nmz 2000/10 | Seite 44
49. Jahrgang | Oktober
Kulturpolitik
Was tun mit dem Nachlass
Eine Tagung internationaler Komponisteninstitute im Orff-Zentrum München
Was haben Debussy und Eisler, Schreker und Cage, Schönberg und Britten miteinander zu tun? Für alle diese Komponisten gibt es Organisationen, die ihren Namen tragen und sich um ihr Werk und dessen Verbreitung kümmern. Es gibt weltweit Dutzende solcher Vereinigungen, Archive und Institute; Kontakte untereinander hatten sie bisher nicht. Sie alle sind irgendwann im 20. Jahrhundert gegründet worden, als die Notwendigkeit für die Quellensicherung und Tradierung der Werke der Moderne ins Bewusstsein rückte und ein entwickeltes Urheberrecht es ermöglichte, solche Bemühungen auf Tantiemenbasis zu finanzieren.
Das Münchner Orff-Zentrum mit seinem initiativen Leiter Hans Jörg Jans hat nun erstmals versucht, einen Informationsaustausch unter diesen Institutionen zustande zu bringen. Anfang Juli lud es Vertreter von einunddreißig dieser Organisationen zu einer Tagung nach München. Mit der Sacher-Stiftung Basel, der Getty Research Library Los Angeles und der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin saßen außerdem drei Institutionen mit am Tisch, die Nachlasspflege in großem Stil betreiben, sowie zwei nationale MICs: das British Music Information Centre London und das Centre de documentation de la musique contemporaine, Paris.
Was heißt „den Nachlass pflegen“ konkret? Obwohl jede Institution ihre eigenen, durch Inhalte und Organisationsform bestimmten Ziele und Arbeitsmethoden hat, sind die Aktivitäten doch immer wieder ähnlich: Sammeln und Aufarbeiten des Quellenmaterials, Kooperation mit Verlagen bei der Edition, Ausrichtung von Konzerten, Symposien und Ausstellungen, Publikation von Werkverzeichnissen und anderen Dokumentationen. Nicht alle, das zeigten die informativen Kurzreferate und Diskussionen in München, können sich dabei auf das sichere Fundament eines eigenen Autographenbestands verlassen, und längst nicht alle Institute werden von den Tantiemen der Komponisten gespeist, für deren Nachruhm sie arbeiten. Zum Beispiel das Richard-Strauss-Institut in Garmisch-Partenkirchen, das das von einer alten Fan-Gemeinde geprägte Bild des Komponisten schrittweise von Konventionen und Klischees zu reinigen beabsichtigt: Es erhält von den Tantiemenmillionen, die an die Erben fließen, gerade ein paar Brosamen und wird zur Hälfte von Subventionen getragen; es besitzt noch nicht einmal die Autographe. Ähnlich das 1998 in Wien gegründete Krenek-Institut oder die Hanns-Eisler- Gesellschaft in Berlin. Die Witwen wollen schließlich auch leben.
Zu den Instituten, die über gesicherte Tantiemeneinkünfte oder feste Subventionen verfügen, gehören etwa die Weill-Foundation, das Arnold-Schönberg-Center oder das Hindemith-Institut. Eine singuläre Existenzbasis besitzt das gastgebende Orff-Zentrum: es besitzt den Rang eines bayerischen Staatsinstituts und wird vom Staat voll finanziert. Diese Institute sind gleichsam die Rolls Royces unter den Komponisteninstituten. Sie haben ihre eigenen Räume und sind in der Lage, wissenschaftliche Publikationen und Tagungen zu produzieren, Studienzentren zu unterhalten und manchmal sogar Stipendien zu vergeben.
