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Britisches Musikerprüfsystem ABRSM will sich in Deutschland etablieren
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„Es grenzt an ein Wunder!“ Mit bewegenden Worten begrüßt Irene Lawford-Hinrichsen ein geladenes Publikum in einem Leipziger Gebäude, das Musikgeschichte geschrieben hat. Die Enkeltochter des einstmals hochangesehenen Musikverlegers und Mäzens Henri Hinrichsen sprach Anfang März vor Leipziger Komponisten, Musikern, Musikwissenschaftlern und Pädagogen im traditionsreichen Stammhaus von C.F. Peters. Siebzig Jahre nach der Vertreibung der Verlegerfamilie durch die Nationalsozialisten, die mit der Ermordung Henri Hinrichsens sowie zahlreicher anderer Familienmitglieder ihr perfides Ende fand, ist es gelungen, die Edition Hinrichsen GmbH als Tochterunternehmen der Peters Edition Ltd. London am Wohn- und Arbeitsort des Verlegers wieder anzusiedeln. Im September 2009 bezog der Verlag das traditionsreiche Haus in der Leipziger Talstraße 10, dessen berühmtester Bewohner einstmals Edvard Grieg war.

Eigentlicher Anlass der Einladung war die Vorstellung einer neuen Partnerschaft zwischen der Edition Hinrichsen und dem  Associated Board of the Royal Schools of Music (ABRSM), dem weltweit führenden Institut für Musikerprüfungen und -beurteilungen. Thomas Stein, der Vertreter des Verlages, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das britische Musikprüf-system deutschen Musikschulen und Musikpädagogen als Alternative zu bereits existierenden Leistungsüberprüfungen anzubieten. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, von der Leipziger Talstraße aus soll die Organisation der ABRSM-Prüfungen ausgehen, die an mehr als einem Dutzend deutschen ABRSM-Prüfzentren abgenommen werden.

Ziele verabreichen

ABRSM wurde 1889 gemeinsam von Sir Alexander MacKenzie, Direktor der Royal Academy of Music, und Sir George Grove, Direktor des Royal College of Music und Herausgeber des Grove Dictionary of Music and Musicians, gegründet. Im ersten Direktorium arbeiteten unter anderen so bekannte Persönlichkeiten wie die Komponisten Sir Arthur Sullivan und Sir Hubert Parry. Letzterer verstand seine Arbeit im ABRSM folgendermaßen: „Was uns besonders am Herzen liegt, ist weniger die Verleihung wohlverdienter Urkunden … als die Möglichkeit, den Menschen etwas zu geben, auf das sie hinarbeiten können; Gelegenheiten, eng vertraut zu werden mit den feinsten Arten der Musikkunst, und Standards der Interpretation und eine Haltung von Gründlichkeit im Zusammenhang mit Musik zu wahren, die von fruchtbarstem Nutzen sein wird.“ Seit 1892 ist ABRSM international tätig, damals noch vorrangig in den ehemaligen „Herrschaftsgebieten“ Großbritanniens. Wurden in den ersten Jahren lediglich zwei Prüfungen („Junior“ und „Senior“) abgenommen, reifte der Wunsch nach Angleichung an die verschiedenen Entwicklungsstufen einer Musikerpersönlichkeit recht schnell. 1920 wurden Hörelemente in die praktischen Prüfungen aufgenommen, und 1933 trat das moderne System von acht abgestuften Leistungsebenen in Kraft. Bis 1947 konnte das Prüfungssystem so weit ausgebaut werden, dass 100.000 Prüflinge gezählt werden konnten.

1999 führte das Board einen Lehrplan für Jazzklavier und Ensembles ein und 2003 wurde das Programm um Beurteilungspläne für Flöte, Klarinette, Saxophon, Trompete und Posaune erweitert. Heute prüft ABRSM neben dem Gesang alle Instrumentengattungen: Streich-, Blas-, Zupf- und Schlaginstrumente aber auch Cembalo oder Orgel. Im Verlag des ABRSM wird auf das Prüfungsprogramm zugeschnittenes Lehrmaterial erarbeitet. So werden Repertoire-Alben für verschiedene Instrumente und Gesang oder Materialien zur Prüfungsvorbereitung, zum Selbststudium und zur persönlichen musikalischen Weiterentwicklung angeboten. Lehrbücher über Musiktheorie, Harmonie und Musikformen sind ebenfalls im Verlagsprogramm. Auch deutschsprachige Publikationen sind bereits realisiert oder in Vorbereitung.

Jedes Jahr legen weltweit in über 90 Ländern mehr als 630.000 Kandidatinnen und Kandidaten ein ABRSM-Examen ab, vorrangig in Großbritannien, den British Commonwealth und den USA. Allein in Asien werden jährlich 180.000 Prüfungen abgenommen. Aber auch in afrikanischen und europäischen Ländern steigt die Zahl der Prüfungen. In Deutschland konnten 2009 über 700 Musikschüler und Musiker eine Prüfung abgelegen. 600 Prüfer, die zum großen Teil aus Großbritannien kommen, stehen weltweit zur Verfügung.

