Beim Festival für Stadtplanung und Landschaftsarchitektur „Lausanne Jardins“ im Oktober feiert das Kollektiv Hörstadt dieses Jahr sein 10-jähriges Bestehen. Gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten Susann Ahn, Matthias Vollmer und Philipp Urech nimmt das Kollektiv an dem Festival rund um das Bächlein Vuachère in der französischen Schweiz teil. Mit Hilfe von über 20 Meter langen Hörrohren will Hörstadt das etwas abseits der Stadt fließende, schlecht zugängliche Gewässer für die Besucherinnen und Besucher ästhetisch erfahrbar machen.
Hörstadt bezeichnet sich selbst als „Labor für Akustik, Raum und Gesellschaft“ und trat erstmals mit der Veröffentlichung verschiedener Beiträge zur Akustik im Architektur-Magazin „Modulor“ 2008 in Erscheinung. Der Komponist und Schallkünstler Peter Androsch, Initiator und Leiter der Initiative, sowie Florian Sedmak und Anatol Bogendorfer schrieben dort über die Bedeutung von akustischer Raumgestaltung in der Architektur. Es folgten die Initiative „Beschallungsfrei“ gegen Hintergrundmusik im öffentlichen Raum, die Hörstadt gemeinsam mit der Katholischen Kirche und mehreren Gewerkschaften in Österreich ins Leben rief, und die erste Auszeichnung des „akustisch bösesten Unternehmens“ mit dem Negativpreis „Zwangsbeschaller“. Erster Preisträger war eine Linzer Filiale der Modekette Pimkie.
Die erste „reale“ Hörstadt wurde Linz. Die Europäische Kulturhauptstadt 2009 hatte beschlossen, die „Linzer Charta“ umzusetzen. Darin hatte Hörstadt Richtlinien für die Gestaltung von Schall und den Umgang mit Lärm im öffentlichen Raum entwickelt. Linz setzte sich damit unter anderem zum Ziel, Bau- und Raumentwicklung auch als akustischen Prozess zu begreifen. Man wollte dauerhafter Beschallung im öffentlichen Raum, beispielsweise in öffentlichen Gebäuden oder Verkehrsmitteln, entgegenwirken, Hörbeeinträchtigten mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, Hörkompetenz stärker in den Fokus der (frühkindlichen) Bildung rücken und grundsätzlich verantwortungsvoller und innovativer mit dem Thema umgehen – etwa mit neuen Ideen zur Lärmbekämpfung. Mit zahlreichen Projekten und Kunstaktionen machte Hörstadt darauf aufmerksam. Besonders beliebt: Die öffentlichen „Ruhepole“ im Mariendom und im Centralkino. In diesen gemütlichen Ruheräumen konnten die Besucherinnen und Besucher mitten in der lärmenden Stadt die Stille genießen. Das Anliegen der Hörstadt war aber nicht, Geräusche grundsätzlich zu minimieren, sondern vor allem einen bewussteren Umgang mit der alltäglichen akustischen Umgebung zu fördern. Bei den sogenannten Hörspaziergängen mit dem Klangarchitekten Andres Bosshard, aber auch auf eigene Faust konnten akustisch bemerkenswerte Orte, „Hörenswürdigkeiten“, in Linz entdeckt und erlebt werden. Als „Welt des Hörens“ wurde außerdem das Akustikon eingerichtet. Den über 14.000 Besuchern während des Kulturhauptstadtjahres sollten hier Theorien zur Akustik vermittelt, aber auch zahlreiche Experimente zur eigenen Erforschung des Themas geboten werden.
Die nächste große Hörstadt-Station wurde 2012 Murau in der Steiermark im Rahmen des Kunstfestivals „Regionale zwölf“. Unter dem Motto „Die Stadt als akustisches Labor“ wurde dort beispielsweise eine Schallschleuse gebaut, in der die Besucher die Auswirkungen eines schalltoten Raumes auf die eigene Sinneswahrnehmung erforschen konnten.
In der Reihe „Hörstadtgespräche“ im Linzer Regionalsender DORF TV diskutiert das Kollektiv seit 2013 mit Gästen aus den verschiedensten Bereichen. So waren etwa Peter Payer vom Technischen Museum in Wien zum Thema „Klangraum Stadt“ oder Prof. Thomas Macho von der Kunstuniversität Linz zum Thema „Acoustic Turn – Sehen und Hören in der philosophischen Debatte“ zu Gast.
