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Beifall für den Ex-Präsidenten: Klaus Zehelein bei seiner Verabschiedung auf der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins in Potsdam. Foto: Bühnenverein
Beifall für den Ex-Präsidenten: Klaus Zehelein bei seiner Verabschiedung auf der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins in Potsdam. Foto: Bühnenverein
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„Wir machen doch nicht Kunst, damit sie sich rentiert“

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nmz-Gespräch: Nach zwölf Jahren übergibt Klaus Zehelein sein Amt als Bühnenvereinspräsident an Barbara Kisseler
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Klaus Zehelein wurde 1940 in Frankfurt/Main geboren. Er arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und Philosophie zunächst als Dramaturg in Kiel und Oldenburg, von 1977 bis 1987 als Chefdramaturg und koordinierter Operndirektor an der Frankfurter Oper. Danach folgten weitere Stationen in Brüssel und Wien, von 1989 bis 1991 war er künstlerischer Direktor des Hamburger Thalia Theaters. Von 1991 bis 2006 war Zehelein Opernintendant an der Staatsoper Stuttgart. Von Herbst 2006 bis August 2014 stand er als Präsident der Bayerischen Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater München vor und leitete den Studiengang Dramaturgie der Ludwig-Maximilians-Universität. Von 2003 bis Mai 2015 amtierte Zehelein als Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Mit dem scheidenden Präsidenten sprach Susanne Fließ.

neue musikzeitung: Herr Prof. Zehelein, wie funktioniert denn solch eine Übergabe vom Alt-Präsidenten zur neuen Präsidentin?

Klaus Zehelein: Das ist weit mehr als ein funktionierender Verwaltungsakt: Am 29. Mai wurde im Rahmen der Vollversammlung des Deutschen Bühnenvereins die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler in das Amt der Präsidentin gewählt. Ich bin sehr froh, dass sie meine Nachfolgerin ist, denn sie tritt das Amt mit profunden Kenntnissen der kulturpolitischen Situation von Kommunen, Ländern und des Bundes an. Wir leben und arbeiten in Zeiten, die für viele Theater und Orchester problematisch bleiben, so dass andere, neue Anlässe zur Sicherung unserer Künste notwendig wären.

nmz: Über 12 Jahre waren Sie der Profi-Künstler-Präsident an der Spitze des Verbandes. Die Geschichte des Deutschen Bühnenvereins verzeichnet mehrheitlich Verwaltungsprofis.

Zehelein: Nun ja, meine direkten Vorgänger kamen ebenfalls aus der künstlerischen Ecke: Da war August Everding, danach Jürgen Flimm. Die Profis mit ungeheurem Sachverstand in allen Verwaltungsfragen finden sich im etwa 20-köpfigen Kölner Team des Bühnenvereins. Und mir sind juristische Fragen auch nicht fremd.

nmz: Bei welchen Themen in der öffentlichen Wahrnehmung des Bühnenvereins erkennt man Ihre Spuren?

Zehelein: Als ehemaliger Intendant und langjähriger Präsident der Bayerischen Theaterakademie ist mein Diskursschwerpunkt eher in der Auseinandersetzung mit unseren Künsten selbst und deren Vermittlungsmöglichkeiten zu suchen als in verwaltungstechnischen Problemen.

In meinen Gesprächen verwies ich immer darauf, dass ich Institutionen vertrete, die sich nicht als selbstreferenzielle Apparate verstehen, sondern als lebendige Orte der Ermöglichung von Tanz, Musik, Schauspiel. Wie sich die Wahrnehmung der Theater im Laufe der letzten 25 Jahre verändert hat, lässt sich gut in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen veranschaulichen: War die pädagogische Arbeit erst einmal dadurch bestimmt, die Institutionen Oper, Schauspiel oder Konzert den Kindern und Jugendlichen nahezubringen, so werden heute ästhetische Bildungsprozesse durch die Arbeit mit den Künsten selbst bestimmt, als hoffentlich lustvolle Erfahrungen im Spielen, Singen, Tanzen. Eine Misere, die schon früh zu bemerken war, ist die „Durchökonomisierung“ unseres Daseins, bis tief in die Bereiche der Künste und Wissenschaften hinein. Das Denken kreist ausschließlich um ökonomische Strategien und steuert die Entscheidungen. Dieser Sichtweise widerspreche ich bis zum heutigen Tag aufs Schärfste. Wissend um die Unschärfe, erwähne ich, dass das erste Musikinstrument, die Knochenflöte von der Schwäbischen Alb, über 40.000 Jahre alt ist, die Einführung der doppelten Buchführung dagegen gerade mal 650 Jahre. Das ist gemeint als eine Art grober Hinweis auf das, was unsere Gesellschaft, unseren Lebenszusammenhang eigentlich bestimmen soll.