Auf der andern Seite gibt es die Fahrradfahrer: Eine Schreker-Gesellschaft, die mit Sitz in Paris bis heute mit wenig Erfolg um die Rehabilitierung des von den Nazis in die Vergessenheit gestoßenen Franz Schreker kämpft, ein Szymanowski-Museum in Zakopane, das mit bescheidenen Mitteln das Andenken an den Komponisten wach hält, ein Centre de documentation Claude Debussy, das sage und schreibe jahrzehntelang ohne feste Adresse war und in ganz Frankreich herumgeschubst wurde, eine Satie-Stiftung mit einem Archiv, das seine Organisationsscheu offenbar vom Namensgeber geerbt hat. Solche Institutionen hängen oft nur von der Initiative einer einzigen Person ab und sind auf die Begeisterung und den Idealismus der Zuarbeiter angewiesen, die die musikwissenschaftliche oder publizistische Kärrnerarbeit machen.
Viele Komponisteninstitute, zumal in Nord- und Mitteleuropa, spielen in ihrem Land eine bedeutende kulturpolitische Rolle. Die dänische Nielsen-Stiftung beispielsweise finanziert aus den Tantiemen nicht nur die Nielsen-Gesamtausgabe, sondern schüttet alle zwei bis drei Jahre noch rund 125.000 Mark an Preisen und Fördergeldern an junge Komponisten aus. Das 1965 gegründete finnische Sibelius-Institut, das maßgeblich an der bei Breitkopf & Härtel erscheinenden Sibelius-Gesamtausgabe mitwirkt, schuf mit dem Großprojekt in Finnland die Grundlagen und das Know-how für eine moderne kritische Editionspraxis. Die schon 1975 gegründete Martinu-Stiftung konnte nach klugen juristischen Schachzügen der Witwe 1995 in Prag ein Studienzentrum gründen, das mit den Tantieme-Einkünften Initiativen entfaltet, die weit über die Martinu-Pflege hinaus gehen. Dass die Daseinsberechtigung der Komponisteninstitute sich nicht im Engagement für die Werke des Namenspatrons erschöpfen muss, lehrten die Ausführungen englischer Teilnehmer. Der Ralph Vaughan Williams Trust steckt sein Geld vorwiegend in die Herstellung von Tonträgern mit englischer Musik und legt dabei das Schwergewicht auf die Förderung vergessener Komponisten von Rang und des Nachwuchses; der William Walton Trust engagiert sich in England in der Musikerziehung und führt auf Ischia, wo Walton eine Villa mit Grundstück hinterließ, Meisterkurse durch.
In solchen Aktivitäten zeigt sich eine kulturelle und auch soziale Verantwortung gegenüber Gemeinschaft und Nachwelt, die ja durchaus im Sinne der Schöpfer und ihrer Kunstwerke ist. Bei manchen, gerade den gutdotierten Instituten scheint das zugunsten der Durchsetzung des „eigenen“ Komponisten in den Hintergrund zu treten. Bei dem von Jürg Stenzl geleiteten Schluss-Symposium wurde dieser Aspekt nochmals betont, und zwar von zwei Polen, die aus der Perspektive des institutionell unbelasteten Beobachters urteilten: der Komponistin Bettina Skrzypczak (Basel) und dem Musikwissenschaftler Antoni Buchner (Berlin). Bei der Pflege eines Komponistennachlasses, so ihr Tenor, geht es nicht primär um Promotion und mehr Präsenz am Markt, sondern um die lebendige Tradition eines Geistes, der sich in den Werken materialisiert hat, zum Nutzen der nachfolgenden Generationen.
Die Tagung wurde als motivierend empfunden. Auch als überfällig, wurde doch die Notwendigkeit einer besseren Information und Koordination erkannt. Bei der vom Gastgeber Jans angesprochenen Organisationsfrage hielt man sich aber bedeckt; die Investition von Zeit und Geld scheinen die meisten zu scheuen. Immerhin: Man schlug weitere Treffen vor, angesprochen wurde auch eine Internetseite mit Links zu den Instituten. Zur Tagung stellte das Orff-Zentrum eine vorbildliche Dokumentation über die beteiligten Institute zusammen, die wesentliche Anstöße für weiterführende Aktivitäten gibt. (Info: Orff-Zentrum, Kaulbachstr. 16, 80539 München)