so spät zu einem Fach wie Musik, insbesondere zum Erlernen eines Instruments kommt, weil man vielleicht eher Verständnis für die Schwierigkeiten von Schülern entwickeln kann, die nicht von früher Kindheit an privaten Musikunterricht genießen. Die Begriffsbeschreibung „musikalisch – unmusikalisch“ gibt es für mich jedenfalls nicht. 

nmz: Was unterrichten Sie? 

Köhler: Zu zwei Dritteln besteht meine Tätigkeit, das sind 29 Wochenstunden, aus dem normalen Klassenunterricht, von der fünften Klasse bis hin zum Grund- beziehungsweise Leistungskurs. Daneben läuft Wahlunterricht ab: An meiner Schule betreue ich den Geigenunterricht und leite das Orchester mit zirka 70 Schülern.

nmz: Wie kam denn der Kontakt zum vbs zustande?

Köhler: Bei meinem studienbegleitenden Praktikum lernte ich 1988 Helmut F. Graetz kennen, damals stellvertretender Vorsitzender des vbs. Der vbs suchte unter den Studenten einen Ansprechpartner vor Ort für die Planung der Tage der Bayerischen Schulmusik 1989. Das hat mir sofort zugesagt.

nmz: Wie ging es weiter?

Köhler: Anfang 1989 kam es im kulturpolitischen Ausschuss des Bayerischen Landtags zu einer Anhörung bezüglich einer Entscheidung zur Einführung des Vorrückungsfaches Musik. Die Mehrheitsfraktion wollte allerdings von einem Vorrückungsfach Musik nichts wissen. Ich erinnere mich noch, wie wir zu dritt bei Schneetreiben in den Landtag marschierten: Alexander Suder, Präsident des Bayerischen Musikrats, der stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes, Bernhard Heinloth und ich als Vertreter des vbs. Ich versuchte, vor allem die jüngeren Abgeordneten davon zu überzeugen, dass Musik unbedingt Vorrückungsfach werden muss.

Am Ende gab es eine wahre Kampfabstimmung im Ausschuss: Es wurde mit einer Stimme Mehrheit beschlossen, dass das Fach Musik wenigstens in der neunten und elften Klasse Vorrückungsfach werden sollte. Dieser Erfolg war für mich ein gewaltiger Anstoß, mich auch zukünftig für die Interessen der Schulmusik einzusetzen. Von da an betreute ich die Studenten, später die Referendare und wurde 1991 zum Kassenführer des vbs gewählt. Als 1993 Helmut F. Graetz aus dem vbs-Vorstand ausschied, übernahm ich die Geschäftsstelle und 1995 nach Wilhelm Lehr den Vorsitz.

nmz: … und wieder wurden Sie 2003 mit dem Versetzungsfach konfrontiert.

Köhler: Seit damals sind auch die Jahrgangsstufen sieben und acht in das Vorrückungsfach einbezogen, was über die Jahre immer wieder viele Anstrengungen erforderte.

nmz: Das Thema der Bundesschulmusikwoche in Stuttgart 2008 heißt „Begegnungen – Musik, Regionen, Kulturen“: Was verbirgt sich hinter diesen vier Begriffen?

Köhler: Es gibt wohl nur wenige Begriffe, die so gut zur Schulmusik passen wie „Begegnungen“. Begegnung ist ja selbst ein immanenter Bestandteil von Musik. Musik ermöglicht Begegnungen, erleichtert sie, begleitet sie, auch dann, wenn man nur im stillen Kämmerlein für sich übt. Begegnungen in der Musik bedeuten auch: Unterschiedliche Musikrichtungen begegnen sich, ältere Schüler begegnen jüngeren, instrumentale trifft vokale Musik, die Klassik trifft auf die Moderne, E-Musik auf U-Musik, Bigband auf Orchester. Ein guter Musikunterricht muss zusätzlich über sich selbst hinausgehen, also Begegnungen mit anderen Fächern müssen gesucht und gefunden werden.

nmz: Was versteht der VDS unter dem Thema Regionen?

Köhler: Die Regionen sind für die Bundesschulmusikwoche wichtig, weil Lehrer aus ganz Deutschland kommen und die schulmusikalische Landschaft regional unterschiedlich geprägt ist – entsprechend den politisch-gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen. Ostdeutsche Bundesländer haben andere Probleme als westdeutsche, die Musiktraditionen in Süddeutschland sind anders als die in Norddeutschland. Das muss man beim Angebot einer so großen Fortbildungsveranstaltung berücksichtigen, auch bei der Frage, welche Ensembles und Referenten eingeladen werden sollen. Außerdem entwickeln sich an den Hochschulen unterschiedliche Forschungsansätze.

nmz: Sie bleiben nicht auf der Länder-ebene stehen?

Köhler: Es nehmen auch Teilnehmer und Referenten aus dem europäischen Ausland, besonders aus Österreich und der Schweiz teil. Wir arbeiten mit der European Association of School Music (EAS) und der Arge-Nord zusammen.  Nochmals abschließend: Die Begegnungen sollen ein Bewusstsein für unterschiedliche Kulturen schaffen. Musik ist keine singuläre Erscheinung, sie ist in das gesamte kulturelle Leben mit eingebunden.

nmz: Der vbs versteht sich heute nicht länger als ein Verband nur für Gymnasiallehrer?

