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Spannungsfeld Bund-Länder

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taktlos aus der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow
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Ende September tagte der Deutsche Kulturrat in der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow: „Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzeption Kulturelle Bildung“ hieß die Fragestellung mit der sich Fachleute aus der kulturellen Bildung, Multiplikatoren aus Bildungs- und Kulturpolitik sowie Verantwortliche aus der Kulturverwaltung beschäftigten. Zu Gast in der Archenhold-Sternwarte war auch „taktlos“, die Livesendung des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung. Moderator Theo Geißler begrüßte zur 81. Sendung als Gäste: Thomas Goppel (Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst), Norbert Lammert (Vizepräsident des Deutschen Bundestages), Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates). Die nmz druckt die Diskussionsbeiträge der Sendung im Wortlaut nach. Die gesamte Sendung kann im Internet und www.nmz.de/taktlos angehört werden.

Theo Geißler: Bert Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“ als ein Symbol für unser heutiges Thema: Zwei Mütter streiten sich brutal ums Kind. Angeblich aus Liebe. Angeblich lieben Bund und Länder die Kultur. Thomas Goppel, wie sieht es aus Sicht der bayerischen Staatsregierung mit der Kultusministerkonferenz der Länder aus? Wird es mit ihr weitergehen?
Thomas Goppel: Es muss mit ihr weitergehen, weil Abstimmungsbedarf in Fülle da ist. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat in den letzten 40 Jahren viele Schichten angesammelt und braucht eine ordentliche Kur. Insoweit ist der Alarm von Ministerpräsident Wulff ganz sinnvoll gewesen. Manches läuft zu zäh und in viel zu langen Abläufen. Die Rechtschreibreform ist hier vorläufig das beste und schlechteste Beispiel.

Geißler: Aber keine Radikalkur, die so weit geht, dass die Kultusministerkonferenz ganz wegfällt?
Goppel: Das würde vielleicht manchem gefallen, der an anderer Stelle darauf wartet, das zu übernehmen. Aber einem anderen zu Gefallen zu sein, ist nicht meine Aufgabe.

Geißler: Herr Lammert, Kultur ist Ländersache. Sehen Sie als Bundespolitiker das Schwächeln der Kultusministerkonferenz vielleicht ein bisschen mit Freude?
Norbert Lammert: Nein. Und zugespitzt formuliert kann ich zwischen dem ersten und dem zweiten Teil Ihrer Frage fast keinen Zusammenhang erkennen. Die Kultusministerkonferenz, so wie sie sich jetzt über Jahrzehnte entwickelt hat, beschäftigt sich mit vielem, aber ganz selten mit Kultur. Sie beschäftigt sich ganz überwiegend mit Bildungsfragen. Gelegentlich mit Fragen kultureller Bildung. Ein Gremium zur besonderen Beförderung von Kunst und Kultur in Deutschland ist die Kultusministerkonferenz nie gewesen. Schon die Eingangsbemerkung, dass Kultur Ländersache sei, halte ich in dieser schlichten Form für unzutreffend.

Geißler: Man kann dennoch Bildung im großen Bogen mit Kultur sehen, ich würde das nicht so ohne weiteres trennen. Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer der vermutlich stärksten Kultur-Lobby in der Bundesrepublik und wird auch wegen seines angeblichen Zentralismus’ ein bisschen angefeindet. Thomas Goppel sagte eingangs, dass es möglicherweise welche gibt, die sich freuen würden, wenn die Kultusministerkonferenz wegfiele. Wäre denn der Deutsche Kulturrat eine Organisation, die eventuell gerne und kompetent an ihre Stelle träte?
Olaf Zimmermann: Mit Sicherheit nicht. Der Deutsche Kulturrat ist eine Organisation des dritten Sektors, das heißt also, wir könnten nie an die Stelle der staatlichen Kultusministerkonferenz treten. Wir wollten das auch gar nicht, weil wir wollen, dass diese Kultusministerkonferenz weiter existiert. Aber anders als bisher. Ich finde, dass der Schuss, den Ministerpräsident Wulff der Kultusministerkonferenz vor den Bug gesetzt hat, längst überfällig war. Jetzt kann man reformieren und wenn wir Glück haben, wird es nachher eine bessere Struktur geben. Aber natürlich brauchen die Länder auch in der Zukunft ein Abstimmungsorgan in bildungspolitischen Fragen, in schulpolitischen Fragen, in hochschulpolitischen Fragen und ich würde mich sehr freuen, Herr Lammert, wenn sich die Kultusministerkonferenz ein bisschen mehr um die Kulturpolitik kümmern würde.

