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Der neue ACV-Präsident Marius Schwemmer, Kirchenmusikdirektor in Passau. Foto: pbp
Der neue ACV-Präsident Marius Schwemmer, Kirchenmusikdirektor in Passau. Foto: pbp
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„Wo musiziert wird, lebt die Kirche“

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Marius Schwemmer, Präsident des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für Deutschland, im nmz-Gespräch
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Vor gut einem Jahr, im September 2018, hat Marius Schwem­mer sein neues Amt als Präsident des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für Deutschland (ACV) angetreten. Er sammelte erste kirchenmusikalische Erfahrungen als Mitglied der Regensburger Domspatzen, studierte dann an der Würzburger Musikhochschule Kirchenmusik und vertiefte in Trossingen seinen Schwerpunkt Chorleitung. Zudem studierte er an der Universität Würzburg Theologie mit Schwerpunkt Liturgiewissenschaft, Musikpädagogik und Musikwissenschaft. Sein kirchenmusikalisches Wirken führte 2009 zur Berufung zum Diözesanmusikdirektor von Passau, 2013 wurde er zum Kirchenmusikdirektor ernannt. Seit 2016 leitet Schwemmer auch die Passauer Dommusik. Von 2005 bis 2015 hatte Schwemmer die Schriftleitung der kirchenmusikalischen Fachzeitschrift Musica sacra inne, von 2006 bis 2018 war er Vizepräsident des ACV. Für die nmz hat ihn Juan Martin Koch zu seiner neuen Aufgabe und zur Rolle der Kirchenmusik im Rahmen des „Synodalen Wegs“ innerhalb der katholischen Kirche befragt.

neue musikzeitung: Seit September 2018 sind Sie Präsident des ACV. Was waren Ihre wichtigsten Aufgaben in diesem ersten Dienstjahr?

Marius Schwemmer: Eines meiner zentralen inhaltlichen Ziele war ein spirituelles Angebot für hauptamtliche Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker. Hier sind die Vorbereitungen soweit gediehen, dass wir dies 2021 seitens des ACV anbieten werden. Dieses Angebot liegt mir persönlich besonders am Herzen. Darüber hinaus haben wir das weitergeführt, was sich bewährt hat. Ich nenne da die Fortführung unserer Publikationsreihen wie etwa die ACV-Chorbücher „Cantica nova“, bei denen die Bände drei und vier kurz vor der Drucklegung stehen; oder auch die ACV-Schriftenreihe, in der als Band 25 „Chorleitung konkret“ unseres Einzelmitglieds Reiner Schuhenn vor kurzem erschienen ist. Auch unsere Kooperationen haben wir fortgeführt und ausgebaut: so eine Masterclass für Chorkomposition mit dem Erzbistum Köln, 2019 mit Eriks Ešenvalds, oder die in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen angebotenen Kurse und Lehrgänge „Chorleitung: Dirigieren – Stimmbildung – Probenmethodik – Vermittlung“ und „Public Relations“. Auch wird es 2021 zum dritten Mal unseren in Deutschland einmaligen Chorleitungswettbewerb „Spitzenklänge“ für junge Kirchenmusiker in Rottenburg geben – auch dies in Zusammenarbeit mit der dortigen Hochschule für Kirchenmusik und der dortigen Dommusik.

nmz: Gibt es strukturelle oder organisatorische Veränderungen, die Sie vorgenommen haben oder noch angehen wollen?

Schwemmer: Unsere strukturelle und organisatorische Verfasstheit ist ein weiterer spezieller und zentraler Aspekt, den ich bei meinem Antritt benannt habe. Auch unsere Mitgliederversammlung hat dem Präsidium den Auftrag gegeben, darüber zu reflektieren und neue Ideen zu entwickeln. Die Frage ist: Wie füllen wir unser Gründungsanliegen, die Pflege und Förderung der katholischen Kirchenmusik, heute mit Leben? Und: Wie helfen uns unsere heutigen, gewachsenen Strukturen dabei – auch im Verhältnis zu anderen Kirchenmusikorganisationen wie zum Beispiel der Arbeitsgemeinschaft der Ämter/Referate für Kirchenmusik in Deutschland und der Konferenz der Leiterinnen und Leiter katholischer kirchenmusikalischer Ausbildungsstätten? Mit diesen Fragen hat sich ein Arbeitskreis eingehend beschäftigt. Wir haben dazu zudem die Diözesan-Cäcilienverbände und unsere Einzelmitglieder befragt. Die Ergebnisse werden wir bei unserer diesjährigen Mitgliederversammlung im November in Passau eingehend besprechen.

Knaben- und Mädchenchöre

nmz: Der Rechtsstreit um die Aufnahme eines Mädchens in den Knabenchor des Berliner Staats- und Domchors hat eine allgemeine Diskussion zum Thema Gleichberechtigung ausgelöst. Bei den Regensburger Domspatzen zeigt sich der neue Domkapellmeister – eine eigene Chor-Kategorie vorausgesetzt – offen für die Aufnahme von Mädchen. Wie steht der ACV zu dieser Frage?

Schwemmer: Zunächst einmal: Der ACV unterstützt jede Art kirchlicher Chormusik. Uns ist es wichtig, kirchliche Ensembles – egal welchen Alters und welcher Sparte – in ihrem Streben nach und Eintreten für handwerklich und künstlerisch qualitätvolle sowie theologisch-liturgisch reflektierte geistliche Musik in ihrer ganzen stilistischen Breite zu fördern. Zum zweiten: Meines Erachtens ist die Besetzung keine Frage eines damit grundgelegten Niveaus, sondern des anvisierten Profils. Schließlich gibt es doch bewährte und hervorragende kirchliche Mädchenchöre wie zum Beispiel die an den Kathedralkirchen in Essen, Mainz, Köln oder Limburg. Sie alle machen vorbildliche Chorarbeit, zudem mit zeitgenössischem Repertoire.

