Hella Dunger-Löper ist seit einem Jahr gewählte Präsidentin des Landesmusikrates Berlin. In Hildesheim geboren, ist sie seit Jahrzehnten fest in der Berliner Stadtpolitik verwurzelt: Sie gehörte dem Abgeordnetenhaus von Berlin an, wo sie zuletzt als Vorsitzende des Hauptausschusses agierte, war als Bezirksstadträtin für Volksbildung in Berlin-Wilmersdorf und als Staatssekretärin für Bauen und Wohnen in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und für Bundes- und Europaangelegenheiten in der Senatskanzlei tätig. Ein naheliegender Gedanke, sie nach Beendigung ihrer politischen Laufbahn ins Amt der Landesmusikrats-Präsidentin zu wählen. Susanne Fließ erlebte im Interview eine weitsichtige, besonnene Person, die ihren Sachverstand im besten Sinne politisch zu verwerten versteht.
neue musikzeitung: Frau Dunger-Löper, seit einem Jahr sind Sie Präsidentin des Landesmusikrates Berlin. Verstehen Sie dieses Amt nach so vielen Jahren Arbeit in der Berliner Stadtpolitik eher repräsentativ?
Helga Dunger-Löper: Ich komme aus der Politik, und sie hat mir immer Spaß gemacht. Ich kann und will meine Passion dafür nicht abstreifen. Davon abgesehen, betrachte ich die Arbeit in einem Landesmusikrat als eine hochpolitische Angelegenheit.
nmz: Nach einem geistes- und gesellschaftspolitischen Studium haben Sie schnell in die Politik gefunden und sind dort auch bis zu ihrem Ruhestand geblieben. Wie lautet Ihr Fazit als Geisteswissenschaftlerin?
Dunger-Löper: Zunächst einmal: Ich behaupte, dass eine wissenschaftliche Ausbildung, egal, ob Geistes- oder Gesellschaftswissenschaften, es einem einfacher macht, Dinge zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. So kann man Ziele definieren und sie politisch umsetzen. Was meinen Werdegang betrifft, so bin ich schon während meines Studiums und auch danach weitgehend im Hochschulbereich tätig gewesen. Ich hatte nicht die Absicht, Berufspolitikerin zu werden. Als ich mich immer stärker in der Kommunalpolitik engagierte, stand diese Frage jedoch irgendwann im Raum. Damals war das Thema „Frauenquote“ ähnlich virulent wie heute. Als 37-Jährige warnten mich erfahrene ältere Frauen: Wenn du deine Chancen jetzt nicht wahrnimmst, weil die Leute sagen, du bist zu jung, werden sie dir in vier Jahren sagen: du bist zu alt. Das hat mich ins Nachdenken gebracht, und so machte ich den Schritt in die Politik.
Thema Musikschule
nmz: Hatten Sie im Rahmen Ihrer politischen Ämter damals schon Berührungspunkte mit dem Landesmusikrat Berlin?
Dunger-Löper: Nein, Berührungspunkte waren da von Amts wegen nicht gegeben. Mein erstes Amt als Berufspolitikerin war jedoch das der Volksbildungs-Stadträtin im Bezirk Wilmersdorf. Diese Aufgabe umfasste den gesamten Kulturbereich, und so kam ich in Kontakt mit Christian Höppner, der in Wilmersdorf Musikschulleiter war. Ab dem Moment der Begegnung mit ihm, waren die Themen „Musik“ und „Musikschule“ in mir eingebrannt.
Mein beruflicher Schwerpunkt verschob sich dann hin zu Haushaltspolitik, zunächst auf Bezirksebene und später dann als Mitglied des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus Berlin. Der damalige Hauptausschuss hatte einen Unterausschuss „Kultur“, den ich leitete. Die Kulturfinanzierung hat mich sehr eng mit allen Kulturinstitutionen in Berlin zusammengebracht. Diese Verbindungen bestehen bis heute.