Geißler: Konkret: Wo sind die nötigen Reformmaßnahmen anzusiedeln?
Zimmermann: Ich glaube, wenn das Einstimmigkeitsprinzip in der Kultusministerkonferenz fällt, dann ist der größte Reformschritt gemacht. Es wird schließlich nicht nur bei wichtigen Punkten die Einstimmigkeit verlangt, sondern es ist egal, wie unwichtig ein Thema ist, man muss sich einstimmig äußern. Das ist die Schere im Kopf.
Goppel: Wir müssen die Kultusministerkonferenz nicht unbedingt schlechter reden, als sie ist. Die Kulturpolitiker und die Kulturschaffenden in Bayern sagen mir, dass die Kultusministerkonferenz in den letzten 50 Jahren viel geschafft hat, trotz der Einstimmigkeit. Einstimmigkeit ist ein Zeichen von Kultur und hat einen großen Vorzug: Es muss nämlich sehr viel mehr geredet werden, und man muss in den Verhandlungen manches erreichen. Schlagabtausch und das sich gegenseitige Vorhalten von unterschiedlichen Positionen hilft hier nicht weiter. Man muss in den Gesprächsrunden dazu kommen, eine gemeinschaftliche Lösung zu haben. Unser Problem in der Kultusministerkonferenz ist, dass wir nicht das Bundesratsprinzip haben und nicht das Mehrheitsprinzip. Wahrscheinlich liegt die Lösung dazwischen. Wir haben 16 Stimmen von Ländern, von denen die einen Landkreisgröße haben und die anderen größer sind als die Mehrzahl der Länder in der Europäischen Union. Zu diesem Umstand sollten wir uns noch etwas einfallen lassen. Ich bin aber auch gegen die Fortführung des reinen Einstimmigkeitsprinzips.

Geißler: Herr Goppel, Sie waren lange Zeit Präsident eines großen Laienmusikverbandes, und damit im ehrenamtlichen Bereich tätig. Bürgerschaftliches Engagement ist andererseits ein Feld, um das sich der Bund sehr gerne selber kümmert, in dem er auch gesetzgeberisch tätig wird. Haben Sie das seinerzeit als hinderlich empfunden?
Goppel: Nein. Wer in der Praxis steckt und die Arbeit macht, den ärgert allerhöchstens, dass eine bestimmte Zuschussquelle ausfällt. Alles andere ist letztlich uninteressant. Gelegentlich kann noch ein Preis reizen, wenn man irgendwo über den eigenen Landespreis hinaus einen bundesweit ausgeschriebenen Preis gewinnen kann. Ansonsten kümmern sich, glaube ich, die Verbände ganz wenig um Kompetenzfragen. Die Frage ist: Muss ich unbedingt von oben nach unten organisieren? Wenn in der Verfassung steht, Kultur ist Ländersache, dann sollen sich die anderen raushalten. Aber darüber, dass der Bund umgekehrt da oder dort hilft, können wir gerne miteinander diskutieren.