Der „Synodale Weg“

nmz: Die katholische Kirche versucht derzeit – Stichwort „Synodaler Weg“ – auf die schwere Krise, die sie durchmacht, zu reagieren. Welche Rolle kann dabei die Kirchenmusik spielen?

Schwemmer: Das ist für mich die derzeit spannendste Frage. Festzustellen ist: Die Kirchenmusik ist per se in keinem der vier geplanten Diskussions-Foren Thema. Und für mich ist auch noch nicht abzusehen, wie dieser „Synodale Weg“ verlaufen und enden wird. Und trotzdem halte ich ihn hinsichtlich der Kirchenmusik für ganz entscheidend, da es hier aus meiner Sicht inhaltlich zentral um das Bild von Kirche geht, das der Musik, die zu ihr gehört,  den Rahmen setzt. Wird am Ende dieses Weges ein hierarchisch-zentralistisches Kirchenbild stehen? Oder wird Kirche von dem her betrachtet, was vor Ort passiert und in der Vielfalt dann eine Einheit bildet? Diese Fragestellung zeigt sich für mich gottesdienstlich auch in der derzeit vorherrschenden Spannung von Liturgie als authentischem Ausdruck der Gesamtkirche oder von Liturgie als „Echoraum“ der konkreten, authentischen Lebens- und Glaubenserfahrung der jeweils feiernden Menschen, was meiner Meinung nach immer gut ausbalanciert sein muss.

nmz: Was bedeutet dieses „vor Ort“ konkret?

Schwemmer: Vor Ort heißt: Kirche von dem aus betrachten, was vor Ort passiert und sich dann mit anderen verschiedenen anderen Orten von Kirche in das kirchliche Leben einer Region zusammenfügt. Das lenkt für mich verstärkt den Blick auf kirchenmusikalische Gruppierungen in ihrer gesamten Bandbreite als eigene Orte der Kirche, wie ich das als ein Beispiel bei den Lobpreis-Gebetskreisen im Bistum Passau erlebe. Nicht nur, wenn ich auf die Genese des „Synodalen Wegs“ blicke, scheint es mir wichtig, dass die heutigen Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen, aus denen ihre verschiedenen religiösen Bedürfnisse und Befähigungen resultieren, und damit auch die Vielfalt der Spiritualitäten und der Begabungen ernst genommen und qualitativ begleitet werden müssen – was sich dann in der Kirchenmusik fortsetzen muss. Das sage ich als Kirchenmusiker und Ständiger Diakon. Kirchenmusik als Ausdruck des heute gelebten Glaubens, die zudem einen persönlichen Weg zu Gott, Gebet und Glauben begleitet oder vielleicht auch erst einmal ermöglicht, muss ebenfalls diese Vielfalt haben.

„Stilistische Graben­kämpfe sind überflüssig“

nmz: Also unabhängig von verschiedenen Stilen der Kirchenmusik?

Schwemmer: Stilistische Grabenkämpfe sind hier überflüssig und hinderlich. Hauptkriterium muss die eben genannte Hauptaufgabe und die Qualität von Kirchenmusik sein, nicht ihre Stilistik. Denn es ist aus meiner Sicht ein Fehler, isoliert voneinander oder gar gegeneinander zu agieren und eine vermeintlich „wahre Kirchenmusik“ in einem bestimmten Stil oder Repertoire zu postulieren. Ein falscher Weg ist meines Erachtens, in dieser gegenwärtigen Krise die Musik oder eine gewisse opportun erscheinende Musikstilistik zur „Rekrutierung“ von Christen oder Rückgewinnung von fernbleibenden Gemeindemitgliedern zu instrumentalisieren. Das ist aus meiner Sicht eine Illusion und wird nicht funktionieren.

nmz: Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Schwemmer: Man muss im Gespräch bleiben und das gemeinsame Ziel der Kirchenmusik mit gemeinsamen, objektiven Qualitätskriterien für eine handwerklich und künstlerisch qualitätsvolle, theologisch-textlich reflektierte und spirituell durchdrungene Kirchenmusik suchen. Aus all diesem resultieren dann auch die Antworten auf die Fragen, die nach meiner Wahrnehmung und persönlichen Erfahrung seit mindestens 25 Jahren immer in Bezug auf die Kirchenmusik in Deutschland gestellt werden: Die nach der Quantität und Qualität der Kirchenmusikerausbildung, und danach, welche „Arten“ von Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker wir brauchen sowie die nach Berufs- und Stellenprofilen.

nmz: Noch einmal zurück zum „Synodalen Weg“. Was erwarten Sie sich von diesem Prozess in Bezug auf die Kirchenmusik?

Schwemmer: Zweifellos wird auch am Ende des „Synodalen Weges“ die Tatsache stehen, dass Musik zentral für die vier Grundvollzüge der Kirche ist, und sie zudem Menschen weit über den gottesdienstlichen und kirchlichen Kontext hinaus für die christliche Botschaft erreicht. Kirchliches Musizieren und kirchliche Kulturdiakonie ist meines Erachtens daher auf vielen Ebenen entscheidend für die Gesellschaft. Sie wirkt positiv bei der Persönlichkeitsbildung und regt zur Übernahme von Verantwortung an. Wo musiziert wird, lebt die Kirche – von der Domliturgie bis zum häuslichen Gebetskreis. Wo musiziert wird, strahlt sie auch im ganz positiven Sinne aus. Sie ist dadurch ein Leuchtturm gerade in der derzeitigen Krisensituation der Kirche.

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