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Ungewöhnliche dramaturgische Konzepte

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Ein Interview mit Sönke Lentz, Projektleiter des Bundesjugendorchesters
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Quell vielfältiger Überraschungen, beruflicher Wegbereiter, Tourneeveranstalter, Begegnungsstätte, musikalischer Olymp – das Bundesjugendorchester (BJO) ist vieles, zweierlei aber ganz sicher: ein Klangkörper mit über 100 jungen Leuten, der auf nahezu unvergleichlich hohem Niveau sinfonische Musik präsentiert und ein Projekt, das sich in den letzten Jahren einer beständigen Häutung hin zur Professionalität unterzogen hat, so dass man inzwischen, mit knapp 40 Jahren, im internationalen Konzertbetrieb in der obersten Liga spielt. Mit dem Projektleiter des BJO, Sönke Lentz, sprach Susanne Fließ.

Susanne Fließ: Wer Mitglied im BJO ist, die Arbeitsphasen mitgemacht hat und dann ein Musikstudium aufnimmt, hat nicht nur vielfältige Literatur kennengelernt, sondern vermutlich auch ein realistisches Bild vom Berufsmusiker?
Sönke Lentz: In der Tat ist das die wichtigste Aufgabe dieses Projektes. Wir wollen eine Entscheidungshilfe für die Jugendlichen sein und eine erste Antwort auf Fragen geben, wie: „Kann ich mir vorstellen, jeden Abend im Orchestergraben oder auf einer Bühne zu sitzen?“
Den Unterschied zum späteren Berufsalltag machen andererseits die vielen spektakulären Konzerte kurz hintereinander in schönen Konzertsälen aus. Solche prominenten Tourneen bleiben vielen der kleineren Profiorchester leider verwehrt. Auch in der Probenanzahl sind wir besser ausgestattet. Es bleibt jedem mehr Zeit, sich mit dem aktuellen Programm auseinanderzusetzen.

nmz: Was ist denn zuerst da, das Programm für die nächste Arbeitsphase oder die Besetzung?
Sönke Lentz: Zunächst entsteht das Programm, das die Projektleitung und der Dirigent der kommenden Arbeitsphase gemeinsam entwickeln. Dabei stehen künstlerische aber auch pädagogische Kriterien im Vordergrund. Der Beirat des Orchesters hat dazu Leitlinien formuliert. Ginge es nur nach den Mitgliedern des BJO, würden wohl nur die großen „Kracher“ gespielt. Absicht ist jedoch, die Klassiker mit selten gespiel-
ten Werken zu kombinieren und daraus ungewöhnliche dramaturgische Konzepte zu entwickeln.

Transsibirische Eisenbahn

So haben wir uns im nächsten Januar das Thema „Transsibirische Eisenbahn“ gesetzt: Die virtuelle Reise beginnt mit Arthur Honeggers „Pacific 231“, findet ihre Fortsetzung mit dem „Feuervogel“ von Igor Strawinsky und endet – nach einem Zwischenstopp in der Mongolei – in China mit dem „Paper Concerto“ von Tan Dun. Große Papierbahnen werden dann von der Bühnendecke hängen, auf denen drei Papiersolisten spielen werden. Für den musikalischen Zwischenstopp haben wir einen mongolischen Obertonsänger und einen Pferdekopf-Geiger engagiert. Beide studieren bereits mit einer kleinen Gruppe des BJO Stücke ein und unterrichten im Obertongesang.

nmz: Müssen denn derartig spektakuläre Stücke auf dem Programm stehen, damit das BJO für Veranstalter und jugendliche Musiker attraktiv bleibt?
Sönke Lentz: Nein. Einzelnen Veranstaltern sind unsere Programme mitunter sogar zu spektakulär. Sie wollen eher Gewohntes und Bekanntes für ihr Konzertpublikum.
Der Wert der Konzerte liegt eigentlich im Orchester selbst: Konzertveranstalter wissen inzwischen längst, wer das BJO ist, und rechnen mit dem Überraschungseffekt von jugendlicher Begeisterungsfähigkeit und hohem Niveau. Auf diese beiden Faktoren werden viele Konzerte geplant und erzeugen ein enthusiastisches Publikum.

Für die jungen Leute bestehen die Reize in klug konzipierten Programmen, die am Ende den meisten Spaß machen. Im Sommer werden wir Detlev Glanerts „Theatrum Bestiarum“ neben Mahlers „Lied von der Erde“ setzen. Schon jetzt ist die Freude darauf groß!

nmz: Wird das Bundesjugendorchester auch für repräsentative Aufgaben der Regierung angefragt?
Sönke Lentz: Die Frage, die bei allen Plänen und Anfragen positiv beantwortet werden muss, lautet: Sind diese Aktivitäten auch pädagogisch sinnvoll, bringen sie also einen Mehrwert für die Jugendlichen? Unter dieser Prämisse steht das BJO für repräsentative Aufgaben gerne bereit. Beispielsweise hat ein Quintett des BJO bei der Vereidigung von Bundespräsident Horst Köhler im Bundestag gespielt. Unsere Osteuropa-Tournee fand im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft statt.

