Musik fungiert bisweilen auch als politisches Instrument – daran hat sich in den letzten Jahren wenig geändert. Die mediale und allgemeine Besorgnis darüber, dass die NPD seit Anfang der 2000er Schulhof-CDs verteilt, um junge Wähler zu mobilisieren, ist längst abgeflaut. Zu Recht? Immerhin haben CDs im Jahr 2018 wohl bei den meisten Schülerinnen und Schülern einen deutlich geringeren Stellenwert als noch im Jahr 2004. Das Internet ist mittlerweile erste Anlaufstelle in puncto Musikbeschaffung, die NPD hat ihre Relevanz mit dem Erstarken der Alternative für Deutschland größtenteils eingebüßt und letztere hat bisher wenig Interesse an deutschem Rechtsrock anklingen lassen.
Und trotzdem: Die Beratungsstelle Mobit verzeichnet seit 2015 einen kontinuierlichen Anstieg an Rechtsrock-Konzerten im Raum Thüringen, wo sich sichtlich eine rechtsextreme (Musik-)szene zuhause fühlt. Klar ist: Wer bei derartigen Veranstaltungen aufschlägt, bedarf keiner weiteren musikalischen Überzeugungsarbeit von rechter Seite. Diese ist entweder ohnehin nicht nötig oder schon im Vorfeld geschehen – meist ganz legal per Web. Immerhin ist die Hörerschaft von einer „Grauzonen“-Band wie Frei.Wild (deren Musikvideos bis zu 22 Millionen mal aufgerufen werden) auf YouTube stets nur ein paar wenige Klicks entfernt von den wirklich harten Geschützen. So lotst der YouTube-Algorithmus von Frei.Wild-Songs zu Bands wie Stahlgewitter und Sleipnir, zwei der bekanntesten deutschen Rechtsrock- beziehungsweise Neonazi-Formationen.
Einstiegsdroge Deutschrock also? Frei.Wild, wie einst schon die Böhsen Onkelz, sieht sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen mit Extremismus-Vorwürfen konfrontiert. Ein Link, der laut dem Wikipedia-Quellenverzeichnis zu einem Statement mit dem Titel: „Die Welt ist bunt. Und frei“ auf der bandeigenen Homepage führen und ihre „Absage an jede flüchtlingsfeindliche Position“ belegen soll, leitet weiter zu einer Fehlermeldung [Gleichwohl ist der Text abrufbar, wenngleich die Fehlermeldung auch über den Wikipedia-Link erscheint. Die Adresse wäre: http://news.frei-wild.info/archiv/7B22BAB3A9D64118.htm#anker2 – Anm. der Redaktion]. Das mag wenig überraschen; ist dieser unter ominösen Umständen verschollene Nachweis einer Distanzierung der Band von rechtem Gedankengut doch symptomatisch dafür, wie die Südtiroler Gruppe schon seit Jahren zwischen öffentlicher Akzeptanz und zum Teil radikalen Fans balanciert. Auf ihrem neuesten Werk, dem im März 2018 erschienenen Album „Rivalen und Rebellen“, bedient sich die laut eigenen Aussagen unpolitische Band munter an klassischem Verschwörungstheorie-Vokabular. Frontmann Philipp Burger singt von „Systemmarionetten“, vergleicht die Kritik am eigenen Werk mal eben mit der systematischen Judenverfolgung zu NS-Zeiten und witzelt in „Gutmensch ärgere Dich nicht“ über das „grüne Gift“. Den Rest und somit den Großteil der Texte der neuen Platte kann man als unpolitisch bezeichnen, wenngleich nicht nur die sich ständig wiederholenden Bezüge zu Heimat und Identität die Anbiederung an ein weniger unpolitisches Publikum doch recht einfach machen.
