Dass „gut gemeint“ in der Bildungspolitik noch lange nicht „gut gemacht“ bedeutet, zog sich in Hinblick auf Ganztagsschule und G8 als roter Faden durch die Hauptarbeitstagung (HAT) des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM). In diesem Jahr feiert der Trägerverband der öffentlichen (meist kommunalen) Musikschulen Deutschlands sein 60-jähriges Bestehen. Er umfasst 920 Musikschulen mit mehr als 1 Million Schüler.
Unter dem Motto „Musikschule – Bildung mit Zukunft“ traf man sich am 11. und 12. Mai in der Musik- und Kongresshalle Lübeck (MuK). Bestimmt wurde die Tagung nicht durch Lamentieren, sondern durch Definition konkreter Lösungen. Und so betonte der VdM-Bundesvorsitzende, Winfried Richter, Tagungsschwerpunkt sei „die gemeinsame Verantwortung von Schulen und Musikschulen für die musikalische Bildung“. Voraus ging jedoch die schonungslose Analyse: So beklagte Senator Ties Rabe, Präsident der Kultusministerkonferenz, das Sterben von Musikschulen und Sportvereinen, weil „Ganztagsschule alles aufsauge“, und Schleswig-Holsteins Bildungsminister, Ekkehard Klug, betonte, Schule dürfe nicht den „Ausschluss musikalischer Bildung“ zur Folge haben. Auf den Punkt brachte es Rainer Dollase (Universität Bielefeld) in seinem Eröffnungsvortrag, in dem er unter dem Motto „PISA war gestern“ den Unsinn einer für alle Schüler/-innen verpflichtenden Ganztagsschule konkret darlegte.
So habe die Politik unter ideologischen Gesichtspunkten die PISA-Ergebnisse benutzt, um in Deutschland ein im Ausland aufgrund anderer Traditionen entstandenes Ganztagsschul-System einzuführen. Allerdings sage PISA nichts Belastbares zur Systemfrage aus: Um festzustellen, welches System gut ist, bedürfe es empirischer Forschung sowie der Zusammenführung in Meta-Analysen. Nachgewiesen sei, dass die Schulstruktur sekundär ist, primär hingegen die Qualität von Lehrkräften und deren zwischenmenschlichem Kontakt zu den Schüler/-innen. Auch das Curriculum rangiere in der Bedeutung für den Lernerfolg noch weit vor der Schulstruktur. Als gewichtigen Punkt nannte Dollase das gesamte Lernumfeld: In der Ganztagsschule seien die Schüler/-innen über den vollen Tag Gruppen- und Rollenzwängen, Mobbing und so weiter ausgesetzt. Allein der Ortswechsel beispielsweise in die – außerhalb des Schulcampus gelegene – Musikschule wirke als Befreiung und schaffe eine erheblich verbesserte Lernvoraussetzung. Zwar würde Ganztagsschule Kindern bildungsferner Familien neue Chancen eröffnen, zugleich jedoch bestehende Chancen von Kindern bildungsnaher Familien beschneiden oder zerstören. Insoweit handele es sich bei der Ganztagsschule um eine „problemschaffende Problemlösung“.
Mit der Verabschiedung der „Lübecker Erklärung“ (siehe Seite 23) wurde ein zurückliegender von der Öffentlichkeit überwiegend mit Kopfschütteln beobachteter zwischenverbandlicher Streit über Handlungs- und Deutungshoheiten zum Begriff „Musikunterricht“ – hoffentlich endgültig – beerdigt: „Gemeinsam für Musikalische Bildung“ lautet die Überschrift des Papiers, mit dem sich die beiden Schulmusiker-Verbände VDS und AfS (welche wohl eine baldige Fusion avisieren) sowie der VdM trilateral zu gemeinsamer gleichberechtigter Verantwortung und zu spartenspezifischer Aufgabenverteilung bei zielorientierter Kooperation bekennen.
Einigkeit suggerierte die von Barbara Haack fachkundig moderierte Podiumsdiskussion bereits durch das Thema „Musikschule und Schulmusik in gemeinsamer Verantwortung für musikalische Bildung“. Und in der Tat übten sich die Vertreter von AfS (Michael Pabst-Krueger), VdM (Ulrich Rademacher, Winfried Richter) und VDS (Ortwin Nimczik) im Schulterschluss, so zum Beispiel bei Ablehnung des Dreisparten-Schulfachs „ästhetische Bildung“, welches das Fach Musik unter die Räder kommen lasse. Auch die oben genannten Aussagen von Rainer Dollase wurden weitgehend bestätigt. Intensive Thematisierung erfuhr das „Schwarze-Peter-Spiel“ Land/Kommune: Es könne nicht sein, dass die vom Land zu finanzierende schulische Pflichtaufgabe Musikunterricht offen oder verdeckt auf die kommunal- und nutzerentgelt-finanzierte Musikschule abgewälzt wird. Und schon gar nicht könne es sein, dass Aufgaben und Tätigkeiten beamteter oder festangestellter Schul-Lehrkräfte auf prekär beschäftigte kommunale Musikschul-Honorarkräfte verlagert werden. Ebenfalls bestand Einigkeit, dass keine Musik-Lehrkraft, egal ob in Schule oder Musikschule, unterhalb von A 13 bezahlt werden dürfe.
Bleibt zu wünschen, dass Politik und Exekutive all dies zur Kenntnis nimmt. Für die konkrete Umsetzung solcher als richtig erkannter Punkte forderte der durch Prof. Dr. Angela Faber vertretene Deutsche Städtetag „Systemische Veränderungen“. Dem kommt entgegen, dass den Verantwortlichen nunmehr das neue KGSt-Gutachten Musikschule (siehe nmz 6/11, Seite 11) zur Verfügung steht.
Eine Vielzahl weiterer Themen wurde im Plenum behandelt oder in Foren und Workshops vertieft, von Qualitätsmanagement bis Bildungspaket, von Statistik bis Corporate Design. Ein umfangreiches Musik-Programm sowie die Veranstaltungen des Deutschen Musikschultages rundeten die Tagung ab und brachten die wunderschöne Hansestadt Lübeck zum Klingen. (Weitere Berichte in der nächsten nmz-Ausgabe.)