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Kulturabbau oder Stabilität in Thüringen?

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Die Diskussion über das Konzeptpapier „Perspektive 2025“ läuft auf Hochtouren
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Im Dezember 2015 hatte Thüringens Staatsminister Benjamin-Immanuel Hoff (Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten) mit den regional Verantwortlichen zu Podiumsdiskussionen im Theater Altenburg (1.12.), Theater Gera (8.12.), Altes Rathaus Jena (10.12.), Theater Nordhausen (14.12.), Theater Weimar (15.12.) und Theater Erfurt (21.12.) eingeladen.

Politiker, Theaterschaffende, Orchestermusiker und Publikumsvertretungen erörterten Hoffs Konzeptpapier „Perspektive 2025“. Die darin genannten Fakten und Handlungsempfehlungen betrachteten viele als Kürzungsdirektiven mit Freischuss zum Personalabbau. Der Minister will für die Theater- und Orchesterlandschaft Thüringens eine zukunftsfähige Bestandsstabilität und zwar – das ist an Hoffs Entwurf das Besondere – über das Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode hinaus. Weichenstellungen zur stufenweisen Erhöhung der niedrigen Gehaltsbezüge hin zum überall gültigen Flächenvertrag sollen in der nächsten Finanzierungsperiode nach dem 31.12.2016 eingeleitet werden. Flankiert wurden die Podiumsdiskussionen auch von einem offenen Brief Studierender der Hochschule für Musik Weimar, in dem sie sich als Futter für einen strangulierten Kulturmarkt zeigten. Vor allem aber durch heftige und lautstarke Kritik von Orchestervorständen und Betriebsräten.

Die bereits jetzt extrem dünne Personaldecke mit chronischer Belastung der Bühnenschaffenden ist bekannt. Nahezu alle Betroffenen sind davon überzeugt, dass sie den Kulturauftrag nach Beginn der Reformen nicht mehr im gehörigen Umfang bewältigen können: In Weimar fürchtet man Identitätsverlust, in Jena schleichende Erosion, in Gera Ausdünnung des Angebots und in Eisenach den Verlust einer kulturellen Gegenwart. Das spiegelt auch die Traumatisierung nach der ersten Schließungs- und Fusionswelle vor 2000.

Hoff hat sein erstes Ziel erreicht: Die streithafte Diskussion über Bestand, Erhalt und Zukunft Thüringer Theater und Orchester an der direkten Front mit Machern, Trägern, Publikum und Medien – nicht über diese hinweg. Er will niemanden in Angst um den Arbeitsplatz versetzen, die Träger stellen „nur“ weichen Personalabbau in Aussicht. „An die Vorbereitung erster Strukturänderungen ab März 2016 ist jetzt wohl noch nicht zu denken“, meinte Guy Montavon, Generalintendant des Theaters Erfurt, im direkten Gespräch am 07. Januar Denn jetzt liegt zuerst die Entscheidung bei den Städten und Landkreisen, in welcher Höhe sie zukünftig Fördermittel investieren. Auch die Landkreise, aus denen zwar Zuschauer, aber bisher (noch) kaum Finanzspritzen kommen, sollen sich verstärkt beteiligen.

Intensiver Diskussionsbedarf besteht zwischen Politikern und Machern noch immer in Hinblick auf die künstlerische Programmierung. Kooperationen mit mittelfristiger Fusion, wie sie sich Michaele Sojka (Landrätin Altenburger Land, Die Linke) als Basis für Massen-events der vereinten Philharmonien Altenburg-Gera und Jena für die Thüringer Peripherie der Metropolregion Leipzig vorstellt, will keine Intendanz. Dennoch: Das zu gewinnende Tourismus-Potential sei noch lange nicht ausgeschöpft. Wo sich einige Politiker in Thüringen auf andernorts längst abgegraste Event-Weiden freuen, geht es Montavon und seinen Kollegen im Gegenzug um Qualität und überregionale Profilierung. Er hält in Erfurt eine verdichtete Zusammenarbeit mit dem Theater im Waidspeicher und eine eigene kleine Tanzcompany für möglich, also Spartenerweiterungen. Von Weimars Intendant Hasko Weber kam mehrfach ein lautes, deutliches Nein zur erwogenen Fusion der Nationalkapelle Weimar und der Philharmonie Erfurt.

