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Zu einer Stadt gehört auch eine Stadtmusik

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Das Bedenkliche an der Orchesterauflösung in Potsdam ·
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Alles was zur Zeit in den östlichen Provinzen mit Kunst und Kultur geschieht, ist so neu nicht. Die Stadt Potsdam hat beschlossen, ihr eigenes Sinfonieorchester aufzulösen, das heißt: nicht die Bürger wollten das, sondern die überwiegende Mehrheit der Politiker aller „Farben“ – mit Ausnahme von PDS, FDP und Bürgerbündnis, aber das sind ja Splittergruppen, die man vernachlässigen darf. Die allerorten zu registrierende Kunst- und Musikfeindlichkeit, immer hübsch mit dem Geldargument bemäntelt, „blühte“ auch schon in den westlichen Provinzen. Der Frankfurter (am Main) Oberbürgermeister Rudi Arndt wollte nicht nur die Ruine der Alten Oper in die Luft sprengen (was ihm den Spitznamen Dynamit-Rudi eintrug), sondern auch das stadteigene neue Opernhaus zusperren. Mit dem so gesparten Geld gedachte er, den interessierten Bürgern Flüge zu anderen Opernhäusern, in München oder Hamburg, zu finanzieren, das käme billiger. Mit dem politischen, speziell sozialdemokratischen Kunstverstand, war es also schon damals nicht weit her. Aber seither weiß man auch, daß Schimpfen, Polemisieren, Drohen oder Spotten nicht viel weiter hilft. Die Herren und Damen in den Parlamenten, Kulturausschüssen, in den OB-Büros oder den Kulturämtern werden dabei nur störrisch wie bockige Esel. Es gilt vielmehr, durch gütiges Zureden ihre Einsichtsfähigkeit zu stärken, sie davon zu überzeugen, daß modische Eventkultur für den Augenblick vielleicht gefragt ist, aber auf Dauer den prägenden Einfluß musikalischer Bildung auf die Entwicklung und „Seele“ besonders junger Menschen nicht ersetzen kann. Vielleicht sollten die Potsdamer Politiker mit Hilfe eines Sponsors einmal einige kompetente Musikpädagogen zu Besuch und gemütlichem Essen in ihre Stadt einladen, um von den Erfahrungen der Musikfachleute zu profitieren. Sie würden sicher staunen über die mannigfachen Wirkungen, die Musik auf Menschen auszuüben in der Lage ist, vom noch nicht geborenen Menschenwesen bis zum einsamen alten Menschen, dessen Alleinsein durch die Musik, nein: keinen Trost, aber einen eigenen Sinn erfährt. Musikpsychologen, Ärzte, Hirnforscher, Sozialpädagogen wissen, welchen Einfluß die Begegnung mit Musik auf den Menschen gewinnen kann. Kinder und Jugendliche werden emotional beeinflußt, ihre Persönlichkeit formt sich schneller, sie sind oft nicht nur intelligenter auch in anderen Fächern, sondern besitzen auch ein ausgeprägteres soziales Bewußtsein: Wer im Ensemble, in der Gruppe musiziert oder singt, erfährt etwas über den Sinn gemeinschaftlichen Arbeitens. Man kann nur „Chor singen“ oder „Orchester spielen“, wenn man freiwillig seine eigene Individualität für den gemeinsam erstrebten Zweck in die Gruppe einbringt. Das enthält auch eine wunderbare Einführung in die Demokratie, in demokratisches Denken und Fühlen. Wozu auch das Recht der Minderheit auf gleichwertige Entfaltung der Persönlichkeit gehört, Recht nicht gewährt als „Gnade“ der Mehrheit, sondern von letzterer als Selbstverständlichkeit begriffen. Daß gerade im Kulturleben unentwegt gegen dieses Recht der Minderheit verstoßen wird – und hierbei ist vor allem die institutionalisierte Medienmacht an vorderster Front – erfüllt jeden verantwortungsbewußten Bürger mit wachsender Sorge: Es liegt etwas zutiefst Undemokratisches in solchem Verhalten. Schleichend aber gleichsam zielstrebig wird auf diese Weise das demokratische Bewußtsein „umfunktioniert“ und ausgelöscht, und daß besonders die politischen Verantwortungsträger, sei es durch Nichtwissen oder Opportunismus, diesen Prozeß der Aushöhlung beschleunigen, erfüllt einen mit schmerzender Sorge. Womit wir wieder bei Potsdams Philharmonikern wären, einem niveauvollen, engagierten Orchester mit 68 Mitgliedern in einer Stadt von immerhin rund 130.000 Einwohnern, die zudem als Hauptstadt eines Bundeslandes auch repräsentative Aufgaben zu erfüllen hat. Der Vorgang der Auflösung vollzieht sich nach dem üblichen Schema: die Finanzlage ist schlecht, man schaut nach Stellen aus, die sich am bequemsten wegsparen lassen. Zaghafter Bürgerprotest – es ist doch nur eine Minderheit??? – wird ignoriert. Über ferne Drohungen von Berliner Philharmonikern oder Lindenoper, nicht mehr in Potsdam auftreten zu wollen wenn..., schaut man in der Provinz gern hochmütig lächelnd hinweg. Wie schon gesagt: Drohungen helfen nicht weiter, Überzeugungsarbeit ist angesagt. Ein eigenes städtisches Orchester bedeutet doch mehr als nur eine Truppe, die irgendwie Musik macht. Ein eigenes Orchester, ein eigenes Theater, gehört immer noch zu den identitätsstiftenden Institutionen eines Gemeinwesens, genannt: Stadt. In den Räumen versammeln sich die Bürger, sehen, hören, diskutieren, führen Gespräche, die über die Kunststätten hinausreichen ins städtische Leben. Die Musiker eines städtischen Orchester wirken über ihren Rahmen oft hinaus, sie begleiten die Aufführungen der städtischen und privaten Chöre, sie wirken an den Musikschulen, geben Unterricht, sie machen natürlich auch „Mucken“, was man nicht immer und überall tadeln sollte – so hoch sind die Gagen für Musiker in der Provinz auch nicht. Was Thomas Mann einmal über Lübeck sagte, das gilt im Grunde für alle Städte und besonders für eine so traditionsreiche wie Potsdam, wo die Musik schon seit Barockzeiten zur Stadt gehörte: Auch Potsdam besitzt eine „geistige Lebensform“, aber diese ist gefährdet, wenn man sie sich nicht immer wieder aneignet. Was nützen die historischen Museen und Geschichtshäuser, die überall entstanden sind, wenn ihre Inhalte nicht mehr als zum eigenen Leben gehörend empfunden, nur noch routiniert interessiert besichtigt werden? Und wenn man Kunst und Kultur nur noch via Importe von Eventexporteuren für einen flüchtigen Abend bezieht? Die Vorgänge in Potsdam um das Philharmonische Orchester, wie alle Kulturdemontagen in den ostdeutschen Ländern, verlangen von der gestaltenden Politik mehr Souveränität, Sinn für historische Zusammenhänge, Informiertheit, Bildung und aktuelles Wissen über die Möglichkeiten und Chancen, die eine umfassende Kulturarbeit dem Menschen bietet. Dazu zählen auch Rat und Tat für die stets leidige Finanzierung. Wichtig ist bei allem die Fähigkeit zur Verständigung und zum Gespräch.

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