Geißler: War das ein Plädoyer für die Abschaffung des Staatsministeriums für Kunst und Kultur?
Goppel: Ich hielte es für besser, wenn es das Amt nicht gibt. Wenn es aber da ist, muss man damit leben, das ist keine Frage.
Zimmermann: So wie Herr Goppel das sagt, hört sich das so locker flockig an, als würde es überhaupt kein Problem geben. Aber das stimmt so natürlich nicht, denn wir haben im Moment eine ganz heftige Debatte. Die nennt sich lieblich „Entflechtung“, aber ist etwas ganz Ernstes. Die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sollen gerade auch im Kulturbereich daraufhin untersucht werden, was denn eigentlich wer machen müsste. Wenn wir nicht aufpassen, kommen da sehr viele Institutionen unter die Räder. Ein Beispiel: Die Festspiele in Bayreuth bekommen unter anderem Bundesmittel. Es ist aber eine strittige Frage, ob sie überhaupt Bundesmittel bekommen dürfen. So haben wir Land auf, Land ab viele Kulturinstitutionen, die Gelder aus dem Etat des Bundes bekommen. So wie es jetzt aussieht, würde Entflechtung bedeuten, dass wieder mehr Verantwortung und Kosten zurück auf die Länder fallen. Aber die Länder sind weder bereit, noch höchstwahrscheinlich in der Lage, die Lücke, die dann gerissen würde, auszufüllen. Deswegen ist es eben keine „Petitesse“, sondern es handelt sich um etwas sehr Einschneidendes für uns. Ich finde, wir können gut damit leben, dass etwas verflochten ist.
Goppel: Bei den Bamberger Symphonikern hat sich der Bund aus der gemeinsamen Finanzierung verabschiedet und wir haben das voll ersetzt. Zur Entflechtungsdebatte: Der Bund muss im Zuge einer Entflechtung Mittel, die er heute für Bereiche aufwendet, aus denen er sich zurückzieht, den Ländern im Ausgleich zurückgeben und dann werden diese das Geld dort einsetzen, wo es notwendig ist. Was mich beim Bund stört, ist, dass er sich in etwas einmischt, was ihn eigentlich nichts angeht.

Geißler: Herr Lammert, hier der Bund als Leuchtturmwärter für Elite-Universitäten, dort als Petroleumlampen-Anzünder, wo es in der Kultur ein bisschen kühl ist: Ist das seine Rolle?
Lammert: Wenn man die Diskussion so verfolgt, könnte man fast den Eindruck haben, die deutsche Kulturszene wäre perfekt organisiert, wenn nicht ständig der Bund dabei störte. Die Wahrheit ist doch ein bisschen anders. Die Frage, die wir heute Abend hier diskutieren, hat natürlich sowohl einen praktischen Aspekt – zuletzt angesprochen von Herrn Goppel als auch von Herrn Zimmermann – aber auch einen sehr grundsätzlichen. Deswegen habe ich vorhin gleich Ihren Einleitungssatz moniert. Im Grundgesetz findet sich der Satz, dass es eine Kulturhoheit der Länder gäbe, nicht. Ich habe im Übrigen bis heute unüberwindliche Schwierigkeiten mit dem Begriff „Kulturhoheit“ – ob mit oder ohne Länder. Ein Staat, der der Kultur mit hoheitlicher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat. Nach meinem Verständnis von Kulturstaat ist die Förderung von Kunst und Kultur eine Gemeinschaftsaufgabe aller öffentlichen Hände, es ist eine Aufgabe der Kommunen, eine Aufgabe der Länder und eine Aufgabe des Bundes, was nicht bedeutet, jeder ist für alles und damit niemand für irgendwas verantwortlich, sondern alle müssen ihren Teil an dieser Aufgabe leisten. Dabei bin ich sehr damit einverstanden, wenn Herr Goppel anregt, Verantwortung lieber von unten nach oben aufzubauen, als von oben nach unten. Das scheint mir wiederum sowohl unter grundsätzlichen wie unter praktischen Gesichtspunkten vernünftig. Aber dass der Kulturstaat Deutschland die gewünschte Vitalität dann am Überzeugendsten entfalten könnte, wenn sich der Bund da heraushält, halte ich auch aus den genannten Gründen für eine ziemlich optimistische Vermutung.
Goppel: Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg sehr genau unterschieden: Die zuvor aus Berlin gekommene Vereinheitlichung hat niemandem mehr Freiraum gelassen und hat ausdrücklich dazu geführt, dass wir große Schwierigkeiten bekommen haben. Es steht in der Verfassung ausdrücklich, dass das, was nicht erwähnt ist, Sache der Länder ist. Und Kultur und Bildung sind nicht erwähnt. Worin die Bundesaufgaben bestehen, wird dagegen genannt. Kultur hat mit Austausch, mit Diskussion zu tun. Hier kommt der Begriff der „Toleranz“ ins Spiel. Ich muss anerkennen, dass jemand anders denkt. Je weiter ich von daheim weggehe, desto weniger kennt und erkennt man. Ich möchte nicht in Kiel dreinreden und ich will auch nicht, dass die Kieler mir dreinreden – wobei Kiel hier natürlich stellvertretend steht.
Lammert: Sie ahnen gar nicht, wie gut mir die beiden Stichworte „Widerstand“ und „Toleranz“ gefallen. Was die Vielfalt der Aktivitäten der privat, der ehrenamtlich, der staatlich organisierten Aktivitäten im Kunst- und Kulturbereich angeht, sollten wir sie nicht nur tolerieren, sondern wir sollten sie nach Kräften fördern. Wir sollten gegen jeden Widerstand organisieren, der sich bemüht, diese Vielfalt einzuschränken. Das gilt auch, wenn sich solche Versuchungen in der Föderalismus-Kommission abspielen.