Kay Kuntze, Generalintendant des Theaters Altenburg-Gera, begrüßte ausdrücklich, dass kein Spartenabbau wie zehn Jahre früher angedacht ist. Steffen Mensching, Intendant des Theaters Rudolstadt, spricht von unvermeidbaren Veränderungen im Programmangebot und will sich erst nach anderen, sein Haus betreffenden, Vorentscheidungen positionieren. Zu diesen gehört, ob das Schauspiel Eisenach selbständig bleiben wird. Eine ebenso brisante Frage ist, ob die derzeit mit 24 Stellen besetzte Landeskapelle Eisenach mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt (59 Musiker) oder mit der Thüringen Philharmonie Gotha (derzeit 53 Stellen) fusionieren soll. Ansgar Haag, Generalintendant von Das Meininger Theater (und damit auch des Theaters Eisenach), favorisierte in einer aktuellen Stellungnahme die Orchester-Kooperation Eisenachs mit Gotha und damit neben der Konzertprogrammierung auch Vorteile für das Ballett Eisenach.

Sie alle betrachteten Hoffs „Perspektiven 2025“ als diskussionswürdig und notwendig. Dennoch ist neben der Nichtbesetzung frei werdender Stellen der künstlerische Verdienst das heiße Eisen. Minister Hoff will einen einheitlichen Flächentarifvertrag, der die bis an die Armutsgrenze herabreichenden Haustarifvertrag-Verhältnisse ausschaltet. Regelungen auf Gehaltsverzicht bewegen sich derzeit zwischen 4 Prozent abzüglich vom Flächenvertrag zum Beispiel beim Loh-Orchester Sondershausen (mit weiteren 4 Prozent Verzicht finanzieren die Musiker zwei weitere Stellen) und sogar 22 Prozent bei der Landeskapelle Eisenach. Eine Verringerung der Bezüge würde auch eintreten, wenn zum Beispiel das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera von derzeit 73 auf die Plangröße von 66 Stellen verkleinert würde – und damit von B in die Kategorie C absteigt.

Es sind vor allem die Orchestervorstände, die mit der Verkleinerung ihrer Einrichtungen das Ende einer kulturellen Breitenversorgung fürchten. Personalplan und -struktur der Opernchöre und Musiktheater-Ensembles wurden allenfalls am Rande thematisiert. Guy Montavon freut sich dennoch auf die Produktion der „Meistersinger von Nürnberg“ im Frühjahr 2016 in Kooperation mit dem Nationaltheater Weimar und verweist vorsichtig auf Sensibilitäten zwischen der Landeshauptstadt Erfurt und der traditionell exponierten Klassikerstadt Weimar.

Qualitäts- und Traditionsbewusstsein haben mit guten Gründen alle Thüringer Orchester und Bühnen, ohne Ausnahme. Umso bedauerlicher ist, dass in den Profilierungsdebatten mitunter gegenseitige Attacken über Ressourcen, Potenzial, Output und Qualität fielen. Mehrfach wurde nicht bedacht, dass Hoffs Thesen die Weiterführung bestehender Positionen immer als eine reale Möglichkeit beinhalteten. Einrichtungen, bei denen der Status quo unverändert fortgeführt wird, erhalten eine Finanzierungsvereinbarung bis zum 31. Dezember 2020.

Dazu entschlossen sich bereits die vier Gesellschafter des Theaters Nordhausen, von dort teilte der Ende der Spielzeit nach Schwerin scheidende Intendant Lars Tietje mit: „Für eine Fortführung der Struktur wird die Erhöhung der jährlichen Zuschüsse in siebenstelliger Höhe sowie voraussichtlich auch ein erneuter Gehaltsverzicht der Mitarbeiter/-innen per Haustarifvertrag erforderlich werden.“

Vorerst ist also zwischen den Pfeilern für Erhalt und angemessene Entlohnung der Musiker und Künstler noch keine unmittelbare Änderung in Sicht. Konkrete Beschlüsse im kommenden Sommer werden sich erst auf die Planungen für die Spielzeit 2017/18 künstlerisch und wirtschaftlich auswirken.  Änderungen von Positionen und Plänen sind jederzeit denkbar.

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