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Ilona Schmiel mit Martin Grubinger. Foto: Danetzki & Weidner
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Im Eigen-Sinne Ludwig van Beethovens

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Zum Beethovenfest Bonn 2012: ein Gespräch mit Intendantin Ilona Schmiel
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„Die Welt ist ein König, u. sie will geschmeichelt seyn, Soll sie sich günstig zeigen – Doch wahre Kunst ist eigensinnig, läßt sich nicht in Schmeichelnde Formen zwängen.“ Das Zitat aus dem neunten Konversationsheft Ludwig van Beethovens steht dieses Jahr als Motto über dem Beethovenfest Bonn. Andreas Kolb, Chefredakteur der nmz, sprach kurz vor dem Start des vierwöchigen Festivals am 7. September mit der Intendantin Ilona Schmiel.

neue musikzeitung: Was ist das Eigensinnige am Programm 2012?

Ilona Schmiel: Wir haben Einladun­gen an spezielle Ensembles ausgesprochen wie das Münchener Kammerorchester, das durch sehr eigene Programmzusammenstellungen auffällt. Alexander Liebreich hat Beethovens 7. Symphonie ausgewählt, davor haben wir György Ligetis Violinkonzert programmiert. Das späte Werk von 1992 ist ein Schlüsselwerk in Ligetis Œevre. Liebreich stellt dies dann in Kontext zu einem neuen Werk, das Salvatore Sciarrino in einem Koauftrag von Münchener Kammerorches­ter und Beethovenfest Bonn komponiert hat. Die Interpretin des Ligeti-­Konzertes wird die aus Moldawien stammende Patricia Kopachinskaja sein, die für die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik und sehr eigene Interpretationen steht. Eine ideale Kombination aus Musikern und Werken im Sinne des Mottos „Eigensinn“. Ein anderes Orchester, das durch eigenwillige Ansätze auffällt, ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die auch dieses Jahr wieder Orchestra in Residence ist und zwei Programme aufführt. Das zweite Konzert steht für das Motto 2012: Das Hilliard Ensemble singt fünf Motetten von Guillaume de Machaut a cappella, danach führt die Kammerphilharmonie unter Paavo Järvi das ursprünglich vom MKO beauftragte Werk „Ques­tions“ von Erkki-Sven Tüür für Männerstimmen und Streicher auf. Tüür und Järvi waren übrigens eine Zeitlang Mitglieder der Rockband „In Spe“, Järvi als Schlagzeuger und Tüür als Stückeschreiber und Gitarrist. In Bonn treffen sie in neuer Kombination zusammen. Brahms’ Symphonie Nr. 2 setzt dann einen romantischen Kontrapunkt.

nmz: Das Beethovenfest Bonn will ja in der oberen Festival-Liga mitmischen, auch im Hinblick auf 250 Jahre Beet­hoven im Jahr 2020 und Konzerthausvorhaben der Stadt Bonn: Wie eigensinnig darf oder muss man da ein Fes­tival planen?

Schmiel: Einzigartigkeit in Verbindung mit höchster Qualität ist immer unser Ziel! Einen symphonischen Zyklus durchsetzt mit fünf zeitgenössischen Werken wie mit dem Philharmonia Orchestra London unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen planen wir über Jahre. So ein Zyklus braucht Exklusivität, er wird nirgendwo anders in dieser Konstellation in 2012 aufgeführt. Wir wollen zusammen mit den Orchestern zunehmend Eigenproduktionen entwickeln und nicht dem Tourneemarkt verpflichtet sein. Wir konzipieren Konzerte für die Region, für ein nationales Publikum und für einen internationalen Markt. Hier kommen unsere wichtigen Besuchergruppen vor allem aus Japan, aus den USA, aus Israel und Australien.

nmz: Was ist neu beim Beethovenfest?

Schmiel: Uns interessiert, wie man Konzerte choreografisch umsetzen kann. Dazu haben wir die Akademie für Alte Musik Berlin zu einem Projekt eingeladen, bei dem nicht nur Tänzer der Sasha Waltz Tanzkompagnie Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ vertanzen, sondern auch das Orches­ter choreografisch mit einbezogen wird. Wir möchten stärker als bisher bekannte Formate an ein neues Publikum herantragen. Etwa beim Public Vie­wing zu Beginn des Festivals auf dem Münsterplatz mit 5.000 bis 6.000 Menschen: Das City of Birmingham Symphony Orchestra unter Andris Nelsons wird das Beethovenfest mit Brahms’ „Nänie“ und Beethovens Neunter eröffnen. Auch mit dem Konzert des deutschen Rapper-Stars Samy Deluxe und seiner Tsunami-Band werden wir das klassische Konzertritual durchbrechen. Dieses Format trägt die Handschrift der Schülermanager des Jungen Beethovenfestes, die auch die dreitägigen Workshops für 180 Schüler aus Real- und Gesamtschulen in den Bereichen Beatboxen, Texten, Filmen und Tanzen organisieren und die alle erstmals am Beethovenfest teilnehmen. Auch für die Beethovenhalle haben wir uns ein neues Projekt ausgedacht: Die dritte Generation aus dem venezolanischen „El Sistema“, das Youth Orchestra of Caracas“ mit 180 16- bis 22-jährigen Musikern und 2 Dirigenten, wird bei seinem Deutschlanddebut in der Mitte der Halle platziert und zu einem Riesenorchester erweitert durch die Verschmelzung mit Schulorchestern der Region. Es sollen der 3. und 4. Satz von Beethovens 5. erarbeitet werden. Dafür werden vereinfachte Partituren der Sinfonie angefertigt, um den Teilnehmern bei niederer Einstiegsschwelle ein Schlüsselerlebnis vermitteln zu können.

