„Forum Kulturcampus Bockenheim“: Unter diesem Namen haben sich die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (HfMDK) und acht weitere künstlerische und wissenschaftliche Institutionen zu einem Verein zusammengeschlossen. Wie sich die Akteure ihre gemeinsame Zukunft auf dem durch den Umzug der Universität freiwerdenden Gelände rund um das Bockenheimer Depot vorstellen, ist in der aktuellen Ausgabe der Hochschulzeitschrift „Frankfurt in Takt“ zu lesen. Juan Martin Koch sprach mit dem Präsidenten der HfMDK, Thomas Rietschel, über die Perspektiven des bereits im Vorfeld als Jahrhundertchance apostrophierten Projekts.
neue musikzeitung: Wie ist es gelungen, die Politik von der Vision eines Kulturcampus in Frankfurt zu überzeugen?
Thomas Rietschel: Das war ein langer Weg. Diese Grundidee ist ja schon drei Jahre alt; wir haben sie formuliert und an verschiedenen Stellen vorgetragen. Letztlich war es dann der frühere Finanzminister Karlheinz Weimar, der gemeinsam mit der Oberbürgermeisterin Roth den Knoten durchschlagen hat, indem er gesagt hat: Das machen wir. Man hat die Chance gesehen hat, die in einem solchen Projekt steckt.
nmz: Sie sprechen von „wir“: Es gab also von Anfang an einen Zusammenschluss, der Ähnlichkeiten mit dem hat, was jetzt als Verein gegründet wurde?
Rietschel: Ja, und das ist, denke ich, auch eine Frucht der langjährigen Bemühungen der Hochschule, vielfältige Kooperationen einzugehen. Wir haben vor zwei Jahren gemeinsam mit Ensemble Modern, The Forsythe Company, der Hessischen Theaterakademie und dem Mousonturm das Frankfurt LAB gegründet und schon in der Gründungsvereinbarung steht: „mit Blick auf eine gemeinsame Zukunft am Campus Bockenheim“. In der bisherigen Zusammenarbeit haben wir der Politik also zeigen können, dass wir uns nicht über Probenräume und -zeiten zerstreiten, wir haben es geschafft, mit den Ressourcen des Frankfurt LAB friedlich und konstruktiv umzugehen, das hat den Ausschlag gegeben. Man hat gesehen, dass wir uns nicht – wie es manchmal im Kulturleben geschieht – als Konkurrenten bekriegen, sondern als Partner begreifen.
nmz: Welche Perspektiven sehen Sie durch den Kulturcampus zunächst einmal für die Hochschule?
Rietschel: Eine unabhängige Institution hat im Auftrag des Landes bestätigt, dass wir 80 Prozent der Fläche, die wir jetzt haben, zusätzlich benötigen. Wir werden uns also fast verdoppeln. Für uns ist das die Chance, die Hochschule noch einmal komplett neu zu bauen, und das heißt ja auch, sie noch einmal neu zu erfinden. Die zweite Chance besteht darin, dass das Umfeld, in das wir kommen werden, ungemein attraktiv ist: ein Umfeld von Wissenschaft und Reflexion auf höchstem Niveau, ein Umfeld von sehr avancierten künstlerischen Gruppen. Dadurch werden wir auch Partner interessanter internationaler Netzwerke, die unseren Studierenden neue Perspektiven, einen viel weiteren Blickwinkel geben werden, als das bisher möglich war. Das positioniert uns natürlich als Hochschule ganz anders als bisher.
nmz: Wie könnten sich die bisherigen Kooperationen der Hochschule künftig auf dem gemeinsamen Campus weiterentwickeln?
Rietschel: Das Frankfurt LAB mit den oben genannten Mitgliedern wird seinen Sitz auf dem Campus mit eigenen Räumlichkeiten bekommen, einer großen, multifunktional ausgestatteten Theaterhalle und einer Probenhalle. Das LAB wird mit diesen gemeinsam genutzten Räumlichkeiten für zeitgenössischen Tanz, Theater und Musik sicherlich zum Mittelpunkt des Campus.
Mit dem Ensemble Modern haben wir ja schon den gemeinsamen Studiengang, die Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA). Das ist eine seit vier Jahren erprobte Partnerschaft, und auf dieser Basis werden wir den Schwerpunkt Zeitgenössische Musik auf dem Campus weiter ausbauen. Die Forsythe Company kommt mit ihrem Projekt Motion Bank, in dem das Thema Notation im Tanz noch einmal neu aufgegriffen wird, was mit einem hohen Forschungsanteil zum Thema Bewegung verbunden ist. Hinzu kommen die Junge Deutsche Philharmonie und die Hessische Theaterakademie mit ihren Geschäftsstellen.
nmz: Sie sprachen von den künstlerischen Institutionen, auch wissenschaftliche werden vertreten sein.
Rietschel: Das Institut für Sozialforschung, der auch für die Musik so wichtige Ort der Frankfurter Schule, hat seinen Sitz gegenüber dem Campus auf der anderen Straßenseite und wird sich als Partner einbringen. Von diesem reflektierenden Blickwinkel erhoffe ich mir sehr viel, da wird viel Neues entstehen.