Wir müssen im Gespräch bleiben

nmz: Die Ökonomen sind ja vielleicht auch im Besitz eines Opern-Abos oder genießen einen Abend im Theater?

Zehelein: Die Sozialisation vieler Politiker lässt sie kaum begreifen, was Künste mit einem machen, was sie, auf ein ganzes Leben bezogen, bewirken können. Aber wenn wir kurzfristig darüber erstaunt sein mögen, wie verständnislos uns manchmal begegnet wird, so dürfen wir den Dialog mit diesen Menschen nicht abreißen lassen. Wir müssen im Gespräch bleiben, und zwar nicht als Besserwisser, sondern als Gesprächspartner, die fest davon überzeugt sind, dass das, was wir tun, essentiell für die Zukunft dieser Gesellschaft ist.

nmz: Was kann man als Präsident eines Verbandes durchsetzen oder zumindest anstoßen, was man über die Kunst nicht kann?

Zehelein: Klar ist zunächst: Ein Präsident kann gar nichts durchsetzen. Er kann nur versuchen zu überzeugen. Wenn man mit Menschen redet, die Verantwortung für den Erhalt von Orches­tern und Theatern in der Gesellschaft haben, ist in solchen Prozessen empathisches Verhalten oft wirkungsvoller als rationale Argumentation. Aber schon Hegel wusste, dass der Übergang von der „List der Vernunft“ zum Opportunismus ein schmaler ist.

nmz: Laut der aktuellen Statistik Ihres Hauses 2012/13 sind die Besucherzahlen in den Theatern stabil geblieben. Kein Grund zur Sorge?

Zehelein: Das stimmt, die Statistik zeichnet ein eher positives Bild. Dennoch: Es werden meiner Meinung nach zu viele Premieren gemacht gegenüber früher. Menschen sollen über Novitäten ins Theater geholt werden. An sich keine schlechte Idee. Ich bin aber der Ansicht, dass es wichtig ist, die Aufmerksamkeit auf weniger Ereignisse zu fokussieren, um mehr Zeit für die Proben und Wiederaufnahmen zu finden.

nmz: Was heißt das?

Zehelein: Ein Drei- oder Vier-Spartenhaus präsentiert dann eben nicht über 30 Premieren, sondern vielleicht nur 22. Konzentration auf das je Einzelne, anstatt fragwürdige Vielfalt.

Die Lust an der Kunst muss sichtbar werden

nmz: Die Rolle als Kultur-Verteidiger ist sicher nicht leicht gewesen und nimmt an Brisanz zu: Städte, die die Neigung haben, in Zeiten leerer Kassen zuerst den Kulturetat einzusparen, Orchester zu fusionieren, Theatersäle zu schließen, weil von dort am wenigsten Gegenwehr zu erwarten ist.

Zehelein: Die Finanzierung der Theater und Orchester ist zu einem ständigen Begleiter unseres Bühnenverein-Alltags geworden und gibt uns auch Anlass zur Sorge. Diese Thematik zog sich durch meine gesamte Amtszeit und auch meine Nachfolgerin wird sich damit beschäftigen müssen. Nun muss man gerechterweise sagen, dass die Bundesrepublik im Vergleich mit anderen Staaten nicht so schlecht dasteht. Aber: Es gibt Regionen in Meck­lenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und auch in Nordrhein-Westfalen, in denen Entwicklungen zu beobachten sind, die uns Sorgen bereiten. Deshalb müssen wir uns der Darstellung dieses Problems strategisch nähern und die Träger davon überzeugen, dass Kunst langfristig in die Gesellschaft einwirkt. Ein Politiker hat das mal überspitzt formuliert: Was man in die Kunst inves­tiert, erspart man sich später bei den Sozialausgaben. Die Lust an der Kunst muss sichtbar werden. Wenn alles nur auf einer ökonomischen Ebene verhandelt und Kunst unter dem Aspekt der „Umwegrentabilität“ betrachtet wird, dann sitzt man in der Falle des ökonomischen Systems.