Köhler: Schon seit vielen Jahren hat sich der vbs auch anderen Schularten geöffnet. Die meisten Mitglieder stammen zwar auch heute noch aus dem gymnasialen Schuldienst, aber wir haben etwa 100 Kollegen aus dem Realschulbereich und auch Mitglieder aus Grund-, Volks-, Haupt- und den Hochschulen. Es ist auch ein wesentlicher Unterschied zu früher, dass sich die heutige Verbandsarbeit anderen Verbänden gegenüber viel aufgeschlossener zeigt.

nmz: Was wäre ein gutes Beispiel einer Kooperation?

Köhler: Auf der kulturpolitischen Ebene ist das seit 1978 der Bayerische Musikrat. Wir arbeiten zudem sehr erfolgreich mit dem Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) zusammen – zum Beispiel bei der Planung der Tage der Bayerischen Schulmusik 2009 –, des Weiteren mit dem Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen und mit anderen bayerischen Lehrerverbänden, etwa dem Realschullehrer- oder dem Philologenverband.

nmz: Derzeit arbeitet der Bayerische Musikrat an einem Entwurf für einen neuen Musikplan. Was sind die Positio­nen des vbs?

Köhler: Wichtig ist, dass man bereits vom ersten Musikplan an die Schlüsselrolle der Schulmusik erkannt hat. Nur durch sie können alle Menschen mit Musik in Verbindung kommen. Ich behaupte sogar: Wenn es der Schulmusik schlecht geht, werden alle anderen musikalischen Bereiche mit in die Krise gezogen – Musikschulen, Kirchenmusik, das Konzertwesen. Insofern ist es erfreulich, dass die musikpädagogische Arbeit, aber auch die Schulmusik im neuen Bayerischen Musikplan eine zentrale Rolle einnimmt. Eines der Hauptthemen ist die Gleichstellung der Unterrichtspflichtzeit. Dass ein Musiklehrer vier Stunden mehr unterrichtet, ist schon längst nicht mehr akzeptabel. Der Musikplan sieht vor, weiterhin den Instrumental- und Wahlunterricht zu stärken und für das Fach Musik sowohl Intensivierungsstunden als auch Abiturmöglichkeiten verstärkt einzurichten. 

nmz: Intensivierungsstunden, ein baye­risches Phänomen?

Köhler: Die Intensivierungsstunden sind ein typisch bayerisches Phänomen. Sie sind bei der Einführung der G8 entwickelt worden, um Schüler zusätzlich zu fördern – die Begabten, aber auch die Schüler, die in irgendwelchen Fächern besondere Defizite haben. Die­se Fördermaßnahmen sollen in jedem Fach durchgeführt werden.

nmz: In einem nmz-Interview im Jahr 2002 sprachen Sie von einem starken Rückgang der Studierenden, vom mangelnden Einstellungskontingent. Wollen heute wieder mehr junge Menschen Schulmusik studieren, sind die Aussichten heute besser?

Köhler: Die Einstellungssituation hat sich in den letzten fünf Jahren leider gewaltig verschlechtert. Die Gründe sind vielfältig: das liegt am Februar­seminartermin – in der Mitte des Schuljahres – und dem Lehrermangel in anderen Fächern, insgesamt fallen weniger Musikstunden an. Es gibt weniger Wahlunterricht, es liegt zukünftig sicher auch am G8 – Wegfall der Leistungskurse – , es gibt einen verstärkten Zustrom von Bewerbern aus anderen Bundesländern, die über ein zweites Fach verfügen. Momentan sind 27 Referendare im Zweigschuleinsatz. In den letzten Jahren waren es noch über 40.

nmz: Ist das ein Alarmzeichen?

Köhler: Ich fände es schön, und dass betrifft jetzt nicht nur die Musik, wenn es gelingen würde, einen einigermaßen regelmäßigen, sinnvollen Einstellungskorridor über die Jahre hinweg zu schaffen. Sehen Sie sich mein Beispiel an: Als man mir 1983/84 sagte, dass ich nicht Mathematik studieren soll. Heute ist Mathematik das Mangelfach par excellence. Und ich habe noch über 20 Berufsjahre vor mir. Insofern besteht da eine Diskrepanz.

nmz: Sie haben 2002 in einem nmz-Beitrag bezüglich der Ausbildung von Pädagogen an der Musikhochschule einen Paradigmenwechsel gefordert. Wie stellt sich die Situation heute dar?

Köhler: Damals war der Ausgangspunkt: es wird bei der Ausbildung an der Schulrealität vorbei produziert. Für eine wirklich künstlerische Ausbildung gibt es in der Schule keinen hohen Bedarf. Ich hoffe weiterhin, dass man in den Hochschulen in Bayern von einer starken künstlerischen Ausbildung weggeht und schulrelevantere Inhalte betont. Erste Ansätze zeigen sich ja.

Zum Thema Ausbildung des Schulmusikers möchte ich noch einen ärgerlichen Punkt erwähnen: Vor längerer Zeit wurde durchgesetzt, dass der baye­rische Gymnasiallehrer ein zweites Fach haben kann. Doch die Umsetzung dieses Beschlusses dauert mir einfach viel zu lange. Ich finde es wichtig, dass die Schulmusiker noch in einem anderen Fach eingesetzt werden können. Wenn ich richtig informiert bin, soll  man mit dieser Möglichkeit im Herbst 2008 endlich anfangen können, immerhin an einer von drei Ausbildungsstätten.

Fotos
Print-Rubriken
Unterrubrik