neue musikzeitung: Herr Bruggaier, wie kam es zu der Idee, den Verein „Orchester des Wandels“ ins Leben zu rufen?
Markus Bruggaier: Tatsächlich war mein damals noch kleiner Sohn die ausschlaggebende Person. Denn meinen Kindern in die Augen schauen zu können und eben nicht sagen zu müssen: „Wir tun nichts“, ist für mich eine große Motivation. Das Klima- und Umweltthema kam zu der Zeit sehr stark in der Gesellschaft auf und wir befanden uns damals auch vor der Kopenhagener Klimakonferenz.
nmz: Wie brachten Sie diese Motivation dann in Ihr musikalisches Leben ein?
Bruggaier: Zu dieser Zeit formierte sich gleichzeitig bei uns im Orchester der Vorstand neu und es entstand bei mir der Wunsch, auch auf der musikalischen Ebene etwas Neues zu machen. Dazu kam, dass wir ja mit der Berliner Staatskapelle in einem sehr konservativen Haus spielten und einen sehr konservativen Chefdirigenten hatten, der absolut toll ist: Daniel Barenboim. Aber Barenboim hat eben sehr klassische Programme gemacht. Da wollte ich etwas Kreatives in Bewegung setzen.
Musik und Nachhaltigkeit
nmz: Wie fruchtbar empfinden Sie die Verbindung der Themen Musik und Nachhaltigkeit?
Bruggaier: Was mich ständig sehr gewundert hat, ist, dass die Musiker immer so gelähmt waren und man dieses Thema nicht angefasst hat. Marcel Reich-Ranicki hatte ja mal gesagt, dass es als Themen in der Kunst nur die Liebe und den Tod gibt. Das sehe ich anders. Ich glaube, wir können das Klima- und Umweltthema auch dafür nutzen, um unser Publikum und uns inspirieren zu lassen und auf neue Publikumsschichten zuzugehen.
nmz: Wie fingen Sie dann an, Ihre Vorstellungen in die Tat umzusetzen?
Bruggaier: Ich bin in den Orchestervorstand gegangen und habe noch einige Kollegen dafür begeistern können, eine Arbeitsgruppe aufzumachen. Wir haben dann eine Stiftung ins Leben gerufen. Sie heißt „NaturTon“ und finanziert sich aus eigenen Mitteln. Und dann haben wir einfach losgelegt (lacht).
nmz: Wie war die Resonanz auf diese ersten Aktivitäten?
Bruggaier: Unser Projekt ist natürlich als Graswurzelinitiative oder, anders gesagt, als basisdemokratische Bewegung nicht nur auf Begeisterung gestoßen, da so eine Initiative für einen Betrieb wie die Staatsoper als ein enormer zusätzlicher Störfaktor und deshalb auch als Belastung empfunden werden kann.
nmz: Warum Störfaktor?
Bruggaier: Vor allem geht es um die Termine. Wir haben ja damals mit dem Orchester abgestimmt, dass wir neben dem Dienst jedes Jahr ein Benefizkonzert machen. Und das ist ein enormes Bekenntnis für ein Orchester, das sehr stark dienstbelastet ist. Da bin ich meinen Kollegen sehr dankbar, dass sie das mitgemacht haben.
nmz: Machten Sie dann Benefizkonzerte für bestimmte Projekte oder wie funktionierte das?
Bruggaier: Ich war der Meinung, bevor man beginnt, ewig hin- und her zu diskutieren, soll man gleich lieber etwas ausprobieren und einfach mal vorlegen. So haben wir am Schillertheater im Januar 2011 das erste Konzert mit Zubin Mehta für ein indisches Projekt gemacht. Allerdings hatten wir nicht ausreichend langfristig mitgedacht. Denn man kann natürlich solch eine Summe in so ein Projekt geben, aber das ist eben nicht nachhaltig.
nmz: Waren Sie damals das einzige „Orchester des Wandels“?
Bruggaier: Bis zum Jahr 2020 waren wir im Prinzip über zehn Jahre alleine. Wir haben zwar Kontakte zu Musikern anderer Orchester gehabt, aber die haben immer gesagt: Ihr macht ja so viel, da können wir überhaupt nicht mithalten. Wir entwickelten ein sehr niedrigschwelliges Angebot für Orchester, die sich auch einbringen wollen. Jedes Orchester zahlt mindestens tausend Euro Jahresbeitrag, was erst einmal viel klingt, aber verteilt auf ein Orchester nicht mehr so viel ist. Allerdings ist auch gewünscht, dass die Orchester sich kreativ einbringen vor Ort, mit welchen Konzertformaten auch immer. Und ich glaube, dieses Angebot hat absolut fruchtbaren Boden gefunden.
nmz: Welche Orchester haben sich dem Verein dann angeschlossen?
Bruggaier: Vor allem hat es die größeren und mittleren Orchester angesprochen oder eigentlich die Opernorchester, die in Deutschland ja an vielen Häusern verteilt sind. Die Staatskapelle Berlin, mit der alles begann, war das erste Orchester, das sich ab 2009 engagiert hat. Aber bevor wir die Gemeinschaftsinitiative begründet haben, gab es schon ein paar Orchester, zum Beispiel die Münchner und die Nürnberger Philharmoniker, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, bevor sie dann zu uns dazu gestoßen sind.
nmz: Wann genau wurde der e. V. gegründet und wie viele Orchester sind – Stand heute – dabei?
