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Mit Cello-Musik gegen Mißstände auf der Straße

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Zu Thomas Beckmanns Obdachlosen-Aktion „Gemeinsam gegen Kälte“
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In der nmz 3/97 konnten Sie einen kurzen Beitrag in der Rubrik „Cluster“ über die groß angelegte Aktion „Gemeinsam gegen Kälte“ lesen, die Beckmann ins Leben gerufen hat. Fragen wurden da aufgeworfen, Zahlen genannt, die viele der Leser aufmerksam machten und interessierten, so daß wir uns mit Beckmann in seiner Geburts- und Wohnstadt Düsseldorf trafen, um genauer zu erkunden, wie die bundesweite Konzertreihe „Gemeinsam gegen Kälte“ nun wirklich angenommen und finanziert wurde. Als der Düsseldorfer Cellist Thomas Beckmann vor mehr als vier Jahren erstmals eine Aktion für Obdachlose in Düsseldorf ins Leben rief, hielten ihn einige Leute für von der ach so hehren Musikszene ins Lager der vermeintlich Wohltätigen abgerutscht, die man irgendwie bewundert, mit denen man aber nicht wirklich zu tun haben will. Thomas Beckmann, der Cellist, der allein mit seiner Interpretation der Cello-Werke von Charlie Chaplin über Nacht zu einem Begriff in der Musikwelt geworden war, sammelte nun Geld für Schlafsäcke. Doch zuvor ein Blick zurück: Schon 1993 initiierte Thomas Beckmann das Projekt „Schlafsack für Obdachlose“ oder „Konzerte gegen Kälte“. Wie kam er zu dieser Idee? „1993 sah ich eine Fernsehsendung, in der die damalige Bauministerin Irmgard Schwaetzer mitteilte, daß man Gelder bereitgestellt hätte, die den Obdachlosen Unterkünfte zusichern sollten. Diese Gelder sollten dann an die Länder gehen. Die Sitzung fand am 15. Dezember des Jahres statt. Das alles fand ich derart abstrakt und bekam die Ansicht, daß man das zumindest für den Raum Düsseldorf selbst in den Griff bekommen könnte.“ Daraufhin hatte Beckmann Firmen kontaktiert, einen Aufruf über die Medien publiziert und auch selbst Schlafsäcke gekauft und diese verteilt. Dabei wollte er natürlich auf die bestehenden Strukturen zurückgreifen, auf die Stadt, die Wohlfahrtseinrichtungen sowie die Kirchen. Beckmann organisierte nach einem Gespräch am „runden Tisch“ preiswerte Einkaufsmöglichkeiten für die Schlafsäcke, die ansonsten ein Mehrfaches gekostet hätten. Bereits eine Woche nachdem die Idee geboren war, konnte jeder Obdachlose sich in den Tagesstätten der Diakonie, den Nachtunterkünften und anderen bekannten Stellen einen Schlafsack abholen. Der erste erfolgreiche Schritt war getan. Schon nach ein paar Tagen waren 100 Schlafsäcke abgeholt worden. Immerhin konnte Beckmann 1993 schon 30.000 Mark Spenden zusammenbringen. Durch die intensive Nutzung innerhalb der drei Wintermonate benötigen diese Obdachlosen jedes Jahr einen neuen Schlafsack. Entsprechend hat Beckmann auch im Winter 1995 diese Aktion wiederholt – und wieder mit Erfolg: „In diesem Jahr haben wir bislang schon 42.000 Mark Spendengelder zusammenbekommen“, konnte er glücklich im Februar 1995 vermelden. Es war bereits mehr, als man für Schlafsäcke benötigte. Die restlichen Gelder flossen in Wiedereingliederungsaktionen für die Obdachlosen, denn der Sinn, der hinter dieser Aktion steht, ist klar: „Die Menschen sollen nicht auf der Straße liegen. Und damit übernimmt der Schlafsack auch eine andere Funktion: Die öffentlichen Hilfesysteme – in denen die Schlafsäcke ja ausgegeben werden – anzunehmen.