Das ständige Pochen auf politische Neutralität respektive politisches Desinteresse ermöglicht Frei.Wild einen Zugang zur breiten Öffentlichkeit, der offen rechtsextremen Künstlerinnen und Künstlern üblicherweise verwehrt bleibt. Zwar sind die lyrischen Ergüsse Burgers und seiner Bandkollegen im Vergleich zu deren Texten tatsächlich zurückhaltend, überwiegend sogar harmlos. Die Schlagkraft Frei.Wilds dürfte aber in der Rechtsrock-Szene ihresgleichen suchen. Und während Lieder von Gruppierungen wie Kategorie C oder Stahlgewitter sicher nicht zum Standard-Repertoire der meisten Hobby-DJs zählen, hat sich so mancher Frei.Wild-Song mittlerweile einen festen Platz auf vielen Party-Playlists erkämpft. Frei.Wild sind – und das zeigen nicht allein mehr als eine halbe Million Facebook-Likes – längst im Mainstream angekommen. „Rivalen und Rebellen“ stieg direkt auf Platz Eins der deutschen Album-Charts ein, dem Release folgt nun eine deutschlandweite Tournee. Von derartigen Dimensionen sind rechte Liedermacher wie Sacha Korn oder auch Ex-Landser-Sänger Michael Regener, den man durchaus als erfolgreich bezeichnen kann, weit entfernt.
Ganz abgesehen von Philipp Burgers Vergangenheit in der pro-österreichischen Skinhead-Band Kaiserjäger und seiner Distanzierung von dieser, dem sich von der Band immer wieder gern angezogenen Schuh der „konservativen Antifaschisten“, welcher wie ein idealer Kompromiss für Fans jeglicher Fasson scheint, und der Tatsache, dass die Gruppe eben wirklich durch das klassische Neonazi-Raster fällt: Frei.Wild ist der fleisch- und musikgewordene Auswuchs des rechten Populismus, der zuletzt einer Partei wie der AfD über 12 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl bescherte. Sie steht wie keine zweite Band für den neuen Nationalismus unserer Zeit und sieht sich im ständigen Kampf gegen eine elitäre Linke, die vermeintlich den Ton angibt in einer Gesellschaft, in der sich „Rivalen und Rebellen“ wie Frei.Wild ständig behaupten und rechtfertigen müssen. Die Südtiroler, die wiederholt betonen, keine Italiener zu sein, geben sich, bewusst oder unbewusst, als Andersdenkende, als Widerständler. Wir gegen sie, das Volk gegen „die da oben“. Dass sie ähnlich zielgruppenorientiert arbeiten wie ein glattgebügelter Max Giesinger, der letztendlich eben auch nur das singt, was seine Fans hören wollen, passt zwar nicht ganz zum Image der eigensinnigen Rebellen, stört ihre Hörer aber wenig.
Um weiterhin erfolgreich im Geschäft zu bleiben, müssen Frei.Wild also in ihrer Grauzone verharren. Solange die Distanzierungen von der Neonazi-Szene halbherzig bleiben und fremdenfeindliche Ressentiments und Anti-Establishment-Plattitüden einen festen Platz auf jeder Veröffentlichung haben, halten die Fans der Band die Stange. Dass sie dabei die Grenzen verwischen zwischen tatsächlich unpolitischer Musik und Bands, in deren Liedern offen zur Gewalt an Minderheiten aufgerufen wird, nimmt die Gruppe in Kauf. Der Weg von Max Giesinger zu Frei.Wild ist deutlich weiter als der von Frei.Wild zu Landser, ganz egal, wie sich die Südtiroler Band darstellen möchte. Unpolitisch ist das nicht. Ungefährlich auch nicht. Wer sich fragt, wie es passieren kann, dass rechtsextreme Positionen scheinbar unbemerkt ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft finden, kann also einen Blick auf das Exempel werfen, das Frei.Wild in den letzten Jahren statuiert hat. Massentauglichen Rechtsrock zu machen erweist sich letztendlich effektiver, als Schulhof-CDs zu verteilen. Lukrativer ist es ohnehin.