Am 4. November 2014 teilte das nordrhein-westfälische Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport mit: „Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die Ausweitung des Programms ,Jedem Kind ein Instrument’ (JeKi) beschlossen.“ Zukünftig soll nicht nur Instrumentalunterricht möglich sein, sondern „Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ (JeKits) angeboten werden. JeKits soll im Schuljahr 2015/16 landesweit starten und damit im Gegensatz zum Vorgängerprogramm auch Kindern außerhalb des Ruhrgebietes zusätzliche musikalische Grundbildung in der Grundschule ermöglichen. Trägerin der Programme „JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ und „Jedem Kind ein Instrument“ ist die gemeinnützige JeKits-Stiftung mit Sitz in Bochum. Andreas Kolb (nmz) sprach mit der JeKits-Programmleiterin Birgit Walter über das neue Programm.
neue musikzeitung: Frau Walter, es gab im Vorfeld durchaus Expertenstimmen, die von JeKits als Nachfolger von JeKi abrieten. Sie kennen als Programmleiterin sowohl das alte wie das neue Programm. Weinen Sie JeKi nicht doch etwas nach?
Birgit Walter: Nein, ich bin sehr glücklich über das neue JeKits-Programm. Die wesentliche Kritik der Fachleute beruht darauf, dass sie sich nicht vorstellen können, wie das gemeinsame Musizieren und Tanzen von Anfang an mit Kindern zu bewerkstelligen ist, die noch kein Instrument gelernt haben. Dem kann ich entgegnen, dass dies doch gerade das tägliche Brot der Elementaren Musikpädagogik ist. In den JeKi-Modellprojekten in NRW, die es neben dem bisherigen JeKi-Programm im Ruhrgebiet gibt, ist dies übrigens schon seit Jahren erprobt worden. Wie JeKi wird auch JeKits ein musikpädagogischer Impuls sein.
nmz: Was ist neu bei JeKits?
Walter: Wir denken das gesamte Konzept vom gemeinsamen Musizieren und Tanzen aus und starten damit auch direkt von Anfang an. Die beiden Schwerpunkte Singen und Tanzen sind, was diesen Aspekt angeht, eine wunderbare Unterstützung, da hier selbstverständlich ist, was beim Instrumentalspiel noch nicht gang und gäbe ist.
nmz: Was unterscheidet JeKits vom „normalen“ Musikunterricht? Singen und Tanzen ist aber doch schon immer Bestandteil eines guten Musikunterrichts?
Walter: JeKits geht weit über den Lehrplan Musik hinaus. Dass die Schüler tatsächlich im zweiten JeKits-Jahr neunzig Minuten pro Woche im Chor singen, angeleitet von ausgebildeten Gesangspädagogen, und darüber hinaus individuelle Stimmbildung erhalten, kann die Schulmusik bestenfalls vereinzelt leisten. Das gilt ebenso für den Schwerpunkt Tanzen, in dem die Kinder in einem ganz anderen zeitlichen Umfang als im Musikunterricht und zudem von ausgebildeten Tanzpädagogen unterrichtet werden.
nmz: Auf welchen Aspekt legen Sie mehr wert, den sozialpädagogischen oder den musikpädagogischen?
Walter: Wir sind nach wie vor ein musikpädagogisches Programm. Ein Sozialpädagoge hätte keine Chance, auch nur eine einzige Unterrichtsstunde im JeKits-Programm zu bestehen, da er eine vollständig andere Ausbildung hat. JeKits hat jedoch genau wie JeKi einen wichtigen sozialen Aspekt: Die hundertprozentigen Beitragsbefreiungen, die nach wie vor existieren, um die Teilnahme aller Kinder zu gewährleisten.
nmz: Dennoch unterscheidet sich JeKits von JeKi durch eine stärkere Betonung der sozialen Komponente im Sinne eines gemeinsamen Handelns …
Walter: Bei JeKi lag der Fokus tatsächlich stärker auf einer etwas herkömmlicheren Instrumentalausbildung. Durch das gemeinsame Musizieren und Tanzen von Anfang an ist JeKits nun insgesamt elementarpädagogischer als das Vorgängerprogramm angelegt. Das Ziel ist also nicht, einen Kompetenzkatalog festzulegen, welche instrumentaltechnischen Fertigkeiten wir vom Kind nach dem zweiten, dritten, vierten Jahr erwarten, sondern dass das Kind die positive Erfahrung macht, wie es sich anfühlt, mit anderen Kindern zu musizieren und zu tanzen. Dieser Aspekt ist der wichtigste im JeKits-Programm.
nmz: Gewissermaßen die Kernaussage von JeKits.
Walter: Richtig. Es geht nicht darum, ein instrumentalpädagogisches Curriculum soweit wie möglich durchzuführen. Es geht um den Funken, den wir in den Kindern entfachen wollen, die Lust am gemeinsamen Musizieren und Tanzen in sich zu entdecken, und zwar nachhaltig zu entdecken.
nmz: Wie verhält sich das JeKits-Programm zu dem schulischen Thema Inklusion?