Beim großen Komplex Senckenberg staunt man natürlich zunächst: Was hat ein naturforschendes Institut mit angegliedertem Museum in diesem Zusammenhang zu suchen? Wir haben viele Ansatzpunkte entwickelt, die wir gemeinsam angehen können, wie zum Beispiel das Thema „Sinne“, das für Senckenberg eine ganz große Rolle spielt und für die Kunst natürlich auch. Es wird Veranstaltungen der künstlerischen Institutionen im Museum geben – ein sehr reizvoller Ort –, umgekehrt können wir uns gut vorstellen, dass Teile der Sammlung auf dem Campus sichtbar werden. Die Anziehungskraft des Museums – 500.000 Zuschauer jährlich – wird sich mit dem Campus verbinden. Und schließlich zieht das das Hindemith Institut auf den Campus: hier wird editorisch auf höchstem Niveau an der Hindemith-Gesamtausgabe gearbeitet und der Nachlass Paul Hindemiths verwahrt und lebendig gehalten.
nmz: Worin sollen die Synergien des gemeinsamen Standortes genau bestehen? Welche Inhalte sollen ihn mit Leben füllen?
Rietschel: Jede Institution wird ihre erfolgreiche Arbeit auch auf dem Campus fortführen wie bisher. Wir sind ja neun erfahrene und erfolgreiche Einrichtungen, alle mit internationaler Ausstrahlung. Jede Institution wird aber auch die Nähe nutzen, um ihre Pflichtaufgaben durch die Einbeziehung von Partnern besser zu lösen. Schließlich haben wir vier Themenfelder definiert, die wir in Zukunft gemeinsam bearbeiten wollen: „Zukunft der Musik und der Darstellenden Kunst“, „Ausbildung“, „Kunst und Wissenschaft“ sowie „Vermittlung von Kunst und Wissenschaft in die Gesellschaft“, wobei diese Themenfelder auch miteinander zusammenhängen.
So geht es in der „Internationalen Ensemble Modern Akademie“ um Ausbildung und die Zukunft der zeitgenössischen Musik. Etwas Ähnliches schwebt uns vor im Bereich der Darstellenden Kunst: Wir wollen einen Masterstudiengang, der Studierende aus allen Bereichen der Darstellenden Kunst zusammenführt, die dann unter der Leitung von Gastprofessoren gemeinsame Projekte konzipieren, entwickeln und durchführen. Für solche Vorhaben ist der Campus ein idealer Ort. Im Bereich „Kunst und Wissenschaft“ wollen wir Themen setzen und gemeinsame Forschungsvorhaben initiieren und Symposien veranstalten. Da werden die wissenschaftlichen Institutionen federführend sein zusammen mit den Wissenschaftlern aus unserem Haus. Darüber hinaus träumen wir den Kulturcampus als einen lebendigen Kulturort mitten in der Stadt. Im Moment wird intensiv darüber diskutiert, wie man den Campus an die angrenzenden Stadtteile Bockenheim und Westend andockt. Da werden auch Vermittlungsprojekte eine wichtige Rolle spielen, also eine Fortsetzung dessen, was wir ja auch bisher schon tun.
nmz: Wie werden die beteiligten Institutionen Einfluss auf die architektonische Umsetzung und auf das Umfeld mit Wohnbebauung, Geschäften und Gastronomie nehmen können?
Rietschel: Der Planungsprozess ist natürlich sehr kompliziert. Es gibt viele verschiedene Akteure: das Land, die Stadt, Bürgerinitiativen, die Kulturinstitutionen …
Bisher kamen die wesentlichen Ideen für die Gestaltung des Campus von uns. Deshalb werden wir mit allen Partnern eine Planungswerkstatt durchführen. Da wollen wir zunächst internationale Beispiele in den Blick nehmen: das Museumsquartier in Wien oder den Kunstcampus deSingel in Antwerpen und auf deren Erfahrungen zurückgreifen. Dann muss mit allen Akteuren ein gemeinsames Konzept entwickelt werden, und erst danach können die Stadtplanung und die Architekten ihre Arbeit beginnen. Wir wollen einen großen Wurf aus einem Guss, und der gelingt nur, wenn wir genau sagen können, was wir brauchen und wollen.
nmz: Wie ist die zeitliche Perspektive?
Reitschel: Der Zeitplan wird gerade heftig diskutiert, er hängt ja vom Umzug der Universität ab, und ich kann da im Moment keine konkreten Aussagen machen. Wichtig ist, dass es in der momentanen Diskussion keine Alternative mehr zum Kulturcampus gibt, dass sich Stadt und Land bereits jetzt darauf festgelegt haben. Mein Ziel ist, dass wir als Hochschule das erste Bein in drei Jahren dort stehen haben. Die Entstehung des Campus wird sicher ein Prozess von längerer Dauer sein.
Die Unterstützung in Frankfurt und der Region für die Idee des Kulturcampus ist groß, durch alle Parteien. Durch die Qualität seiner Partner wird dieser Campus international leuchten, und auch auf Landesebene hat man erkannt, dass sich die Metropolenregion Frankfurt/Rhein-Main damit hervorragend positionieren kann. Für Hessens Hochschule für Musik, Theater und Tanz ist es eine Jahrhundertchance, die wir natürlich gerne mit beiden Händen ergreifen.