nmz: Seit 2001 veranstalten die Deutsche Welle und das Beethovenfest gemeinsam den Orchestercampus. Zu Gast waren bisher die Ukraine, die Türkei, Georgien, China, Polen, Südafrika, Ägypten, St. Petersburg, Hanoi, Brasilien und letztes Jahr der Irak. Dieses Jahr ist das Nationale Jugendorchester der Türkei mit Sitz in Istanbul zu Gast.  Warum schon wieder die Türkei?

Schmiel: Die Türkei ist ein Land und eine Region im Umbruch – dort ist in den letzten 10 Jahren immens viel passiert. Deshalb werden wir gemeinsam mit der Deutschen Welle für die nächs­ten Jahre einen Schwerpunkt unter dem Titel „Beethoven ile bulușma – Begegnung mit Beethoven“ setzen. In diesem Jahr wird erstmals das Turkish National Youth Philharmonic Orchestra beim Campus zu Gast sein und neben seinen Orches­terkonzerten auch Kammermusik, Workshops in Schulen und Kinderkonzerte geben. Die Deutsche Welle hat bereits Workshops im Bereich Kulturjournalismus in Istanbul durchgeführt, in Bonn werden wir gemeinsam neue Konzertformate mit DJs aus der Türkei erstmals anbieten. Unser Ziel ist es, die Sparte Film und die Beschäftigung mit der kulturpolitischen Situation in der Türkei mit einzubeziehen und uns mit türkischen Institutionen und Medien stärker zu vernetzen.

nmz: Paul Hindemiths selten aufgeführter Einakter-Triptychon („Mörder, Hoffnung der Frauen“ op. 12, „Das Nusch-Nuschi“ op. 20, „Sancta Susanna“ op. 21) ist dieses Jahr im Bonner Opernhaus zu sehen. Ein Türkei-Schwerpunkt in Bonn?

Schmiel: Hindemith als der große Mentor der europäischen Musik in der Türkei ist ein hochinteressantes Thema. Dieses wird bei uns nur am Rande gestreift. Uns haben die Einakter als „eigensinnige“ Frühwerke Hindemiths und deren Rezeptionsgeschichte interessiert. Auf Klaus Weises Neuinszenierung bin ich daher sehr gespannt.

nmz: Jedes Festival hat das Publikum, das es sich verdient. Für welches Publikum programmieren Sie? 

Schmiel: Für Klassik- und Musikbegeisterte und für neues Publikum jeden Alters! Als Intendantin des Beet­hovenfestes sehe ich meine Hauptaufgabe darin, die Balance zwischen Tradition und Innovation hinzubekommen. Das Vergangene soll für zukünftige Generationen erlebbar werden, auf der anderen Seite befinden wir uns im 21. Jahrhundert. Die Rahmenbedingungen für Aufführungen, die Hör- und Sehgewohnheiten haben sich immens verändert. Auch die Bedingungen, wie und wann und durch welches Medium ein Besucher heute den Erstkontakt zum Festival hat. Das alles gilt es, über die Inhalte hinaus zu bedenken.

nmz: Heute gibt es ja auch den Beet­hoven-Express-Check-in…

Schmiel: Ja, „Für 8 um 8“ für junges Publikum. Spontanbesucher können sich bis kurz vor Veranstaltungsbeginn entscheiden, ob sie ins Konzert wollen. Zum Kinopreis kann man in jede hochwertige Veranstaltung kommen, da wir ein Kontingent für diese Zielgruppe reserviert haben. Das wird erfolgreich angenommen. Und inzwischen können Sie selbstverständlich jede Karte online buchen und sie sich zu Hause ausdrucken

nmz: Gil Apap, David Orlowsky, Meh­met Ergin, Claude Chalhoub – welche Funktion hat der Jazz und die Weltmusik auf einem explizit klassischen Festival?

Schmiel: Ich bin zutiefst überzeugt, dass Beethoven diese Musik und das Können der Musiker sehr geschätzt hätte: das Improvisieren, das Ausprobieren, die spontane Eingebung – das hat zu seiner Zeit große Bedeutung gehabt. Das haben wir in unserem „klassischen Konzertritual“ nahezu verloren, wir wollen diese Bereiche daher verstärkt präsentieren.

nmz: Das Bonner Beethoven Orches­ter unter Stefan Blunier tritt einmal als Opernorchester auf dem Beethovenfest in Erscheinung. Wo noch?

Schmiel: Mit einem weiteren Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts: Schönbergs monumentale Komposition „Die Gurrelieder“ darf in unserem diesjährigen Kontext nicht fehlen. 

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