Selbstverständlich haben wir eine ökonomische Verantwortung für das, was wir machen, weil Kunst öffentlich finanziert wird. Ich weigere mich aber, von „Subvention“ zu sprechen, es handelt sich ja nicht um Flugbenzin oder Steinkohle, sondern einen Auftrag, den Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen ebenso wahrnehmen wie wir.

nmz: Im Dezember 2014 wurde die Deutsche Theater-und Orchesterlandschaft in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Ein kleiner Sieg für Sie?

Zehelein: Ja, auch weil es Widersprüche innerhalb des Verbands gab. Von externer Seite wurde uns vorgeworfen, dass wir an einer Musealisierung der Theaterlandschaft arbeiteten. Genau darum geht es aber nicht. Theater reagieren auf gesellschaftliche Prozesse und verändern sich deshalb beständig. Ich bin froh, dass der Eintrag in die Lis­te gelungen ist. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund von TTIP. Wenn wir Kunstschaffende es zulassen, dass man uns als Dienstleister bezeichnet, dann unterläuft man damit auch die UNESCO-Konvention von 2005 zum Schutz kultureller Vielfalt. Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft besteht in diesem dichten Geflecht von Stadttheatern, Staatstheatern, Landesbühnen, Privattheatern und Freier Szene. Wenn dieses Geflecht durch weitere Fusionen und Schließungen Löcher bekommt, beschädigen wir dieses Erbe. Ich habe die Hoffnung, dass durch die Aufnahme in die Liste auch der Grad von Verantwortlichkeit gegenüber unseren Künsten wächst.

nmz: Am häufigsten sind ostdeutsche Kunstinstitutionen von Schließungen oder Fusionen betroffen.

Zehelein: Zum einen denke ich, dass man nach dem Fall der Mauer eine gewisse Neuordnung akzeptieren musste. Es gab in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern Drei-Sparten-Häuser. Hier muss man die Frage nach der Relation stellen. Aber es gibt eine Grenze: Bereits fusionierte Theater kann man nicht nochmal fusionieren. Dazu kommt: Regionen, die von kulturellen Angeboten leergefegt wurden, sind nicht unproblematisch. Was unsere Künste, was die Theater, die Orches­ter an Sensibilisierungsarbeit weiterzugeben vermögen, muss immer wieder deutlich gemacht werden.

nmz: Ein Gesetz steht demnächst noch ins Haus: das Tarif-Einheitsgesetz.

Zehelein: Für unsere „Betriebe“ ist dieses Gesetz total unproduktiv, ja, es schadet sogar. Ich finde Gewerkschaften in unserer Gesellschaft enorm wichtig, aber die Regierung und die großen Gewerkschaften wie ver.di verkennen die Unterschiedlichkeit von Interessenswahrnehmung. Ich hoffe, dass das Verfassungsgericht diese Gesetzesvorlage kippt. Das, was im Zusammenhang mit der Bahn vielleicht als Vorteil erscheinen mag, lässt sich nicht einfach auf künstlerische Bereiche übertragen. Es ist so, dass es vielen Menschen schwerfällt, mit der Komplexität unserer Welt umzugehen. Aber sie ist da, und wenn nun solche Einheitsideen Raum greifen, ist das ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert. Divergierende Interessen werden einfach ignoriert. Hier sind wir im Bunde mit den kleineren Gewerkschaften. Künstlerisches Arbeiten und deren Vermittlung ist jenseits der Arbeit zu verstehen, die von ver.di, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, vertreten werden kann. Wer künstlerische Arbeit als Dienstleistung einstuft, hat keinen Zugang zur Kunst, ja, er verrät sie. 

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