Aber zur Kandidatin für das Amt der Präsidentin des Landesmusikrates bin ich tatsächlich durch Empfehlung geworden. Die Einladung, mich für das Amt zu bewerben, nahm ich erst nach eineinhalbjähriger Bedenkzeit an.
nmz: Was ließ Sie denn zögern?
Dunger-Löper: Zögern trifft es nicht ganz. Ich hatte mich nach dem Ende meiner politischen Laufbahn zunächst neu orientieren wollen und mir dazu eine Auszeit verordnet. Wenn man jedoch Zeit seines Lebens mit bürgerschaftlichem Engagement befasst und dafür zuständig ist, dann kann man das nicht einfach abstellen. Meine Gesprächspartner wussten um mein offenes Ohr und baten um Hilfe oder Rat.
Überzeugen ist nötig
nmz: Lassen sich im Amt der LMR-Präsidentin Dinge besser durchsetzen als in jedem anderen politischen Amt, das Sie bis dahin innehatten?
Dunger-Löper: Dinge durchzusetzen war erstmal gar nicht mein Thema. Aber ich habe die gesellschaftliche Relevanz dieses Amtes geschätzt, und meine Interessenlage tat das Übrige. Ich bin Zeit meines Lebens mindestens einmal pro Woche in ein Konzert gegangen und halte live gespielte Musik für existenziell. Bei den Konzertbesuchen wurde mir bewusst, wie viele Menschen eigentlich an solch einem Konzertereignis hängen. Es sind nicht die Millionen wie im Sport. Aber es sind in Berlin doch Hunderttausende, und die brauchen ein sehr lautes Sprachrohr.
nmz: Oft wird Musik ja unter dem Aspekt ihrer Verwertbarkeit betrachtet.
Dunger-Löper: Musik ist doch viel mehr als ein Wirtschaftsfaktor! Sie ist etwas existenzielles, um sich als Person und Persönlichkeit zu entfalten. Dafür müssen wir kraft unseres Amtes erstmal ein Bewusstsein schaffen. Man hört zwar verbreitet das Argument: Erstmal muss der Unterricht für Deutsch und Mathe gesichert sein, dann kümmern wir uns um Musik und Kunst. Aber durch tausendfache Wiederholung wird das Argument nicht richtiger. Es bedarf also einer umfänglichen und langfristigen Überzeugungsarbeit. Ich habe beispielsweise gegenüber dem Präsidenten des Landessportbundes für die Bedeutung von Musik plädiert. Der hat das sofort begriffen, und wir haben auch sofort Kooperationsfelder gesehen. Ich glaube, dass wir Musik immer wieder aus der Nische herausholen müssen, sie nicht auf wirtschaftliche Aspekte reduzieren dürfen, sondern das Thema in die Mitte der Gesellschaft bringen müssen.
nmz: Welche Maßnahmen haben Sie sich dazu überlegt?
Dunger-Löper: Beispielsweise haben wir damit begonnen, die großen sozialen Organisationen anzusprechen. Dort, wo wir bei unseren eigenen Konzerten Zugriff auf Freikarten-Kontingente haben, Karten an diejenigen zu verschenken, die ehrenamtlich tätig sind, aber nie in ein Konzert gehen. Wir haben uns die Frage gestellt, wie es uns gelingen kann, diese Menschen für Musik zu begeistern und zu Botschaftern für Musik zu machen. Gerade in der heutigen Zeit, wo die meiste Musik medienvermittelt ist, sind direkte Erfahrungen wichtig.
„Cello-Sturm“
nmz: Damit verlassen Sie bereits die Blase der Musiktreibenden.