Summer of Sounds
Im Jahr 2014 widmete sich Hörstadt der österreichischen Hauptstadt. Neben einem akustischen Konzept zur Sanierung des Parlaments, das sich bereits 2009 für „beschallungsfrei“ erklärt hatte, gestaltete die Initiative dort den „Summer of Sounds“ im Museumsquartier. In Kooperation mit dem Architekturzentrum Wien leitete Peter Androsch hier eine „ArchitekTOUR“, die in den historischen Sitzungssaal des Parlaments, in einen reflexionsarmen Raum und einen Hallraum des Technologischen Gewerbemuseums und in einen Wohnbau in der Universumstraße führte. Im selben Jahr feierte „Sonotopia“ bei der Ars Electronica in Linz Premiere. Das Hörstadt-Projekt macht Gebäude zum Orchester – die Instrumente sind einzelne architektonische Bausteine wie Regenrinnen, Fenster oder Gewölbe.
Mit „Land und Laute“ gestaltete Hörstadt 2015 eine eigene Sendereihe für den Kulturradiosender Ö1. Die zentrale Frage dabei: „Wie klingt Österreich?“ 2016 wurde die Reihe unter dem Motto „Akustische Attacken“ weitergeführt.
Peter Androsch lud derweil auch in Regensburg zu mehreren Hörspaziergängen im Rahmen des dortigen kulturellen Jahresthemas 2016 „Stadtgestaltung“ ein. Daneben führte er eine Gesprächsreihe unter anderem mit dem Stadtheimatpfleger Werner Chrobak über das laute Vorlesen und die Klänge der Gedanken im Historischen Museum. Mit der Audio-Videoinstallation „Die Mieterin“ von Anatol Bogendorfer war Hörstadt im gleichen Jahr auch bei den Architekturtagen in Hohenems zu Gast. In Linz fing Hörstadt mit „Resurrexit – Translokale Monumente“ die Akustik von öffentlichen Räumen ein, um sie für die Nachwelt zu erhalten. In der verlassenen Anton Bruckner Privatuniversität und an der Linzer Eisenbahnbrücke, die inzwischen abgerissen wurde, machte das Kollektiv Tonaufnahmen, mit deren Hilfe die Räume später wieder „akustisch betreten“ werden können.
Im September 2017 fand in Regensburg erstmals das von Peter Androsch und Wolfgang Neiser ins Leben gerufene REVERB-Festival in Kooperation mit Hörstadt statt. Das eintägige Festival möchte in zahlreichen Beiträgen zeitgenössischer Musik die Symbiose von Musik, Hall und Raum in der für ihre außergewöhnlich gute Akustik bekannten Minoritenkirche aus dem 13. Jahrhundert erforschen. Am 21. September 2019 ist das Klangspektakel erneut zu erleben.
Im letzten Jahr wurde Feldkirchen an der Donau zur Pilotgemeinde des Projekts „Hörbar Lebenswert“. Mit dem Umweltressort des Landes Oberösterreich und dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus erarbeitete Hörstadt hier eine akustische Entwicklungsstrategie für Kommunen.
Inklusive Akustik
Ein weiterer Meilenstein: Die Studie „Grundlagen einer Inklusiven Akustik“. Darin untersuchen Peter Androsch und Reinhard Kren auf der Grundlage von Experteninterviews die gesellschaftliche Bedeutung von Schall. Welche Bedürfnisse durch Schall befriedigt werden, wie möglichst alle Individuen diese Bedürfnisse befriedigen können – auch vor dem Hintergrund der Inklusion sinneseingeschränkter Menschen – und was eine solche „Inklusive Akustik“ für die Gesellschaft – gerade im Bezug auf Gesundheitsförderung – leisten kann, sind die wichtigsten Fragestellungen der Studie. Sie formuliert daher das Ziel, öffentliche Räume so zu gestalten, dass die Akustik „menschengerecht konfiguriert“ werden kann, wobei die Schwierigkeit auch in den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen aller Individuen liege.
Mit Hörspaziergängen in zahlreichen Städten, Beiträgen zu Ausstellungen, regelmäßigen Vorträgen und Publikationen, Kooperationen mit anderen Initiativen wie dem Netzwerk Junge Ohren oder der Lärminitiative Konstanz und verschiedenen Rundfunk-Formaten ist die Initiative um Peter Androsch seit nunmehr zehn Jahren sehr aktiv vor allem im deutschsprachigen Raum. Man darf also gespannt sein, wie es nach dem diesjährigen REVERB-Festival und dem Projekt bei den „Lausanne Jardins“ mit Hörstadt weiter geht.