Freude am Erreichten

Doch was steckt hinter dem Prüfsystem? Was hat es zu bieten, was es an deutschen Musikschulen und im privat-pädagogischen Bereich nicht schon gibt? ABRSM vertritt die Philosophie „Freude am Erreichten“: Harte Arbeit, um musikalische Fortschritte zu erreichen, soll anerkannt und bestätigt werden. In klar strukturierten Etappen soll auf ein Ziel hingearbeitet werden, das die Schüler immer wieder aufs Neue motiviert. In einem vorbereitenden Test, dem Prep Test, legen die Anfänger unter den Musikschülern ihre erste Prüfung ab. Darauf folgen über die gesamte Ausbildungszeit acht weitere Stufen. Das Ablegen der Prüfungen ist nicht altersgebunden. Auch ältere Schüler können ins System mit der Stufe 1 einsteigen. Sollten die Fähigkeiten eines Prüflings bereits ein höheres Level erreicht haben, ist es auch möglich, Stufen zu überspringen und mit einer höheren zu beginnen. Zweimal jährlich werden die praktischen Prüfungen abgenommen. Die geforderten Prüfungsstücke sind in jeweils drei Listen (A, B, C) mit je sechs bis acht Stücken verzeichnet. Ein Proband entscheidet sich für das Repertoire einer Liste, das er zum Zeitpunkt der Prüfung beherrschen muss. Die Prüfungen sind kostenpflichtig, die Gebühren bewegen sich zwischen 57 Euro für das Ablegen der Stufe 1 und 119 Euro für die Stufe 8. Bei sozialen Härtefällen, die im weltweiten Vergleich nicht unbedingt in Deutschland zu finden sind, besteht jedoch die Möglichkeit, Stipendien des ABRSM in Anspruch zu nehmen. Das Board verwendet 16 Prozent seiner Ausgaben dafür, wie im Jahresüberblick von 2008 berichtet wird. Hat ein Kandidat die höchste Stufe mit Auszeichnung bestanden und die Absicht, eine Musikerlaufbahn einzuschlagen, kann er sich mit ruhigem Gewissen an Musikhochschulen weltweit bewerben.

Obwohl das Stufensystem von ABRSM eine solide Grundlage bietet, gibt es freilich keine Garantie, an einer Hochschule immatrikuliert zu werden.
Auch im Berufsleben eines Musikers gibt es die Möglichkeit, sich über das Board zu qualifizieren. Als Königsdisziplin wurden drei voll anerkannte Diplome eingeführt, die inzwischen weltweit Beachtung finden: das Diplom of the ABRSM, das Licentiate of the ABRSM und das Fellow of the ABRSM. Die Diplome können in drei verschiedenen Fachbereichen – Dirigieren, Musikalische Darbietung und Musikpädagogik – abgelegt werden.

Größter Vorteil des ABRSM Prüfsystems ist jedoch die musiktheoretische Prüfung. Das Board ist überzeugt, dass ein fundiertes Wissen und Verständnis der theoretischen Grundlagen der Musik von essentieller Bedeutung für die praktische Musikerausbildung sind. Deshalb müssen Kandidaten neben der praktischen auch die theoretische Prüfung der Stufe 5 bestanden haben, bevor sie zu den Musikexamen der Stufen 6 bis 8 zugelassen werden können. An deutschen öffentlichen und privaten Musikschulen wird vorwiegend auf das Erlernen manueller musikalischer Fertigkeiten Wert gelegt, Musiktheorie wird oft vernachlässigt. 75 Prozent aller im VdM vertretenen Musikschulen führen in „irgendeiner Form“ Leistungskontrollen durch, wie der Verband in seiner Broschüre „Qualität durch Motivation“ (2004) feststellt. Länderübergreifende schriftlich fixierte Prüfungskonzeptionen, wie zum Beispiel der Wettbewerb „Jugend musiziert“, bilden eher eine Ausnahme und sind bei weitem nicht allen Musikschülern zugänglich.

Fortschritte messen

Gerade an kleineren nicht so umfangreich strukturierten Musikschulen in öffentlicher und in privater Trägerschaft könnte das ABRSM Prüfsys-tem die Möglichkeit bieten, die musikalischen Fortschritte der Schüler an einem internationalen Standard zu messen. Musikschulen in Großstädten, die möglicherweise bereits mit Musikhochschulen zusammenarbeiten und potentielle Musikstudenten gezielt auf ein Studium vorbereiten, werden sich mit dem britischen Prüfungssystem eher schwer tun.

Aufgeschlossenheit wird vor allem vom Musikpädagogen erwartet. Von ihm geht die Initiative aus, Schülerinnen und Schüler auf ein Associated Board Examen vorzubereiten. Die Edition Hinrichsen bietet in Leipzig allen an ABRSM interessierten Musikpädagogen wertvolle Hilfe zum Einstieg und zur Weiterbildung an. Jeder Pädagoge, der an der weitergehenden musikalischen Ausbildung eines seiner Schüler interessiert ist, sollte die Möglichkeit zur Information nutzen.

Veranstaltungstipp

17. April 2010, 16.00–18.00 Uhr in der IHK Frankfurt am Main: Vorstellung von ABRSM für interessierte Musikpädagogen (Info bei Edition Hinrichsen, Thomas Stein, Tel. 0341/149 87 44), www.abrsm.org

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