Dunger-Löper: Ja, eine weitere Aktion 2018 war extrem erfolgreich: Für das „Instrument des Jahres 2018“, das Cello, haben wir einen Cello-Tag veranstaltet, dem wir einen „Cello-Sturm“ vorgeschaltet haben. In zahlreichen Berliner Museen spielten mehr als 100 junge Cellisten, um auf den Cello-Tag hinzuweisen. Als dann in der Philharmonie der Cello-Tag veranstaltet wurde, hatten sich dort mehrere tausend Menschen versammelt. Ich bin sicher, dass ein Großteil von denen noch nie ein Cello in der Hand hatte, aber sie fühlten sich angesprochen und mitgerissen von der Live-Performance der jungen Leute. Nächstes Jahr, wenn Saxophon das Instrument des Jahres sein wird, stehen viele Saxophonistinnen und Saxophonisten dann vielleicht am Rand des Berlin-Marathons. Wir müssen sichtbar sein, müssen zeigen, was wir haben und wo es hingehen kann.
nmz: Um breiten Bevölkerungsschichten attraktive Angebote machen zu können, braucht es eine fundierte Ausbildung und ebensolche Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Alles Felder, in denen der Landesmusikrat noch viel zu tun hat.
Dunger-Löper: Hier hat mein Vorgänger, Dr. Hubert Kolland, schon sehr viel geleistet. Ich nenne nur die Masterpläne „Musikalische Bildung“ und die sehr intensiven Verhandlungen zum Berliner Haushalt im Zusammenhang mit der Situation der Musikschul-lehrkräfte. In Berlin haben wir ja die schlechteste Situation der Musiklehrkräfte der ganzen Bundesrepublik: 20 Prozent Festanstellung sind jetzt im Haushalt 2018 etabliert, auch wenn noch viel Arbeit vor uns liegt, um das auch umzusetzen. Aber das Ziel ist, 80 Prozent Festanstellung zu erreichen. Im Wissen, dass das in den Berliner Bezirken sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Unser Ziel ist die Realisierung bis 2025. Ich hatte bei den Gesprächen durchaus den Eindruck, dass das Verständnis für dieses Anliegen vorhanden ist, auch wenn die Haushaltpolitiker nun nicht umgehend den ganz großen Schritt machen werden.
40 Jahre LMR Berlin
nmz: Zeitgleich mit Ihrem Amtsantritt im Dezember 2017 sind Sie mit der Tatsache konfrontiert worden, dass dann auch ein Jahr später das 40. Jubiläum des Landesmusikrates ansteht. Was ist geplant?
Dunger-Löper: Der Landesmusikrat Berlin wurde im Sommer/Herbst 1978 gegründet. Ende dieses Jahres wird es einen Festakt geben, der die vergangenen 40 Jahre würdigen wird und in dessen Rahmen wir die Leistungsbreite des LMR zeigen, seine Projekte und die verschiedenen Initiativen, die sich unter seinem Dach versammeln. Außerdem haben wir die Intendantin des RBB Patricia Schöesinger zu einem Vortrag zum Thema „Musik und Stadt“ eingeladen.
Ein Thema, das uns auch in anderen Konstellationen weiter beschäftigen wird. Unser Blick wird vor allem nach vorne gehen: Welche Qualitäten müssen dabei herausgestellt und berücksichtigt werden? Wir verzeichnen in Berlin eine große Bautätigkeit, im schulischen, aber auch in vielen anderen Bereichen, Es ist daher notwendig, frühzeitig Räume zu planen, in denen kulturelle Veranstaltungen und Musik in unterschiedlichen Formen stattfinden können. Nur wenn diese Bereiche im städtischen Ensemble eine Rolle spielen, kann man ja überhaupt von Urbanität sprechen. Das gilt es auch bei so herausragenden Projekten wie beim Bau des „Innovationscampus“ des Siemenskonzerns von vornherein mitzudenken: Die Bereiche Arbeit/Forschung, Wohnen, und als dritter Ort auch Räume für kulturelle Betätigung, sind eine notwendige Trias, die Urbanität erst entstehen lassen.