Walter: Was den gemeinsamen Unterricht angeht, so sind wir schon seit JeKi in engem Kontakt mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW, insbesondere weil wir nach wie vor Förderschulen im Ruhrgebiet im Programm haben, die mit einem gesonderten Konzept arbeiten.
nmz: Wie viele Schulen nehmen teil? Und was passiert mit den „alten“ JeKi-Schulen?
Walter: Das JeKi-Programm endet nicht abrupt zum Schuljahr 2015/16. Die Kinder, die jetzt im ersten Schuljahr an JeKi teilnehmen, können bis zum vierten Schuljahr, also bis zum Ende des Schuljahres 2017/18, ihr JeKi-Programm durchlaufen. Parallel dazu startet im Schuljahr 2015/16 das JeKits-Programm: Innerhalb einer Aufbauphase von vier Jahren wollen wir von den rund 3.000 Grundschulen in Nord-rhein-Westfalen ein Drittel erreichen. Die Staffelung ist notwendig, da aus dem Finanztopf sowohl das auslaufende JeKi-Programm als auch gleichzeitig das sich aufbauende JeKits-Programm finanziert werden muss. In dieser ersten Phase wird es unter anderem darum gehen, die 600 Schulen aus dem Ruhrgebiet vom JeKi-Programm ins JeKits-Programm zu überführen. Darüber hinaus gibt es auch noch zirka 60 JeKi-Modellprojekte in Nordrhein-Westfalen außerhalb des Ruhrgebiets. Wir haben bereits viele Anmeldungen aus Kommunen außerhalb des Ruhrgebiets vorliegen, und auch innerhalb des Ruhrgebiets gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Kommunen aussteigen werden. Insofern gehen wir derzeit davon aus, dass wir neben den rund 600 Ruhrgebiets-Grundschulen langfristig rund 400 weitere Schulen im übrigen NRW ins JeKits-Programm aufnehmen werden.
nmz: Im JeKi-Programm waren vor allem VdM-Musikschulen Kooperationspartner. Wie sieht dies nun im JeKits-Programm aus, vor allem im Hinblick auf den neuen Schwerpunkt Tanzen?
Walter: An etwa einem Viertel der VdM-Musikschulen des Landes Nord-rhein-Westfalen existieren Tanzabteilungen. Es ist keinesfalls so, dass wir mit dem Schwerpunkt Tanzen etwas vollständig Neues gestalten. In einigen Fällen überlegen die Musikschulen sogar, einen eigenen Tanzzweig zu eröffnen. Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, und deswegen sprechen wir hauptsächlich von außerschulischen Kooperationspartnern, dass seitens der Institution innerhalb der Kommune, die die Verantwortung für das JeKits-Programm übernimmt, ein Kooperationsvertrag mit beispielsweise einer vor Ort ansässigen Tanzinstitution geschlossen wird.
nmz: Es ist nicht zwingend vorgeschrieben, dass sich Schulen von vornherein an die kommunale Musikschule als Partner wenden müssen?
Walter: Nein, diese Vorgabe gibt es nicht. Deshalb haben wir auch den Begriff des außermusikalischen Kooperationspartners geprägt, da wir eben nicht von vornherein reflexartig die Musikschule nennen können, weil das spätestens beim neuen Schwerpunkt Tanzen in einigen Fällen der Sachlage nicht gerecht würde. Soweit jedoch eine kommunale Musikschule vorhanden ist, gehen wir davon aus, dass sie auch weiterhin der Ansprechpartner sein wird.
nmz: 100 Lehrkräfte, so heißt es, fallen durch das JeKi-Ende im Ruhrgebiet weg …
Walter: Es ist nicht so, dass 100 Lehrkräfte, die Vollzeit in JeKi arbeiten, demnächst arbeitslos werden. Die Unterrichtsstunden im JeKi-Programm werden meist von Lehrkräften erteilt, die auch in den anderen Bereichen der Musikschule tätig sind, sodass es darauf hinauslaufen wird, dass sich der Stundenumfang der Lehrkräfte reduziert. Nichtsdestotrotz ist uns diese Situation schmerzlich bewusst, und es fällt uns auch in keinster Weise leicht. Allerdings geht es natürlich auch darum, den Missstand zu beseitigen, dass über Jahre hinweg die finanziellen Mittel des gesamten Landes Nordrhein-Westfalen in nur einen Teil des Landes, nämlich das Ruhrgebiet, geflossen sind. JeKi war ein Programm, das im Rahmen der Kulturhauptstadt nur für das Ruhrgebiet aufgelegt worden ist.
nmz: Sind die finanziellen Mittel erhalten geblieben oder gar aufgestockt worden?
Walter: Das Gesamtvolumen für das JeKits-Programm beträgt 10,74 Millionen Euro jährlich. Diese Haushaltsstelle hat das Land nicht angetastet. Wir sprechen bei dieser Summe immerhin von einem Drittel des gesamten Etats des Landes NRW, der für Musikförderung ausgegeben wird. Natürlich gibt es auch in anderen Bundesländern vergleichbare Projekte, aber in Bezug auf die Höhe der Fördersumme sind wir damit bundesweit absoluter Spitzenreiter.
nmz: Stichwort Unterrichtsmaterialien. Sind die Notenverlage nicht müde, schon wieder von vorne anfangen zu müssen?