Geißler: Zurück zum Bildungsbereich. Ich nenne ein paar Schlagwörter: Juniorprofessur, Zentralabitur, das mögliche Bildungsgefälle zwischen den Bundesländern, PISA-Studie und so weiter. Drängt sich da nicht gerade auf, dass Bund und Länder kooperieren, Olaf Zimmermann?
Zimmermann: Ich möchte das an einem ganz konkreten Beispiel zeigen. Da brennt vor wenigen Wochen die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek in Weimar. Ein riesiger Schaden, ein Schaden, wie wir ihn nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht gehabt haben. Die Kulturstaatsministerin eilt am nächsten Tag nach Weimar mit vier Millionen Euro im Gepäck, zur ersten Schadensbegrenzung. Bis heute, Herr Goppel, hat sich noch kein Bundesland aufgemacht, um Thüringen in dieser fatalen Situation, die wir in Weimar haben, Unterstützung zu leisten. Da frage ich mich doch, wo ist denn diese Solidarität der Bundesländer? Das heißt, Sie übernehmen gar keine gesamtstaatliche Verantwortung für die Kultur, sondern Sie übernehmen eine Verantwortung bis zu Ihrer Landesgrenze. Aber dann bedeutet das auch, wenn die Verantwortung dort aufhört und die eines anderen Landes beginnt, dass Sie auch etwas Gemeinsames brauchen. Dann ist es gut, dass es eine Kulturstaatsministerin gibt, die jetzt gesagt hat, sie unterstützt die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek etwas. Ich würde mir natürlich trotzdem wünschen, dass auch die Länder untereinander gerade in Kulturfragen viel mehr Solidarität üben würden. Da könnten Sie jetzt wirklich auch beweisen, dass es Ihnen ernst ist mit der „Kulturhoheit“.
Goppel: Dem Deutschen Kulturrat gefällt natürlich, dass er in einer solchen Situation sagen kann: Der hat schon und du hast noch nicht. Ich will Ihnen mal ganz nüchtern sagen, wir zahlen in den Länderfinanzausgleich eine solche Menge von Geld, dass es dann darauf ankommt, dass der Betroffene – in diesem Fall Thüringen – mir sagt, ich brauche unbedingt noch zusätzliche Hilfe. Wir sollten uns endlich angewöhnen, uns gegenseitig auch darum zu bitten, uns zu helfen und nicht immer selbstverständlich damit zu rechnen, dass jeder rennt. Wenn die Weimarer Bibliothek so ein Problem ist, dann wird man miteinander darüber reden.

