Der Deutsche Bühnenverein appelliert in einem Brief an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, dass bei entsprechend niedriger Inzidenzzahl die Öffnung von Theatern, Museen und Konzerthäusern vorrangig ins Auge gefasst werde. Wir dokumentieren das Schreiben des Bühnenvereinspräsidenten Carsten Brosda sowie der Intendant*innengruppen-Vorsitzenden Kathrin Mädler und Hasko Weber an die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Wortlaut.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,
zurzeit beraten Sie über Stufenkonzepte zur Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen. Dass diese nicht an ein festes Datum, sondern an entsprechend niedrige Inzidenzzahlen und perspektivisch an den steigenden Impfschutz zu knüpfen sind, ist ein nachvollziehbarer Weg, der auch dem nach wie vor schwer einschätzbaren Einfluss der Virusmutationen auf die Pandemieentwicklung Rechnung trägt.
Wir appellieren jedoch dringend, dass bei entsprechend niedriger Inzidenzzahl die Öffnung von Theatern, Museen und Konzerthäusern vorrangig ins Auge gefasst wird. Bereits seit Ende Oktober 2020 müssen die Bürger*innen auf Kunst und Kultur verzichten. Dadurch fehlen unserer Gesellschaft zentrale Orte des soziokulturellen Miteinanders, der wertebildenden Orientierung und des Diskurses in unserer Demokratie.
Auch auf Grund dieser gesellschaftlichen Bedeutung von Kunstschaffen und Kunstpräsentation nimmt die Kunstfreiheit im Grundrechtskanon als schrankenlos gewährleistetes Grundrecht eine besonders privilegierte Stellung ein. Im Unterschied zum Beispiel zur Gewerbefreiheit und zum allgemeinen Freiheitsrecht dürfen Einschränkungen der Kunstfreiheit nur erfolgen, wenn diese mit einem anderen Grundrecht, wie dem auf körperliche Unversehrtheit in Konflikt gerät. Und auch dann muss die verfügte Beschränkung zwingend erforderlich sein, weil keine milderen Mittel in Form von Auflagen in Frage kommen. Bei einem Rückgang des Infektionsgeschehens muss also vorrangig geprüft werden, ob Kultureinrichtungen unter bestimmten Bedingungen wieder geöffnet werden können.
Eine frühe Öffnung der Kultureinrichtungen entspräche auch den infektiologischen Erkenntnissen zu Ansteckungsrisiken in Innenräumen. Wie zuletzt eine Studie des Hermann-Rietschel-Instituts an der TU Berlin belegt, ist das Infektionsrisiko in Theaterräumen dank hervorragender Lüftungsanlagen und wirkungsvoller Schutzmaßnahmen signifikant niedriger als in Einzelhandel, Mehrfachbüros, Sporthallen oder Restaurants. Durch den Einsatz regelmäßiger Schnelltestungen kann zudem die Sicherheit von Künstler*innen wie Publikum erhöht und die Kontaktnachverfolgung per Smartphone durch entsprechende Apps mit Schnittstellen ins Gesundheitsamt erheblich erleichtert werden.
In den nächsten Monaten wird es darum gehen, wie wir mit dem Virus leben lernen. Es gilt nicht länger in Stillstand zu investieren, sondern in Maßnahmen, die gesellschaftliches Leben schnellstens wieder ermöglichen und selbstständigen wie fest engagierten Künstler*innen die Grundlage ihres Schaffens zurückgeben. Konzepte wie das „Manifest Restart“ des Forums Veranstaltungswirtschaft oder der von Experten verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen erarbeitete Leitfaden „Rückkehr von Zuschauern und Gästen. Ein integrierter Ansatz für Kultur und Sport“ weisen dazu bereits verantwortungsvolle Wege.
Wir möchten Sie dringend bitten, diese grundrechtlichen Erwägungen und die konzeptionellen Vorarbeiten zu einem sicheren Kulturveranstaltungsbetrieb bei Ihren Erwägungen zu einer stufenweisen Öffnung des gesellschaftlichen Lebens zu berücksichtigen. Wir sind überzeugt davon, dass unsere Gesellschaft gerade jetzt kulturelle Interventionen und Inspirationen braucht – und dass wir diese auch sicher gewährleisten können.
Mit freundlichen Grüßen
- Dr. Carsten Brosda, Präsident
- Kathrin Mädler, Vorsitzende der Intendant*innengruppe
- Hasko Weber, Vorsitzender der Intendant*innengruppe