Walter: Materialien, die für JeKi entstanden sind, können durchaus weiter verwendet werden. Beispielsweise ist der Band „JeKi elementar“ durchaus verwendbar für den Unterricht im ers-ten JeKits-Jahr in den Schwerpunkten „Instrumente“ und „Singen“. Aber wir werden natürlich zusätzlich neue Materialien für das JeKits-Programm entwickeln.
nmz: Welche Chancen sehen Sie im neuen JeKits? Und gibt es Bedrohungen für das Programm?
Walter: JeKi hat den Impuls gesetzt, überhaupt erst mal Instrumentalunterricht flächendeckend in die Breite zu bringen. JeKits setzt nun den musikpädagogischen Impuls, dass das gemeinsame Musizieren und Tanzen der Dreh- und Angelpunkt musikalischen beziehungsweise tänzerischen Handelns ist. Bedrohungen sehe ich nicht.
Mehr zu JeKits
- auf Seite 28: „Das JeKits-Programm im Überblick“ (s.u.)
- auf Seite 18: Beitrag „Wasser rein! Von JeKi zu JeKits“ von Wolfhagen Sobirey, ehemaliges Mitglied des JeKits-Stiftungsrates
JeKits im Überblick
„JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ ist ein kulturelles Bildungsprogramm in der Grundschule für das Land Nordrhein-Westfalen. Durchgeführt wird JeKits in Kooperation von außerschulischen Bildungsinstitutionen (wie z.B. Musikschulen oder Tanzinstitutionen) und den Schulen. Mit dem Programm werden alle Kinder einer JeKits-Schule erreicht. JeKits hat drei alternative Schwerpunkte: Instrumente, Tanzen oder Singen. JeKits startet zum Schuljahr 2015/16 als landesweites Nachfolgeprogramm von „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi).
Die zentralen Ziele:
Gemeinsames Musizieren und Tanzen: JeKits will Kindern die Erfahrung des Instrumentalspiels, des Tanzens oder des Singens als ästhetisches Handeln in der Gruppe ermöglichen.
Kulturelle Teilhabegerechtigkeit: JeKits will möglichst vielen Kindern in Nordrhein-Westfalen den Zugang zu musikalischer beziehungsweise tänzerischer Bildung eröffnen, unabhängig von ihren persönlichen und sozio-ökonomischen Voraussetzungen.
Impuls für die kommunale Bildungslandschaft: JeKits will die kommunale Bildungslandschaft mit einer systematisch gepflegten Kooperation von Schule und außerschulischen Partnern nachhaltig bereichern.
Programmaufbau:
Die Grundschule entscheidet sich gemeinsam mit ihrem außerschulischen Kooperationspartner für einen der drei alternativen Schwerpunkte von JeKits (Instrumente, Tanzen oder Singen), den sie an ihrer Schule anbieten möchte. Das Programm soll in der Schuleingangsphase möglichst im zweiten Schuljahr starten und wird insgesamt über zwei Jahre vom Land Nordrhein-Westfalen mit 10,74 Millionen Euro jährlich gefördert.
Das erste JeKits-Jahr (JeKits 1)
bietet eine musikalische beziehungsweise tänzerische Grundbildung für alle Kinder der JeKits-Grundschule als Einstieg in das gemeinsame Musizieren oder Tanzen. Die Kinder machen grundlegende Erfahrungen mit Musik und ihren Ausdrucksformen Instrumentalspiel, Tanzen und Singen. Der Unterricht findet im Klassenverband statt und umfasst eine Schulstunde innerhalb der Stundentafel. Der Unterricht ist verpflichtend und kostenfrei.
Das zweite JeKits-Jahr (JeKits 2)
bildet eine Weiterführung und Vertiefung für alle interessierten und angemeldeten Kinder. Aufbauend auf JeKits 1 findet das gemeinsame Musizieren oder Tanzen im „JeKits-Orchester“, „JeKits-Tanzensemble“ beziehungsweise „JeKits-Chor“ statt. Begleitend erweitert der JeKits-Unterricht die Kompetenzen im Instrumentalspiel, Tanzen oder Singen. Der Unterricht wird durch Lehrkräfte des außerschulischen Partners erteilt und umfasst wöchentlich zwei Unterrichtsstunden. Der Unterricht ist freiwillig und kostenpflichtig.
Elternbeiträge:
Das erste JeKits-Jahr ist kostenfrei.
Für das zweite JeKits-Jahr fallen je nach Schwerpunkt folgende monatliche Elternbeiträge an:
- JeKits Instrumente: 23 Euro
- JeKits Tanzen: 17 Euro
- JeKits Singen: 12 Euro
Die Empfänger bestimmter staatlicher Transferleistungen sind von den Elternbeiträgen befreit.