Im Schweinsgalopp einmal vor und wieder zurück. In Gestalt ihrer Theater und Philharmonie GmbH tut Essen zur Zeit wirklich alles dafür, sich zum Titel einer Kultur-, zusätzlich den einer Skandal-Hauptstadt zu verdienen. An einem Tag die fristlose Kündigung eines gefeuerten Intendanten zurücknehmen und einen neuen bestellen – Respekt! Da mag für die nächsten Jahre die „überproportionale“ Zinslast im städtischen Schuldendienst noch so sehr feststehen, da mögen Schwimmbäder geschlossen werden, für zwei Intendanten reicht es schon noch. Die nämlich hat Essen jetzt, zumindest bis Mitte 2012. Es staunt der Fachmann und der Laie wundert sich.
Essen, 19. November 2008. – Den Tag wird sich Stadt-Kämmerer Marius Nieland wahrscheinlich rot im Kalender anstreichen. Von einem ausgeglichenen Haushalt meilenweit entfernt, immer auf der Suche nach „Einsparpotentialen“, vergisst Essen doch nicht das Geldausgeben. Philharmonie-Gründungs-Intendant Michael Kaufmann hatte man wegen angeblicher Etatüberschreitungen gerade den Stuhl vor die Tür gestellt, da formierte sich auch schon eine „Findungskommission“. Die hat nun – hurtig, hurtig – Vollzug gemeldet.
„Schön, dass für die Kultur soviel Resonanz vorhanden ist.“ Mit wohl gesetzten Worten begrüßt Johannes Bultmann, langjähriges Geschäftsleitungsmitglied des Festspielhauses Baden-Baden, die angereiste Hundertschaft von Presse, Funk und Fernsehen. Irgendwie wusste der mit „überwältigender Mehrheit“ (TUP-Vorsitzender Hans Schippmann) gewählte Kulturmanager wohl selber nicht, wie ihm da geschah. Bis zum Schluss hatte man es spannend gemacht. Erst als das Presse-Handout verteilt war und der alerte Mittvierziger aus Ostwestfalen („Ich bin Dienstleister!“) im Blitzlichtgewitter das Podium des RWE-Pavillon betrat, sich mit einem Hauch von Showbiz den Fotografen präsentierte, herrschte Klarheit. Für einen Moment wenigstens.
Dann gewahrte der irritierte Chronist doch wieder jenen in den Himmel ragenden Fragen-Turm, der mit dieser Neuberufung keineswegs kleiner geworden war. Wobei Person und Konzeption des neuen Intendanten, dessen Vertrag am 1. Dezember beginnt, unmöglich schon jetzt dazuzählen können. Das eifrig-eilfertig Gehaspelte und Gestanzte („Durchstarten!“ „Ein Haus für alle!“, „Yes, we can!“) hat sicher damit zu tun, dass ein weithin unbeschriebenes Blatt über Nacht ins gleißende Medienlicht eintaucht. Bultmanns Stern muss erst noch leuchten.
Der von TUP und Stadt Essen ist hingegen seit Wochen verschattet, verliert zusehens an Leuchtkraft. Denn wie ist es zu verstehen, dass jene beiden noch am gleichen Tag, an dem sie den neuen Intendanten inthronisieren, ihre mächtigste Keule gegen den Alten klammheimlich in die Ecke stellen? Hieß es noch bis zuletzt, und zwar unter Berufung auf Gutachten der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfer „Warth & Klein“, Kaufmann habe, bezogen auf zwei Spielzeiten, ein Defizit von nunmehr 1,8, statt wie bisher gemeldet, 1,5 Millionen Euro zu verantworten, so war davon von Stund an keine Rede mehr. Ein zwischen Kaufmann und der TUP-Geschäftsführung ausgehandelter „Aufhebungsvertrag“ regelt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „in beiderseitigem Einvernehmen.“
Wie inzwischen durchsickerte, wird Kaufmanns Gehalt bis Mitte 2012 weitergezahlt, womit sich die angebliche Etatüberschreitung, über den Daumen gepeilt, verdoppeln dürfte. Es war eben schon immer etwas teurer, zwei Intendanten im Haushalt zu führen. Man darf gespannt sein, wie Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger (CDU) dies im anstehenden Wahlkampf moderieren wird. Kraft seiner ebenfalls am 19. November abgegeben „Erklärung zum Ausscheiden von Prof. Michael Kaufmann als Intendant der Philharmonie“, darf sich letzterer jedenfalls juristisch wie moralisch rehabilitiert fühlen. Nur stellt sich dann doch die Frage: Worum, bitteschön, ist es denn nun wirklich gegangen, wenn der Mammon damit augenscheinlich aus dem Spiel ist?
Wenn stimmt, was die Gerüchteküche meldet, wäre das Steuergeld verbrennende Gezetere die springflutartige Wirkung eines irgendwann aus dem Ruder gelaufenen Intrigenspiels. Wie im richtigen Theater wäre auch hier mit Machtbewusstsein, verletzter Eitelkeit, mit falsch verstandener Dienstbarkeit zu rechnen. Es scheint, dass die Kulturinteressierten unter den Essener Bürgern dafür ein Gespür haben, wenn sie in einer Demonstration für ihren ehemaligen Intendanten vor dem Philharmonie-Gebäude das Schweigen des Aalto-Theater-Chefs beklagen.
Und im Nachhinein ahnt man, was der im Juni des Jahres frisch ins Amt berufene TUP-Geschäftsführer Berger Bergmann sagen wollte, als er Kaufmann rüde angeht: „Das Projekt Philharmonie ist gescheitert!“ Die der Philharmonie herzlich gewogenen Großsponsoren um Matthias Mitscherlich und das Mitte September gegründete „Kuratorium Philharmonie Essen“ haben jedenfalls ihre Kooperation an eine Klärung des „sehr belasteten“ Verhältnisses zum amtierenden TUP-Geschäftsführer gebunden. Nach wie vor stünden im Raum die Fragen um erfolgte „Quersubventionen“, wonach unter anderem von Kaufmann getätigte Sponsoren- und Stifter-Einnahmen dem TUP-Haushalt gutgeschrieben worden seien. Da man, so Mitscherlich, bereit sei, sich auch in Zukunft für die Philharmonie zu engagieren, sei eine Klärung der „Verantwortlichkeitsstrukturen“ unerlässlich. Ein ebenso nachvollziehbares wie gewichtiges Argument. Wobei: Außen vor sind momentan noch alle Fragen zu möglichen Risiken und Nebenwirkungen einer vom potenten Kuratorium vorgeschlagenen Verselbständigung der Philharmonie. Erst muss der Trümmerregen dieses Provinz-Dramas, das alle Chancen hat, als Farce zu enden, ins Boulevard einerseits, in die Handbücher künftiger Kulturmanager andererseits absinken. Kommt Zeit, kommt Rat.
Einstweilen noch werden die Wunden geleckt – und die Schulden addiert.