Die Orchester des Wandels
Bruggaier: Die Initiative und den Namen „Orchester des Wandels“ gibt es ja von Anfang an seit 2009, genauer: seit dem Sommer 2010, als wir dies der Öffentlichkeit vorgestellt haben. Im Prinzip haben wir den Namen dann erweitert auf „Die Orchester des Wandels“ und inzwischen haben sich mehr als 40 Orchester der Initiative angeschlossen.
nmz: Mittlerweile gibt es viele interessante Konzerte, die Sie schon gegeben haben. Erzählen Sie uns doch bitte von Ihren ganz besonderen Projekten in Brasilien und Madagaskar.
Bruggaier: Diese Projekte betreffen tatsächlich einen wichtigen Kernpunkt. Es steht doch immer der Begriff vom „ökologischen Fußabdruck“ im Raum und es gibt diesen Zeitpunkt im Sommer, an dem man sagt: Jetzt sind die Ressourcen der Erde für dieses Jahr eigentlich verbraucht. Doch: Wie schaut das eigentlich konkret aus? Das ist eigentlich viel zu virtuell und erreicht die Menschen gar nicht.
nmz: Können Sie uns ein konkreten Beispiel für den Ressourcen-Verbrauch geben?
Bruggaier: Nehmen wir die Holzart Fernambuk in Brasilien. Seit 500 Jahren wird das Holz abgebaut. Der Küstenregenwald Brasiliens war der zweitgrößte Regenwald der Welt, nach dem Amazonasregenwald. Das ist die Mata Atlantica und dieses Küstengebiet ist das am dichtesten besiedelte Gebiet Brasiliens.
Dementsprechend ist dieser Regenwald heute zu 95 Prozent abgeholzt. Es gibt fast nichts mehr, er ist aber auch gleichzeitig einer der artenreichsten Regenwälder der Erde, auch heute noch. Es gibt in Deutschland insgesamt 80 Baumarten, doch auf einem Quadratkilometer im Regenwald gibt es bis zu 5000 Baumarten. Das muss man sich mal vorstellen, was für ein wahnsinniger Reichtum da verlorengeht.
nmz: Welche besondere Rolle spielt das Fernambuk-Holz für Sie als Musiker?
Bruggaier: Fernambuk-Bäume haben rotes Holz, weshalb man sie immer weiter abgeholzt hat, denn Streicherbögen bestehen zu 99 Prozent aus diesem Holz. Leider ist Fernambuk mittlerweile in Brasilien vom Aussterben bedroht, denn es gibt nur noch in einzelnen Nationalparks Bäume. Das heißt, wir sind mit diesem viel zu großen Fußabdruck unterwegs, haben nicht nachhaltig gewirtschaftet und immer nur abgeholzt, bis förmlich der letzte Baum weg ist.
nmz: Wie engagieren Sie sich in diesem Bereich?
Bruggaier: Wir sind tatsächlich die Ersten, gemeinsam mit dem Verein „Eben!Holz e.V.“, die bezüglich des Bogenbaus dieses Projekt nun neu aufgelegt haben. Vor zwei Jahren kamen die brasilianischen Behörden und haben gesagt: Wir müssen dieses Holz bald einstufen wie Elfenbein. Das darf nicht mehr verarbeitet und nicht mehr gehandelt werden. Es gibt kunstvolle Bögen, für die 20.000 bis 50.000 Euro bezahlt werden. Und dieses unendlich feine Kunsthandwerk geht auch verloren. Dass man da nicht früher danach geschaut und gesagt hat, wir müssen dieses Kunsthandwerk auf gesunde Beine stellen, ist auch ein absolutes Sinnbild für die Dummheit unserer Gesellschaft. Man wirtschaftet, bis alles weg ist und dann sieht man sich um und merkt: Mensch, da ist ja nichts mehr!
nmz: Was ist für Sie der Kern Ihres Projektes „Empowerment of Women“ in Madagaskar?
Bruggaier: Es ist gesamtgesellschaftlich sehr wichtig – weil die Bevölkerung in diesen Ländern einfach auch explodiert –, den Frauen Selbstbewusstsein zu geben. Es geht um einen Bewusstseinswandel, es geht um Landwirtschafts- und Agrartechniken, Hygiene und Bildung. Das sind ganzheitliche Projekte, die sehr komplex angelegt sind, damit die Bäume, die wir heute pflanzen, auch in dreißig Jahren noch dastehen. Das sind enorme Herausforderungen, die wir angenommen haben. Aber es ist so wichtig, um diese Vielfalt wirklich zu kämpfen, tatsächlich um jede einzelne Art, wenn wir unseren Kindern in die Augen schauen möchten. Wenn wir Kinder haben, sind wir verdammt dazu, positiv zu denken. Insofern haben wir keine Wahl.
Interview: Burkhard Schäfer