“ Das Projekt entwickelt sich Die ersten Erfolge spornten Beckmann nur an, befriedigten ihn aber noch lange nicht, denn er sah, welchen Erfolg allein das Aufmerksammachen auf einen Mißstand haben kann, zumindest für die Obdachlosen. Dennoch versteht er sich nun nicht als hauptamtlicher „Helfer der Schwachen“, nur deshalb, weil er nicht die Augen verschließen wollte und gehandelt hat. „Ich bin Musiker, und ich wollte ja auch weiterhin spielen“, erklärt er, nachdem er festgestellte, wieviel Zeit und Mühe es ihn gekostet hatte eine derartige Aktion allein in Düsseldorf durchzuführen. Was lag also näher als die Überlegung, seine Musikausübung in den Dienste der Hilfsaktionen zu stellen? Die Idee zu „Gemeinsam gegen Kälte“ war bereits 1995 geboren. Ebenso die Idee, in Kirchen Konzerte ausschließlich mit den Cello-Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach als Benefiz-Veranstaltungen für die Sache zu geben. Doch immer wieder rieten ihm Freunde und Künstler ab, diese Verbindung einzugehen. Eine immense Vorarbeit stand nun an, eine Kraftanstrengung, die Beckmann aus heutiger Sicht sicherlich immer wieder eingehen würde, ihn aber bei extremen Schlafdefiziten an den Rande der körperlich verfügbaren Kraft brachte. Allein mit seiner Mitarbeiterin Heide Thomae mußte er nun wie ein Veranstalter nicht nur eine Konzerttournee durch die größten deutschen Städte planen, sondern zudem die Mitstreiter, die kirchlichen Hilfsorganisationen Caritas und die Diakonie der einzelnen Städte ebenso wie die Stadtverwaltungen, ansprechen, um die Säle zu erhalten, Unterstützung zu bekommen. Doch bald stellte sich heraus, daß es an einem umfassenden Papier fehlte, das jede Kleinigkeit erläuterte, den Mitstreitern bei der Durchführung half. Also entwickelte Beckmann eine ausführliche Projektbeschreibung von „Gemeinsam gegen Kälte“. Zuerst wollte er vor allem sein Projekt vorantreiben, nicht zwangsläufig in jeder der interessierten Städte auch ein Konzert geben. Doch die Städte fragten nach einem solchen Konzert, fragten an, ob man nicht auch in ihrer Stadt ein solches erleben dürfe. Schnell war eine Tour von 23 Städten beisammen, in denen Beckmann nun endlich spielen konnte, spielen für seine Sache. Von Mitte Januar bis Ende Februar dieses Jahres hat er nun die Cello-Solo-Suiten von Bach in 23 Städten der Republik gespielt. Unterstützt von einer riesigen Plakataktion in ganz Deutschland, die auf ihn, sein Projekt und seine Konzerte aufmerksam machte. Schnell kommen da Fragen auf: Wovon hat Beckmann gelebt, der die gesamte Organisationszeit - seit 1995 – keine bezahlten Konzerte mehr gegeben und auch seine Tournee, im Dienste der Sache, kostenlos gespielt hat? Zum anderen: War diese riesige Aktion nicht nur ein geschickter Zug eines Musikers, bekannter zu werden? Wäre den Obdachlosen nicht besser geholfen gewesen, wenn die Sponsorengelder – die sich in den Plakatierungen und anderen Sachunterstützungen niederschlugen – in barer Münze direkt auf die Konten des für das Projekt gegründeten Vereins geflossen wären? Ergebnisse Wie sieht nun das Ergebnis der gesamten Aktion „Gemeinsam gegen Kälte“ aus? Zum einen für Beckmann selbst, zum anderen für den Verein? „Tja, tatsächlich hat die Tournee ein bißchen für mich gebracht, worauf ich es nie angelegt hatte. Das kann man gar nicht, wenn man eine solche Aktion plant, denn ansonsten kann man die Idee nicht aufrechterhalten“, erklärt Beckmann, der immer noch ein wenig abgekämpft und ermüdet wirkt. Das eher bescheidene Ergebnis für ihn: Einige der Städte, in denen er gespielt hat, wollen wieder Konzerte mit ihm machen. Natürlich ist er auch bekannter geworden in Deutschland, doch daß sich dies nun in Engagements oder etwa in barer Münze für Beckmann ausdrückt, das vermutet man zu Unrecht. Für den Verein war die gesamte Aktion, war die Konzerttournee ein voller Erfolg. Über die Eintrittsgelder der mit zwischen 500 und 1000 Besuchern meist ausverkauften Konzerte wurden 170.000 Mark eingenommen. Da die Tour allerdings nur 60.000 Mark kostete, blieb dem Verein für weitere Maßnahmen eine Summe von 110.000 Mark als Gewinn. Hinzu kamen pro Konzert circa 5000 Mark Spenden. Ein beachtlicher Erfolg. Wenn man schon