Geißler: Wo es auf jeden Fall brennt, ist offensichtlich die Bildungspolitik.
Goppel: Ich bin auch sehr daran interessiert, dass wir das diskutieren. Wenn Sie gerne möchten, dass die Länder, die bei PISA im Mittel der deutschen Länder die besseren Ergebnisse bringen, warten bis die anderen nachkommen – dann warten wir zu lange. Es kann nicht die Aufgabe der Kulturpolitik und schon gar nicht der Politik sein, die Guten aufzuhalten, bis die Schlechteren nachkommen. Da wären wir alle miteinander nivelliert schlechter. Das ist genau das Prinzip, das Frau Bulmahn verfolgt, wenn sie sagt, sie will eine Einheitsschule.
Lammert: Trotz des angekündigten Streitgesprächs bin ich in dem Punkt völlig einer Meinung mit Herrn Goppel. Ich kann überhaupt keinen Sinn darin sehen, dass wir die Dezentralität, die wir in unserem Schulsystem, in unserem Bildungssystem und auch in unserem Hochschulsystem haben, zugunsten einer Zentralisierung aufgeben. Und diejenigen, die im Lichte in der Tat deprimierender PISA-Ergebnisse nun eine Zentralisierung als vermeintliche Lösung proklamieren, unterstellen naiv, dass die Bildungspolitik – die sie dann in der Regel übrigens nicht beschreiben –, die dann auf Bundesebene stattfände, diejenige wäre, die zu besseren Ergebnissen führt. Meine Fantasie reicht aus, um das genaue Gegenteil für möglich zu halten. Deswegen bin ich nachdrücklich in der Bildung, wie übrigens im Bereich der Kultur auch, ein Anhänger dezentraler Strukturen und vor allem von Wettbewerbsmechanismen.
Zimmermann: Keiner will eine Struktur, die auf der Bundesebene auch noch die Schulpolitik regelt. Das sollen auch in Zukunft die Länder machen. Aber, Herr Goppel, dann finde ich, muss es eine wirkliche Vergleichbarkeit geben. Es ist eine Aufgabe eines solchen gemeinsamen Gremiums wie der Kultusministerkonferenz, so etwas zumindest in einem Mindestmaß zu organisieren. Da hilft es mir als Vater überhaupt nichts, zu sagen: „Wenn ich nach Bremen ziehen muss, weil ich dort Arbeit finden kann, haben meine Kinder eben Pech gehabt, denn besser wäre es, ich würde nach Bayern ziehen, da würden sie in der Schule besser ausgebildet.“
Goppel: Ein tolles Beispiel! Denn Bremen, die berühmte Reformuniversität, ist vor 20 Jahren eine der schwachen Universitäten in Deutschland gewesen. Heute steht sie unter den Universitäten in Deutschland vorne. Wenn sie feststellen, dass Ihnen Ihr eigenes System nicht ausreicht, dann müssen Sie Ihrem System Beine machen und nicht andere zum Bremsen anhalten. Die Kollegen in der Kultusministerkonferenz sind sämtlich bereit, mit uns in der Diskussion über vieles zu reden, aber es geht dann immer am Kern der Sache vorbei, sobald wir mal ganz konsequent sagen, wir wollen eine zentrale Überprüfung. PISA hat Europa und die Bundesregierung dazu gezwungen, wogegen sich die SPD-geführten Länder 20 Jahre lang geweigert haben: eine bundesweit vergleichende Untersuchung über die Qualität der Schulergebnisse.

