Der Skandal um den Dirigenten Volker Hartung hat den Stein ins Rollen gebracht und die Debatte um Schwarzarbeit im Orchesterbetrieb angeheizt. Die französische Justiz wirft dem Leiter der Jungen Philharmonie Köln vor, für eine Konzerttournee durch Frankreich illegal Musiker aus Osteuropa beschäftigt und sie obendrein zu einem Hungerlohn von nur 30 Euro pro Tag abgespeist zu haben. Hartung selbst hingegen soll an der Konzertreise 200.000 Euro verdient haben, während die Musiker unter miserablen Bedingungen hätten arbeiten müssen. Wird dem Kölner Dirigenten tatsächlich Schwarzarbeit nachgewiesen, drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von einer Millionen Euro.
Hartung hat zwar in öffentlichen Auftritten alle Vorwürfe vehement zurückgewiesen, doch längst ist eine Diskussion darüber entbrannt, inwieweit die Beschäftigung von billigen Arbeitskräften nicht auch im hiesigen Kulturbetrieb bereits Einzug gehalten hat, ja schon zur gängigen Praxis gehört. Konkret gefragt: Droht mit der Osterweiterung der Europäischen Union eine Schwemme an Musikern aus diesen Ländern, die ihre hoch qualifizierten Dienste in Westeuropa zu einem Schleuderpreis anbieten? Rumänische und bulgarische Geiger sind aus westeuropäischen Orchestern schon seit langem nicht mehr wegzudenken. Genau das ist Hartungs Vorwurf: „Die Gewerkschaften sollen doch nicht so tun, als wüssten sie nicht, dass es diese Musiker in deutschen Orchestern gibt“, sagte der Dirigent der nmz.
Der Geschäftsführer der „Deutschen Orchestervereinigung“ (DOV), Gerald Mertens, stuft diese Gefahr eher gering ein. Wie er in einem Gespräch mit der nmz mitteilte, stünden die im vergangenen Mai in die EU aufgenommenen Länder unter einem wirtschaftlichen Anpassungsdruck, der mittelfristig zu einer deutlichen Anhebung der Löhne führen werde. „Wenn der Euro in diesen Ländern irgendwann eingeführt wird, müssen sie ohnehin auf ein vergleichbares Niveau kommen.“ Schon jetzt verdiene beispielsweise ein polnischer Musiker in einem renommierten Warschauer Orchester zwischen 500 und 600 Euro. Wenn man die günstigen Lebenshaltungskosten in diesen Ländern berücksichtige, „ist das ja schon mal was“.
Größere Probleme sieht der DOV-Geschäftsführer hingegen durch die an die neuen EU-Länder angrenzenden Staaten wie Russland, Moldawien, Weißrussland oder Ukraine gegeben. Da dort das Vergütungsniveau noch viel geringer ist als etwa in Polen oder den baltischen Staaten, müsse man sich auf Lohndumping aus diesen Ländern einstellen. „Das ganze Problem verlagert sich jetzt weiter nach Osten, das ist eigentlich mit der EU-Osterweiterung zu beobachten.“ Mertens zufolge klagen bereits polnische Musiker über den Konkurrenzdruck aus den angrenzenden Staaten, die ihre Dienste zu Billigstlöhnen anbieten.
Und doch: Auch in Westeuropa stehen die Karten gut, dass Konzertveranstalter große Gewinne machen, dabei die soziale Absicherung der Musiker gleichzeitig so gering wie möglich halten können. Grundlage hierfür ist die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene, so genannte Richtlinie über „Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt“, die eine größere Liberalisierung im Kulturbetrieb anstrebt. Im Falle einer Umsetzung ermöglicht diese Richtlinie, dass sich Unternehmer Länder mit niedrigen sozialen Standards als Firmensitz aussuchen und von dort die Musiker auf Konzertreisen durch ganz Europa schicken können. „Das ist ein echtes Trojanisches Pferd“, weiß Mertens. Er kritisiert, dass zentrale Bereiche der Wirtschaft wie die Telekommunikation und der öffentlich-rechtliche Rundfunk von dieser Regelung ausgenommen seien, die Kultur hingegen mit voller Wucht getroffen werde. „Die kann sich eben nicht dagegen wehren.“ Es gelte, die Kultur ebenso aus dieser Verordnung herauszunehmen, um die ungeschützte Öffnung des Marktes für Dienstleistungen zu verhindern.
Viel mehr Liberalisierung für den Kulturbetrieb wiederum wünscht sich Volker Hartung, der sich als Opfer eines „unglaublichen Komplotts von Seiten der französischen Gewerkschaften“ sieht. Im Fadenkreuz seiner Kritik steht vor allem der „Subventionswahn“ der einzelnen Länderregierungen, der seiner Auffassung nach verhindert, dass sich im Kulturbetrieb freies Unternehmertum entwickeln könne. Die Folge: Innovationen und Kreativität blieben auf der Strecke, „also genau das, was die Menschen an meinen Konzerten schätzen“. Er sei genau in die Falle hineingetappt, die ihm die Gewerkschaften gestellt hätten: „Die haben gesehen, dass da jemand ist, der die Kirchen voll kriegt, und gesagt: Diesen Mann darf es nicht geben.“ Würde sich der Konzertbetrieb mehr über den Markt und nicht über „gnadenlose Subventionierungen“ regulieren, werde auch die Macht der Gewerkschaften beschnitten und den klassischen Konzerten ein größerer Erfolg beschieden, glaubt Hartung. Er verweist auf die New Yorker „Metropolitan Oper“, die sich vorwiegend über Mitglieder- und Sponsorenbeiträge finanziert. Ein Beispiel für den Erfolg einer solchen ausschließlich marktbezogenen Kulturpolitik in Europa scheint die „Philharmonie der Nationen“ unter der Leitung von Justus Frantz zu geben. Die tragenden Säulen der Finanzierung des rein privat geführten Sinfonieorchesters sind Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Spenden des Fördervereins, CD-Verkauf und Zuschüsse von Hauptsponsoren, die den größten Teil beisteuern. Offensichtlich scheint das finanzielle Konzept, das zudem noch über Rundfunk – und Fernsehauftritte getragen wird, aufzugehen. Das Orchester hat all- erdings auch eine im Vergleich zu anderen Konzertbetrieben kostengünstige Organisationsform: Es besteht zu einem großen Teil aus in Ausbildung befindlichen Musikern aus aller Welt, die jeweils für einzelne Tourneen und Projekte engagiert werden und sehr bescheidene Tagesgagen sowie Spesen erhalten. Wie groß ist da der Unterschied zu Hartungs Methoden?