70 Jahre wird der Deutsche Musikrat in diesem Jahr – und feiert dieses beeindruckende Jubiläum einschließlich zahlreicher weiterer runden Geburtstage (Jugend musiziert zum Beispiel wird 60, der Chorwettbewerb immerhin schon 40) unter anderem mit einer umfangreichen Festschrift (erschienen im Juni 2023) und einem Geburtstagskonzert im Oktober in der Berliner Philharmonie. Die neue musikzeitung, genau zwei Jahre älter als der Musikrat, hat sich regelmäßig mit Themen, Aktivitäten, Projekten und Forderungen des musikalischen Dachverbands beschäftigt: eine spannende gemeinsame Geschichte liegt hinter uns. Man könnte auch sagen: eine spannungsreiche, denn längst nicht immer war man sich gegenseitig wohlgesonnen.
In Streitlust für die Musik geeint
Für ein unabhängiges Medium wie die nmz, das sich– wie der Musikrat auch – immer als Lobbyist für die Musik, für die Musikpädagogik, für gute Rahmenbedingungen eingesetzt hat, das mit Verbänden kooperiert und sie gleichzeitig kritisch begleitet, war und ist dies eine Gratwanderung. Schon der nmz-Gründer und langjährige Verleger Bernhard Bosse hat sich trefflich mit den damals Verantwortlichen gestritten. Da ging es um verlagsspezifische versus verbandspolitische Interessen, um ein Unternehmen der freien Wirtschaft, das die Aktivitäten des mit öffentlichen Geldern geförderten Verbands genau, auch aufmerksam verfolgte. Der Musik-Almanach wäre niemals im Bosse-Verlag erschienen, wäre es nach dem damaligen Musikrats-Präsidenten gegangen – und wurde dann doch zum gemeinsamen Erfolgsprojekt. Später beäugten ConBrio Verlag und nmz kritisch die Aktivitäten des Musikinformationszentrums: Übernahm es nicht, wiederum öffentlich und auskömmlich gefördert, Aufgaben, die auch privatwirtschaftlich und gewinnbringend hätten realisiert werden können? Engagiert-streitbare Geister auf beiden Seiten gingen da schon einmal verbal aufeinander los. Die kritische Begleitung der Musikratsarbeit um die Jahrtausendwende schließlich führte dazu, dass ein damaliger Musikratspräsident persönlich die Order ausgab, nmz-Exemplare, die im Rahmen einer Mitgliederversammlung schon auf den Sitzen lagen, von Musikrats-Mitarbeiter*innen wieder einzusammeln und im Orkus verschwinden zu lassen. Gelesen wurde sie dennoch. Später allerdings entstand mit eben diesem Präsidenten ein konstruktives Miteinander.
Denn das war und ist die andere Seite der Medaille: Man hat immer für die gleichen Ziele gekämpft. Ein Blick in alte Ausgaben der nmz zeigt zum Beispiel vehemente Kritik am Abbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, am Musiklehrermangel, an Kürzungen in der Kulturförderung: Themen, die heute noch immer brandaktuell sind und die auch im Verbandsbereich auf der Agenda stehen. Genauso wie die nmz ist auch der Deutsche Musikrat im Lauf der Jahrzehnte „musikpolitischer“ geworden, hat sich mehr und mehr eingemischt, zu Wort gemeldet und für eine lebendige Musikkultur in Deutschland gekämpft. Beide haben dabei ihre jeweils speziellen Möglichkeiten und Instrumente genutzt.
Dass der Deutsche Musikrat – unabhängig von aller Kritik – musiklebenswichtig war (und ist), auch aus der Sicht der nmz-Verantwortlichen, zeigte sich spätestens in der großen Musikrats-Krise. Die Insolvenz im Jahr 2002 war Anlass für eine „Sonderausgabe: Musikrat in Gefahr“, die im Regensburger Verlagshaus teilweise in Nachtschichten zusammengestellt wurde: ein Beitrag zur Rettung eines Verbandes, der – nach dem Willen der Geldgeber der öffentlichen Hand – in der Folge zweigeteilt wurde. Das ist jetzt 20 Jahre her (auch ein Jubiläum!). In Bonn kümmert sich heute eine (stetig wachsende) Musikrats-GmbH um die zahlreichen Projekte im Bereich der Amateur- und Profiförderung, in Berlin der Deutsche Musikrat e.V. um Musikpolitisches.
Sollte die „Teilung“ das Ziel gehabt haben, den Dachverband zu schwächen oder klein zu halten, so ist das Gegenteil passiert. Mit den heutigen Verantwortlichen scheint der Gesamtkomplex Musikrat so stark zu sein wie nie. Im Rahmen von NEUSTART KULTUR, aufgesetzt während der Corona-Krise, verwaltete der Musikrat umfangreiche Hilfs- und Stipendientöpfe. Das Musikinformationszentrum (auch schon 25 Jahre alt) ist zweifellos eine unerschöpfliche Quelle von Informationen und aktuellen Themenschwerpunkten. Die einst vermutete Konkurrenz ist einer Zusammenarbeit gewichen. In der Berliner Kulturpolitik wird gehört, was der Musikrat lautstark fordert.
Verbände sind heute ein wenig aus der Mode gekommen. Als Dachorganisationen von Vereinen oder Institutionen werden sie gerne in die Kategorie „verstaubt“ einsortiert. Ähnliches droht Printmedien, die auf fundierten und unabhängigen Journalismus setzen. Beides aber scheint heute wichtiger denn je, in einer Zeit, in der Fake News, KI, demokratiefeindliche Parolen und Verschwörungstendenzen sich ausbreiten; in der eine Nachricht mit 280 Zeichen so viel mehr Menschen erreicht als eine fundierte politische Botschaft oder ein gut recherchierter Artikel. Hier gegenzusteuern kann auch in Zukunft ein gemeinsames Ziel von Musikrat und nmz sein.
Theo Geißler, langjähriger Chefredakteur der nmz, heute ihr Herausgeber und ConBrio-Verlagschef, gehörte immer zu den schärfsten Kritikern – nicht nur, aber auch des Deutschen Musikrats. 2022 wurde er (zu seiner eigenen Überraschung!) zu dessen Ehrenmitglied ernannt: Ausdruck des Respekts gegenüber einem Menschen, aber auch gegenüber einem Medium. Gegenüber einer Partnerschaft, die manchmal zerbrechlich scheint, sich aber immer wieder auch als erfolgreich im gemeinsamen Streiten erweist. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum Siebzigsten!
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