Berlin (dpa) - Bei einer möglichen Entschärfung der Corona-Maßnahmen will die Kultur in der ersten Reihe stehen. «Wenn wir über Lockerungen reden, dann muss klar sein, dass auch aufgrund des besonderen Ranges der Kunstfreiheit in unserer Verfassung Kulturorte vorrangig zu öffnen sind», sagte neue Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, der Deutschen Presse-Agentur am Montag in Berlin.
«Die Kulturorte sind sehr stark betroffen und machen das auch alles mit einer hohen Disziplin mit, obwohl sie mit gutem Recht durchaus sagen können, dass sie vorher alles getan haben, um vernünftig und sicher veranstalten zu können», sagte der SPD-Politiker. «Bei der Frage, ob man zu Lockerungen kommen kann oder nicht, können wir nicht sagen, wir machen erstmal alles andere wieder auf. Und dann kommt irgendwann die Kultur. Das darf nicht passieren.»
Ohne Lockerungen in nächster Zeit müsse weiter intensiv darüber diskutieren werden, was der Gesellschaft bei geschlossenen Kulturorten fehle. «Ich halte das für eine zwingende Notwendigkeit in einer offenen Gesellschaft, sich immer wieder zu vergewissern, durch welche Selbstbeschränkung sie gerade durchgeht.» Es gehe nicht nur darum, dass Regisseure nicht inszenieren, Schauspieler nicht spielen dürfen, sondern der Gesellschaft fehlten eigene Reflexionsorte. «Das ist eine dramatische Selbstbeschränkung, die notwendig sein mag, die wir dann aber immer wieder thematisieren müssen, um sie im Bewusstsein zu halten.»
Brosda will Kultur deutlicher in der Gesellschaft verankern. «Wir wollen die Relevanz kultureller Orte und damit auch der Bühnen und Orchester in Deutschland stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein bringen», sagte der 46-Jährige. Dabei müsse klar werden: «Es geht nicht nur um Freizeit und Erbauung, sondern es geht tatsächlich um Sinn- und Erkenntnissuche.» Dafür müsse auch viel stärker erleb- und erfahrbar gemacht werden, «wie Bühnen im regionalen und städtischen Kontext als gesellschaftliche Orte wirken».
Der Präsident des Bühnenvereins sieht darin auch eine Sicherung der Theaterszene. «Wenn wir das schaffen, fallen hoffentlich auch die unweigerlich vor uns stehenden Diskussionen darüber leichter, wie wir eigentlich die materielle Absicherung der Häuser hinbekommen.»
Brosda sieht Kultur- und Theaterszene weiter unter politischem Druck. «Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Freiheit der Kunst stehen vielleicht gerade etwas im Hintergrund. Aber natürlich sind wir alle massiv gefordert, auch in den kommenden Jahren das liberale Verständnis von Kunstfreiheit, das wir uns als Gesellschaft erarbeitet haben, zu erhalten und nicht vor allen Dingen von rechts unter Druck bringen zu lassen.» Freiheit von Kunst bedeute auch: «Freiheit der Auswahl der Ziele, Freiheit der Auswahl der Ästhetiken, Freiheit der Auswahl der Positionierung. Damit muss sich dann eine Gesellschaft auseinandersetzen.»
Gleichzeitig gebe es die Notwendigkeit, «die Institutionen auf die Höhe der Zeit zu bringen in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, von MeToo, der Machtstrukturen in Theatern, aber auch des Abgleichs tariflicher Realitäten mit betrieblichen und gesellschaftlichen Wünschen und Wirklichkeiten. Da ist eine ganze Menge bearbeitet, aber noch längst nicht abgeschlossen.»
Der SPD-Politiker Brosda war am Wochenende zum Nachfolger von Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, gewählt worden. Khuon hatte das Amt als Präsident des Bühnenvereins nach gut drei Jahren abgegeben.