Geißler: Nehmen wir mal die Berliner Opern- oder Orchesterkultur. Da soll, darf, will, muss der Bund angeblich glänzen und auch zahlen. Ein Beispiel dafür, dass Kulturpolitik zwischen Bund und Ländern eigentlich zur simplen Etat-Diskussion verkommen ist, Herr Goppel?
Goppel: Dass in Berlin der Bund finanziell mithilft, ist eine Selbstverständlichkeit. Wir tun es im Übrigen in den Landeshauptstädten alle miteinander. Ich finde das den größten Vorzug des Föderalismus und der 16 Länder, dass wir 16-fach Wettbewerb haben. So viele Theater gibt es in keinem anderen Land. Je zentraler, desto weniger Theater. Je differenzierter, desto vielfältiger ist eine Theaterlandschaft. Und hätten wir die Neuen Länder nicht, wäre Deutschland ein Stück ärmer an Fülle und Vielfalt der Theater. Im Moment sind wir leider dabei, dass diese Vielfalt eher reduziert wird. Ich will ausdrücklich sagen, ich habe in meinem Haushalt für 2004 mit dem Finanzminister ausgehandelt, dass wir in vielem Geld wegnehmen, weil es eben hinten und vorne nicht reicht, aber bei den nichtstaatlichen Theatern in der Fläche des Landes nichts, damit niemand Vorschub dafür bekommt, sein Theater zu schließen.
Lammert: Berlin ist als Hauptstadt unter mancherlei Gesichtspunkten ein Sonderfall. Und dass sich der Bund jenseits der Generalfrage, ob er sich überhaupt um Kultur kümmern darf, um die Kultur in der Hauptstadt offensichtlich kümmern muss, scheint ja nicht streitig zu sein. Ich erlaube mir nur den Hinweis, wenn der Bund überhaupt keine Zuständigkeit für Kultur hätte, könnte er offenkundig auch keine in der Hauptstadt haben. Der Maßstab für Kulturförderung durch den Bund kann nicht sein, ob eine Einrichtung ihren Sitz in der Hauptstadt hat, sondern ob es eine Einrichtung von nationaler beziehungsweise internationaler Bedeutung ist. Die ganze Wahrheit ist, dass der Bund in den vergangenen Jahren einige Einrichtungen in Berlin übernommen hat, die ich nicht missen will, bei denen ich mich aber ausgesprochen schwer tue, die nationale oder internationale Bedeutung zu erkennen. Unter diesem Gesichtspunkt wünsche ich mir eine ernsthaftere, eine seriösere Definition dessen, was Kulturförderung im Verantwortungsbereich des Bundes ist.
Goppel: Was hat der Bund sowieso auf seiner Aufgabenliste? Da steht die auswärtige Politik, auch in der Kulturpolitik. Da sind die Goethe-Institute, die der Bund gleichzeitig, während er sich in unsere Länderkompetenzen einmischt, dauernd im Haushalt zurückfährt. Wer seine eigenen Hausaufgaben nicht macht, soll sich bei anderen nicht einmischen.
Zimmermann: Bei einer Sache sind wir uns vollkommen einig, Herr Goppel. Es ist eigentlich unglaublich, dass der Bund in der auswärtigen Kulturpolitik durch enormes Zurückfahren des Etats so deutlich seine Verantwortung schleifen lässt. Aber man muss natürlich auch sehen, das eine ist das Auswärtige Amt, das ist Joschka Fischer, das andere ist die Kulturstaatsministerin. Da gibt es Unterschiede. Das andere Problemfeld ist Berlin. Sehr vieles, was im Moment in Berlin gefördert wird, wird auch deshalb gefördert, weil die Kulturförderstrukturen auf der Bundesebene – denkt man etwa an die Kulturstiftung des Bundes – in vielen Bereichen nicht fördern dürfen. Da haben die Länder durchgesetzt, dass es keine allgemeine Bundeskulturförderung in Deutschland geben darf. Sondern da muss sich die Kulturstiftung des Bundes entweder auf internationale Projekte oder auf Berlin konzentrieren.
Vielleicht wenn Sie in der Frage liberaler wären, wo denn die Kulturstiftung des Bundes das Geld ausgeben dürfte, würde vielleicht gar nicht so viel auf Berlin konzentriert, sondern würde vielleicht auch viel mehr sinnvoll in Bayern ankommen.

Geißler: Wie geht’s dem Kind Kultur zwischen diesen liebenden Müttern? – Wir haben viel über Politik gesprochen, wir haben Standpunkte kennen gelernt, das ist ein Gespräch, das wir sicher noch lange mit großem Gewinn fortsetzen könnten.

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