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Keine Zuwendung für kulturelle Quälgeister

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Die Kammerphilharmonie Amadé kämpft um ihre Existenz – auch vor Gericht
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Verwaltungsgerichtsprozesse sind immer Begegnungen zwischen sehr ungleichen Parteien. Auf der einen Seite steht der Staat, vertreten durch Regierungsdirektoren, Amtsräte oder sons-tige Behördenbedienstete, auf der anderen Seite der einzelne Bürger, der sich von staatlichen Stellen ungerecht behandelt fühlt. An diesem Montagmorgen Mitte März geht es im Saal 33 des Kölner Verwaltungsgerichts um „Zuwendungssachen“. Zum Beispiel wehrt sich jemand dagegen, dass ihm das Wohngeld verweigert wurde. Und eine halbe Stunde später versucht sich die Kammerphilharmonie Amadé dagegen zu wehren, dass sie vom Land Nordrhein-Westfalen nicht mehr gefördert wird.

Doch da besteht ein großer Unterschied: Auf Wohngeld hat der Bürger unter bestimmten, klar definierten Bedingungen einen Rechtsanspruch. Aber bei der Kulturförderung geht es um „Mittelvergabe jenseits gesetzlicher Ansprüche“, wie der Richter vorweg erklärte. Insofern war der Ausgang des Verfahrens absehbar. Niemand kann ein Kulturministerium zwingen, ein freies Orchester zu subventionieren. Niemand kann ein Kulturministerium zwingen, eine einmal gewährte Subvention immer weiterzuzahlen. Und vor allem: Niemand kann ein Kulturministerium zwingen, sich gegenüber Künstlern, die nichts haben und alles geben, anständig zu verhalten.

Es geht nämlich bei der Geschichte, die an jenem Märzmorgen vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wurde, nicht nur um Geld, sondern auch um persönliche und politische Machtausübung, um administrative Launenhaftigkeit, um Ton und Stil einer Bürokratie, die zwar den Begriff Kultur im Schilde führt, aber keinen Begriff davon hat, dass diese Kultur nicht von ihr, sondern von Menschen wie Frieder Obstfeld und Christoph Tentrup geschaffen wird. Die beiden sind für die nordrhein-westfälische Kulturbehörde offenbar das, was ein rotes Tuch für einen Stier ist, und dieser Prozeß machte durchaus deutlich, wie sich das in der Praxis auswirkt. Gestritten wurde um rund 17.500 Euro, welche die Kammerphilharmonie Amadé, vertreten durch den Bratschisten Tentrup und den Dirigenten Obstfeld, beim Land als Förderung für ein im Mai 2012 realisiertes Konzertprojekt im Erbdrostenhof in Münster beantragt hatte. Gespielt worden waren Mozarts Divertimento KV 137, Mendelssohns Violinkonzert d-Moll und die Serenade g-Moll von Oscar Straus.

Es war eines von 18 Konzerten im Jahr 2012, mit denen die Kammerphilharmonie Amadé jedesmal ihre hohe künstlerische Qualität beweist. Die kammermusikalische Konzentration, der innige Ton haben für Kritiker, Publikum und nicht zuletzt zahlreiche prominente Solisten, die gern unter dem Sándor Végh-Adepten Frieder Obstfeld aufgetreten sind und weiter auftreten, einen außerordentlichen Erlebniswert. Es ließen sich hier eine Menge Namen und begeisterte Zeugnisse anführen, doch es ist so grotesk wie offensichtlich: Der Rang und die Substanz dessen, was gefördert wird, spielen bei dem ministeriellen Hickhack die geringste Rolle.

Vorzeitiger Maßnahmebeginn

Gestellt worden war der Förderungsantrag Ende Oktober 2011. Im Februar 2012, als Obstfeld mit den Vorbereitungen beginnen wollte, lag noch kein Bescheid vor. Dafür wurde der sogenannte „vorzeitige Maßnahmebeginn“ von der Kölner Bezirksregierung erlaubt. Wer nämlich um öffentliche Förderung ersucht, und ohne abzuwarten drauflosmusiziert, hat schon verloren: Ein „vorzeitiger Maßnahmebeginn“, der nicht extra genehmigt wird, kann zur Versagung aller erhofften Gelder führen. Das hatte die Kammerphilharmonie bei früheren Gelegenheiten schmerzhaft erfahren.

Doch selbst wenn der „vorzeitige Maßnahmebeginn“ gestattet wird, bedeutet das juristisch gar nichts. Das steht sogar fettgedruckt im amtlichen Schreiben. Und so kam es im Juli 2012 für die Kammerphilharmonie Amadé wieder einmal knüppeldick: Das Konzert in Münster lag mehr als einen Monat zurück, die Kosten waren angefallen, da wurde die Förderung abgelehnt, die Finanzmisere des Vereins wuchs noch einen Tick weiter.

So geht es seit der Gründung der Kammerphilharmonie Amadé vor 17 Jahren: der Überlebenskampf dieses freien Orchesters ist ein Kampf zwischen fettgedruckten Behördenbescheiden und einem überirdischen Glauben an die Kunst, ein Kampf zwischen Administration und Inspiration, zwischen permanenter Demütigung und permanenter Selbstermutigung. Das klingt pathetisch und ist doch bloß eine realistische Alltagsbeschreibung der freien Kunstszene.