Beim Bau des Technologieparks Adlershof war das Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Dort vernachlässigte man in den ersten Jahren, aus Einsparungsgründen heraus, den Bereich Wohnen und den Bereich für kulturelle Betätigung. Das hat die urbane Qualität des Gebiets beeinträchtigt, und es hat lange gedauert, bis nachträglich entsprechende Angebote aufgebaut werden konnten. Diesen Fehler sollte man nicht wiederholen. „Kultur und Stadt“, „Musik und Stadt“, „Musik für alle“, diese Themen müssen in alle städtebaulichen Planungen einbezogen werden.
nmz: Entrüsten Sie sich denn nach so vielen Jahren in der Politik noch über bestimmte Zustände in der Stadt?
Dunger-Löper: Ich habe in meinem politischen Leben viel im Umgang mit Sachzwängen, Forderungen und Menschen gelernt, insofern ist Entrüstung nicht meine Sache. Ich versuche zu fordern, und zwar frühzeitig, damit man nicht später von dem Argument erschlagen wird, das gehe jetzt nicht mehr. Daher lag auch unser Antrag zur frühzeitigen Mitplanung von Räumen für Musik noch vor der Sommerpause vor. Jetzt wird es Zeit, nachzufassen, zu insistieren, darauf hinzuweisen, dass die Stadt so ihre Qualität erhält oder vergrößert. Ich habe mich beruflich viele Jahre mit Stadtentwicklung und der „Sozialen Stadt“ befasst; und ich weiß um die Notwendigkeit eines funktionierenden öffentlichen Raumes, in dem man sich treffen kann, wo man auch musizieren kann.
nmz: „Urbane Räume“ ist ja eigentlich kein Thema, das speziell Berlin betrifft. Es wird sicherlich auch im Rahmen der Konferenz der Landesmusikräte thematisiert.
Dunger-Löper: Der Deutsche Musikrat hatte bereits eine derartige Initiative gestartet, die die Brücke zwischen Flächenländern und Stadtstaaten schlägt. Aber aufgrund der Verdichtung in der Stadt Berlin, ist der Druck hier viel höher und dadurch auch der Aufschrei, wenn die Forderung nach Räumen für Musik nicht berücksichtigt wird.
Über das Thema Räume für Musik hinaus, das im Prinzip und in unterschiedlichen Ausprägungen alle Bundesländer betrifft, stehen wir insbesondere mit dem Landesmusikrat Brandenburg in engem Austausch. Die Berliner Situation ist eine besondere, denn Berlin liegt inmitten von Brandenburg, so liegt es nahe, dass wir gemeinsam tagen und auch gemeinsame Projekte verabreden und durchführen.
Aktivitäten 2018/19
nmz: Welche Jubiläums-Aktivitäten sind noch geplant?
Dunger-Löper: Derzeit bewerben wir uns um Mittel, um ein Projekt aus früheren Zeiten auf zeitgemäße Füße zu stellen: den Musik-Almanach. Was vor vielen Jahren in Papierform existierte, soll nun als interaktive Karte neu entstehen und den Menschen zeigen, wo in Berlin die Musik spielt und spielte. Dieses Projekt, das wissenschaftliche Begleitung unter anderem durch die Universität der Künste erhält, könnte das Zeug dazu haben, wegen seiner Übertragbarkeit zu einem Pilotprojekt für andere Bundesländer zu werden und Wissen über Musik und Musikgeschichte vielen Menschen zugänglich zu machen.
Nicht zu vergessen, das Orchestertreffen 2019, das mit über 50 beteiligten Orchestern ein imposantes Forum der Begegnung und des Austauschs miteinander werden wird.
Und schließlich laden wir auch eine altbekannte und sich immer stärker in Berlin etablierende Bewegung unter das Dach des Landesmusikrates ein: Die „Salons“, in denen sich die lokale Bevölkerung zu Wissenschaft, Kultur und Politik zum Austausch trifft. Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Initiativen den Schutzraum eines etablierten Verbandes bedürfen, und der Landesmusikrat ist die ideale Plattform, die eigene Bevölkerung zu erreichen, damit Ideen fruchtbar werden.