In den Vereinigten Staaten sind, wie man gerade lesen konnte, einige der renommierten Sinfonieorchester existenziell, sprich: ökonomisch bedroht, darunter angeblich sogar das traditionsreiche Ensemble in Chicago. Auch bei uns klagen schon manche Orchester: Natürlich über fehlendes Geld, aber auch über ein überaltertes Stammpublikum, das allmählich wegstirbt, ohne dass sich junge Menschen um die frei gewordenen Abo-Plätze balgen würden. Was tun?
In den Vereinigten Staaten sind, wie man gerade lesen konnte, einige der renommierten Sinfonieorchester existenziell, sprich: ökonomisch bedroht, darunter angeblich sogar das traditionsreiche Ensemble in Chicago. Auch bei uns klagen schon manche Orchester: Natürlich über fehlendes Geld, aber auch über ein überaltertes Stammpublikum, das allmählich wegstirbt, ohne dass sich junge Menschen um die frei gewordenen Abo-Plätze balgen würden. Was tun?Publikumsnachwuchs gleichsam züchten, am besten nur für das eigene Haus. So jedenfalls lesen sich die Pläne, die sich der Berliner Philharmoniker-Intendant Franz Xaver Ohnesorg gemeinsam mit dem unvermeidlichen Dauer-Mäzen Alberto Vilar für sein Berliner Institut ausgedacht hat: Hundert Millionen Mark für ein Jugendförderprogramm, mit dem das Publikum von morgen und übermorgen herangezogen werden soll. Sorgfältig vorbereiten möchte man das Unternehmen „Jugend fangen“, Modellcharakter ist gefragt, nicht nur „Peter und der Wolf“ oder der „Karneval der Tiere“.Im Hintergrund und gleichsam als Parallelentwicklung vollzieht sich in Berlin (und natürlich auch an anderen Orten, besonders in Nordrhein-Westfalen – siehe Seite 30 dieser Ausgabe) das Gegenteil zu den oben geschilderten Plänen: der zum Teil radikale und immer rücksichtsloser betriebene Abbau der Ausbildungsplätze an den deutschen Musikschulen. Zehntausend Musikschulplätze sind in den vergangenen sechs Jahren „vernichtet“ worden – so drastisch drückt es der Vorstand des Landesverbandes der bezirklichen Musikschulen Berlins in einem offenen Brief an den Berliner Senat aus.
Der Auf- und Ausbau des deutschen Musikschulsystems, in den 60er-Jahren begonnen, darf zu den wichtigsten Kulturleistungen, und nicht nur für das Musikleben Deutschlands, zählen. In den Musikschulen lernten Kinder und Jugendliche Musik am besten kennen: Indem man sie sich selbst bereitete – an den verschiedensten Instrumenten, singend, solo oder, wichtiger und auch pädagogisch wertvoll, in der Gruppe – drang man intensiv in die Werke der Komponisten ein, intensiver als das Nur-Hören es gestattet.
Wir wollen dem Vorhaben von Ohnesorg und Vilar nicht die edle Absicht absprechen, doch wird man den Verdacht nicht los, dass hier wieder einmal ein Hochglanzprojekt auf Hochglanzpapier in die medienwirksame Szene gesetzt werden soll. Das Ärgste aber wird sein, dass der Berliner Senat (und mit ihm alle Senate und Gremien in unseren Städten und Ländern) dem Projekt vor allem deshalb zujubeln wird, weil es sie selbst nichts kostet. Und das Gewissen entlas-tet, wenn man weitere Musikschulplätze „vernichtet“.
Ein Skandal? Leider kaum noch. Nur trüber Alltag in vernebelten politischen Köpfen.