Zu diesem Alltag gehört, dass man darauf vertrauen muss, die ganzen vorgedruckten Vorsichtsklauseln werden keine Anwendung finden. Wozu dient die Genehmigungsklippe des „vorzeitigen Maßnahmebeginns“, wenn hinterher darauf gepocht wird, diese Genehmigung sei völlig unverbindlich und bedeutungslos? Der Aufführungsbetrieb in Deutschland käme zum Erliegen, wenn man für jede beantragte Förderung erst einen rechtsverbindlichen Zuwendungsbescheid abwarten wollte – im Fall der Kammerphilharmonie Amadé ließ sich die Ministerialbürokratie mit der Bekanntgabe ihrer (selbstverständlich negativen) Entscheidungen zwischen einem halben und einem dreiviertel Jahr Zeit.

Die Gründe für Ablehnungen wechseln: Mal ist es der fehlende Bezug zum Land Nordrhein-Westfalen (der Orchestersitz in Köln reicht nicht aus, Gastspiele in aller Welt von Salzburg bis Tokio werden eher negativ vermerkt), mal sind es Mängel bei den Verwendungsnachweisen. Wie bei jeder Steuerprüfung finden sich natürlich immer fehlerhafte Abrechnungen, die dann augenrollend als Indizien für Unzuverlässigkeit aufgeblasen werden. Ganz schlimm: die Rückdatierung eines Vertrags über 7.000 Euro auf das Jahr 2009, um – wieder einmal – dem Damoklesschwert des „vorzeitigen Maßnahmebeginns“ zu entkommen.

Diese Untat („Belegfälschung“! „Täuschungsversuch“!) war für das Verwaltungsgericht ausschlaggebend. Als der Richter von Subventionsbetrug nach Paragraph 264 StGB sprach und den Bratschisten Tentrup sowie den Dirigenten Obstfeld durchdringend ansah, konnte man schon fast das Klicken von Handschellen hören. In einer Prozesspause konnte man allerdings auch verfolgen, wie der Kulturdezernent der Kölner Bezirksregierung den im Publikum plazierten Praktikanten der Behörde erklärte, welches Entgegenkommen sein Haus doch gegenüber den Vertretern der Kammerphilharmonie bewiesen habe: „Wir hätten eigentlich Anzeige erstatten können.“

„Wir“ – das sind Kulturverwalter, für die es bei dem Prozess um nichts geht. Ihr Auftritt vor Gericht ist bezahlte Arbeitszeit. Sie sind so tiefenentspannt, wie man es bei einer dienstlichen Abwesenheit vom eigenen Schreibtisch in Begleitung interessierter Praktikanten sein kann. Sie wären höchstens dadurch noch etwas zufriedener mit sich und der Welt, wenn sie es nicht mit Künstlertypen vom Schlage Tentrup und Obstfeld zu tun hätten. Für jene geht es nämlich um alles: die nackte Existenz und die künftigen Konzerte. Die persönliche Betroffenheit der Parteien vor Gericht ist eben äußerst ungleich.

Doch während den Orchesterleuten jeder Faux-pas im Management mit Verweis auf die hohe Verantwortung beim Umgang mit Steuergeldern vorgeworfen wird, bleibt das ganz große Chaos auf Seiten der Landesverwaltung außer Betracht: Nordrhein-Westfalens Haushalt wurde 2011 vom Verfassungsgericht annulliert. 2012, während die Kammerphilharmonie 17.500 Euro tiefer in ihr Verderben rannte, hatte monatelang niemand bei der Bezirksregierung Köln Zeit für ein warnendes Telefonat, dass wegen früher eingereichter Belege der Förderungsantrag gefährdet sei. Zugleich fanden in dem überschuldeten Land Neuwahlen statt, ein neuer Haushalt war noch gar nicht in Sicht.

Gewiss, Nordrhein-Westfalen muss sparen. Und wo könnte man leichter den Rotstift ansetzen als bei einem freien Orchester, das keine Stadtverwaltung, keinen Opernbetrieb, keine Rundfunkanstalt und keine Hochschule hinter sich hat? Es grenzt schon an Zynismus, wenn Verantwortliche des Kulturministeriums der Kammerphilharmonie raten, sich doch an eine Kommune zu wenden. Keine einzige wird sich in der gegenwärtigen Situation (fast 90 Prozent aller Städte und Gemeinden in NRW haben einen strukturell unausgeglichenen Haushalt) noch ein Orchester ins Budget holen.

Zynischer Ratschlag

Rätselhaft bleibt indes, weshalb die ministeriellen Entscheidungsträger der Kammerphilharmonie Amadé so übel gesonnen sind, wie es den Anschein hat. Offizielle Erklärungen sind fahrig oder bleiben aus. Es wird gemauert – sowohl gegenüber den Beteiligten als auch der Presse. Die Quälgeister Obstfeld und Tentrup sollen wohl endlich verschwinden. Es wurde ihnen sogar untersagt, Politiker anzusprechen und um Hilfe zu bitten. Allmählich wird es Zeit, die Quälgeister in den Ämtern genauer zu beobachten – mit den Augen der Öffentlichkeit.

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