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Staatsziel Kultur in weiter Ferne

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Berlin: (hib/AW) Die von der Ampelkoalition angestrebte Aufnahme eines Staatsziels Kultur in das Grundgesetz scheint in weite Ferne zu rücken. Dies zeigte eine öffentliche Anhörung des Kulturausschusses am Mittwoch. Die geladenen Sachverständigen zeigten sich nicht nur in der Frage, ob ein solches Staatsziel Verfassungsrang bekommen soll, uneinig, sondern auch in der Frage, wie dies formuliert werden könnte. Ablehnend gegenüber der Aufnahme eines solches Staatsziels äußerte sich vor allem die Unionsfraktion. Sollte diese sich aber dem Ansinnen verweigern, dann wäre die notwendige Zweidrittelmehrheit weder im Bundestag, noch im Bundesrat zu erreichen.

Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat und von der SPD-Fraktion als Sachverständiger benannt, erinnerte daran, dass die Enquete-Kommissionen „Kultur in Deutschland“ des Bundestags in der 15. und 16. Legislaturperiode sich einstimmig für die Aufnahme des Wortlautes „Der Staat schützt und fördert die Kultur“in einen eigenen Artikel 20b des Grundgesetzes ausgesprochen hätte. Der Kulturrat unterstütze diese Forderung nach wie vor. Während der Coronapandemie, so argumentierte Zimmermann, sei bei den Schutzbestimmungen im Infektionsschutzgesetz der Bedeutung der Kultur erst nach heftigen Protesten der Kulturpolitiker Rechnung getragen worden. Ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz hätte geboten, dass dies von Anfang an berücksichtigt wird. Zimmermann wandte sich direkt an die Unionsfraktion und bat sie darum, ihre ablehnende Haltung gegenüber einem Staatsziel noch einmal zu überdenken.

Bei den von der Unionsfraktion zur Anhörung eingeladenen Verfassungsrechtlern stieß das Argument Zimmermanns jedoch auf Widerspruch. Die Aufnahme eines Staatsziels hätte in erster Linie symbolischen Charakter, führten Steffen Augsberg von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität zu Berlin und Klaus F. Gärditz von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn an, aus dem sich juristisch wenig ableiten lasse. Das Grundgesetz sollte nicht mit zu vielen Erwartungen aufgeladen werden, die sich nicht einlösen ließen, argumentierte Augsberg. So habe der Bund in der Kulturpolitik so gut wie keine Regelungskompetenz. Und die Corona-Pandemie habe eben gezeigt, dass der Kultursektor auch ohne Staatsziel im Grundgesetz geschützt werden könne. Dies sei letztlich eine Frage des politischen Willens und der vorhandenen finanziellen Möglichkeiten. Waldhoff und Gärditz argumentierten sehr ähnlich. Alle drei Rechtswissenschaftler wandten ein, dass der Kulturbegriff äußerst unbestimmt sei. Zudem könne die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das bundesweit gültige Grundgesetz als Eingriff in die Kulturhoheit der Länder und den Föderalismus verstanden werden. Auch der von der AfD-Fraktion als Sachverständiger benannte Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau schloss sich diesen verfassungsrechtlichen Bedenken an.

Der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Otto - er gehörte der damaligen Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ an - widersprach den vorgebrachten Argumenten vehement. Der Bundestag habe 1994 den „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ in Artikel 20a Grundgesetz verankert. Es sei deshalb nur folgerichtig, wenn den kulturellen Lebensgrundlagen ein gleichwertiger Schutz als Staatsziel eingeräumt werde. Zudem sei es falsch, dass aus einem Staatsziel sich juristisch nichts ableiten lasse. So habe das Bundesverfassungsgerichts sich in seiner Entscheidung zum Bundesklimaschutzgesetz von 2021 das Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“als eine „justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll“ aufgewertet.

Die Wissenschafts- und Kulturministerin Bettina Martin (SPD) von Mecklenburg-Vorpommern betonte, dass sie ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz nicht als einen Angriff auf die Kulturhoheit der Länder interpretiere. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss von der Bundesakademie für Kulturelle Bildung wies darauf hin, dass in fast allen Verfassungen der Länder der Schutz des kulturellen Lebens beziehungsweise der Kultur aufgeführt werde. Ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz (GG) zu verankern, würde diese Bekenntnisse bundesseitig stützen. Noch wichtiger jedoch als ein Staatsziel wäre die konkrete Unterstützung von Ländern und Kommunen bei der Erfüllung ihres kulturellen Auftrags, führte die von der Linksfraktion benannte Sachverständige an.

Strittig war in der Anhörung jedoch nicht nur die prinzipielle Frage einer Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz. So wollen SPD, FDP und Grüne gemäß ihres Koalitionsvertrages „Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankern“ und „treten für Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein“. Unterstützung für eine solche Formulierung kam von der Musikwissenschaftlerin Susanne Binas-Preisendörfer von der Universität Oldenburg. Es gebe eben nicht „die Kultur“. Die Kulturschaffenden in Deutschland wollten einen dynamischen Kulturbegriff, argumentierte die von den Grünen eingeladene Sachverständige. Auch Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Intendant des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin, warb für einen möglichst offenen Kulturbegriff. Für ihn sei ein Staatsziel Kultur im Grundgesetz „eine Selbstverständlichkeit“, sagte der von der SPD benannte Sachverständige. In Deutschland lebten Künstler aus aller Welt. Für sie wäre dies ein Zeichen, dass auch ihre Kultur wertgeschätzt wird.

Olaf Zimmermann hingegen plädierte dafür, die ursprüngliche von der Enquete-Kommission vorgeschlagene Formulierung „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ beizubehalten. Letztlich sei Kultur immer vielfältig und schon aus rein pragmatischen Gründen sollte man diese Formulierung wählen, um die Chance auf die Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zu erhalten.

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