über die Zahlen spricht: Wie hoch waren eigentlich die Finanzierungen für die Plakatierungsaktion, die PR-Kampagne und die Anschubkosten, um die gesamte Aktion ins Rollen zu bringen? Nun, die meisten Zugeständnisse der unterstützenden Firmen wurden nicht in Geld, sondern in Form von Dienstleistungen geboten. So wurde die Plakatierung kostenfrei von den größten Plakatierungsfirmen in Deutschland durchgeführt, in einem Gegenwert von immerhin 15 Millionen Mark. Ebenso verhält es sich mit der PR und anderen Unterstützungen. Dies hätten diese Firmen selbstredend dem Verein nicht in bar zur Verfügung gestellt. Dagegen betrug die Anschubfinanzierung zirka 440.000 Mark, nun tatsächlich Gelder, die von Sponsoren dem Verein zur Verfügung gestellt wurden. Da werden Stimmen laut, die meinen, daß die Zahlen der Einnahmen und der Finanzierung in keiner Relation stehen. Doch Beckmann sieht es anders: „Man muß ja sehen, daß wir keine einmalige Aktion durchführen, sondern eine meinungsbildende Aktion wie beispielsweise ‚Keine Macht den Drogen‘, die sicherlich weit mehr Geld gekostet hat.“ Man muß wohl auch sehen, daß diese Aktion nun eine größere Weitenwirkung erzielt hat, als jemals zu vermuten war. In allen Städten über 500.000 Einwohner sind nun Untergruppierungen des Vereins „Gemeinsam gegen Kälte“ entstanden, wodurch gesichert ist, daß auch in der Zukunft den Obdachlosen, von denen es in den Großstädten mit ihren gesellschaftlichen Problemen besonders viele gibt (Beckmann spricht von fast einer Millionen Obdachlosen in Deutschland), geholfen werden kann. Zudem muß man sehen, daß über das großangelegte musikalische Ereignis auch eine Änderung für die Obdachlosen im Bewußtsein einiger Menschen in der Bevölkerung eingetreten ist. Blick in die Zukunft Nachdem Beckmann bis Ende Februar nur mehr von seinem Ersparten gelebt hat, von den Einkünften seiner Schallplatten, die im Ausland immer noch gut verkauft werden, muß er jetzt wieder Konzerte akquirieren. Arbeitslos war er auch zuvor nicht – er hatte nur eine Pause eingelegt. Doch was eigentlich längst bekannt ist, was von allen großen Illustrierten und allen Tageszeitungen (die Presse-Dokumentation umfaßt weit mehr als 1000 Berichte gebracht wurde), soll hier nicht nochmals breitgetreten werden. Was interessiert, ist, wie nun Beckmanns Stimmung ist, wie sein Blick in die Zukunft aussieht und wie eigentlich die musikalisch-interpretatorische Seite der Aktion seitens Beckmann aussah? „Nach der Tournee, bei der ich die letzten Konzerte unter Fieber spielte, war ich vollkommen leer. Nicht nur erschöpft, sondern leer im Kopf, ich hatte keine Ideen mehr, keine Kraft, und habe erst einmal viel geschlafen.“ Beckmann führt weiter aus: „Ich würde mich freuen, wenn die gesamte Initiative sich irgendwann verselbständigen würde, aber das braucht noch seine Zeit. Denn eigentlich will ich Musik machen, will Cello spielen.“ Der Cellist mit seiner sozialen Einstellung gibt aber auch zu verstehen: „Ich wollte immer schon mit künstlerischen Mitteln gesellschaftlich und sozial wirken, da ich darin eine der Urideen der Musik sehe. Mit der ‚Gemeinsam gegen Kälte‘-Initiative, die ja nicht gegen eine meßbare, sondern gegen eine soziale Kälte wirken soll, hab ich mir diesen Traum erfüllt, das war mein Lebensziel.“ Dieses Ziel auch noch mit den von ihm geliebten Bach-Suiten erreichen zu können macht Beckmann nicht nur stolz, sondern auch um so zufriedener. Man kann nur hoffen, daß diese in der Republik unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Herzog stehende Aktion in Zukunft auch ohne Beckmann nicht in Vergessenheit gerät, sondern auch auf die Probleme unserer Wohlstandsgesellschaft aufmerksam macht und hilft; wenn dabei die Musik in den Köpfen mitschwingt, um so besser.

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