Offene Türen

Im Ausland werden wir stark von den Deutschen Botschaften eingeladen, um dem Gastland und den diplomatischen Corps der anderen Länder das Niveau der musikalischen Jugendarbeit in Deutschland vorzustellen. In der Folge öffnet uns das wiederum Türen für die Finanzierung der Auslandsreisen durch Mittel des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Instituts.

nmz: Für die Mitwirkung in diesem attraktiven Orchester schlägt der eine oder die andere auch schon mal eine Einladung in ein Landesjugendorchester (LJO) aus …
Sönke Lentz: Wir sehen die ganze deutsche Jugendorchesterlandschaft wie ein Stufenmodell in dem man mit steigendem Können bis zum BJO gelangt. Hat man im LJO eine sehr gute Leistung erbracht und möchte weiterkommen, kann man beim BJO vorspielen. Im besten Fall empfehlen die LJOs sogar den Wechsel. Die Einzelleistungen und damit auch das gesamte Orchester sind in einer höheren Liga als die LJOs, weil wir aus einem vergleichsweise großen Reservoir an Musikern schöpfen können. So können wir gerade im Bereich der Neuen Musik schwere Werke erarbeiten, die in einem LJO nicht realisierbar wären. Ich denke da zum Beispiel an das Viola-Konzert von Mark-Anthony Turnage das wir mit Tabea Zimmermann aufgeführt haben oder für 2009 das Trompetenkonzert von Olga Neuwirth mit Reinhold Friedrich.

Über die Jeunesses Musicales Deutschland haben wir die jährliche Konferenz der LJOs, des BJO und der Deutschen Streicherphilharmonie eingerichtet und besprechen anstehende Themen. Immer dringlicher wurde die bedauerliche Feststellung der letzten Konferenz, dass es ein ernsthaftes Nachwuchsproblem im Fach Kontrabass gibt. Es wäre dringend notwendig, gemeinsam mit anderen Partnern oder Projekten dieses Instrument weiter zu unterstützen!

nmz: Gibt es Projekte, die das BJO gemeinsam mit anderen Projekten im Deutschen Musikrat realisiert?
Sönke Lentz: Zwischen „Jugend musiziert“ und dem BJO gibt es von Anbeginn eine „natürliche“ Kooperation. Für die Preisträger des Wettbewerbs ist das BJO eine wichtige Anschlussmaßnahme. Andersherum tun sich Mitglieder des BJO auf den Phasen zu kleinen Ensembles zusammen, um bei „Jugend musiziert“ mitzumachen, in diesem Jahr erzielten fast ein Drittel aller Mitglieder dort einen 1. Bundespreis. Eine wichtige Kooperation ist auch die mit dem Dirigentenforum. Immer wieder können wir einem Stipendiaten eine Assistenz bei unserem Dirigenten ermöglichen. Zum Bundesjazzorchester, manifestierte sich die Kooperation in einer Arbeitsphase im Jahr 2003 und einer, die wir für das Jahr 2009 geplant haben: Auf der Deutschland- und Südafrika-Tournee werden wir gemeinsam symphonischen Jazz präsentieren. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel bei Kompositionsaufträgen einen Link zu den Projekten der zeitgenössischen Musik.

nmz: Wie lässt sich die Finanzierung all dieser Aktivitäten langfristig sicherstellen?
Sönke Lentz: Neben den bisherigen treuen Förderern arbeiten einige Ehemalige des Orchesters seit kurzem an der Gründung einer Stiftung. Zurzeit werden alle Ehemaligen, die wir erreichen können angeschrieben, um den finanziellen Grundstock für diese Stiftung zusammenzubekommen.
Darüber hinaus werden auch Menschen, die nicht zum engsten Kreis des BJO gehören, angesprochen. Innerhalb von fünf Jahren, so der Plan, soll diese Stiftung neben dem Bundesjugendministerium, dem WDR, der DOV, der Daimler AG und eigenen Mitteln zur vierten Säule der Finanzierung des BJO werden.

Auf lange Sicht soll die Stiftung auch dazu beitragen, die hoffnungslos unterbesetzte Personalsituation zu verbessern. Vergleichbare Orchester haben bei gleicher Tourneetätigkeit doppelt so viel Personal!

nmz: In welche Brillanz man hier investiert, sieht man an den jüngsten Kooperationen ...
Sönke Lentz: Wir freuen uns sehr, dass die Berliner Philharmoniker das BJO stärker und stärker unterstützen und wir nun jährlich bei ihnen zu Gast sein dürfen. Hinzu kommen Einladungen in den Musikverein Wien, nach Salzburg und, wenn alles klappt, zu einer Art Sommer-Residency während der Kulturhauptstadt-Phase in der Philharmonie Essen. Darüber hinaus möchte Sir Simon Rattle nach einer ersten Probe nun mit dem Orchester weiterarbeiten, und auch mit Christoph von Dohnányi, Sir Roger Norrington und Christoph Eschenbach suchen wir derzeit gemeinsame Termine.

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