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Echte Leser-Briefe sind für uns Content-Produzenten ein rarer Event. Wer unterzieht sich im E-Mail-Zeitalter noch der Pein, Papier zu bemühen. Beim braven alten Brief muss man um zu korrigieren vielleicht noch radieren – oder eine der seltenen Flaschen 89er-Tipp-Ex-Trockenplastik-Auslese öffnen, wenn man schon – altmodischzwanghaft – auf orthografischen oder syntaktischen Reparaturen besteht.

Echte Leser-Briefe sind für uns Content-Produzenten ein rarer Event. Wer unterzieht sich im E-Mail-Zeitalter noch der Pein, Papier zu bemühen. Beim braven alten Brief muss man um zu korrigieren vielleicht noch radieren – oder eine der seltenen Flaschen 89er-Tipp-Ex-Trockenplastik-Auslese öffnen, wenn man schon – altmodischzwanghaft – auf orthografischen oder syntaktischen Reparaturen besteht. Mühelos (und preiswert) ist es für die Redaktion, statt Text abzuschreiben ein E-Mail-Attachement in den gewohnten nmz-Blocksatz umzuwandeln. Maschinen-unleserliche Handschrift hingegen wird ökonomisch gesehen als rentnerähnliche Zumutung empfunden. So stand neulich ein Neun-Nadel-Druck, kaum schöner als eine Inkunabel (und auch noch verbunden mit einer Abo-Kündigung) kurz vor der Expedition in den vom Controlling angeschafften Dokumenten-Vaporizer, bevor er überhaupt gelesen ward. Wir sind ziemlich modern.

Der Mensch, der unsere Leistung künftig verweigern will, hatte ein ganzes Log-File von Argumenten angesammelt. Er stört sich beispielsweise am angeblich moralistischen Gebrabbel samt Kapitalismus-Verteufelung (gerade auch an dieser Stelle) – und an unserer zunehmenden Verherrlichung zeitgenössischer Kommunikationstechniken, allem voran: des Internettes. Da hat er uns auf dem linken Fuß und in der rechten Gehirnhälfte gleichzeitig kalt erwischt, sozusagen in flagranti ertappt: Wir sind nämlich nicht nur dabei, das nmz-Netz-Angebot dramatisch zu erweitern. Wir preschen ferner voran, gewachsene (und für gut befundene) Werte in diese techno-höllische Spinnenwebe einzuspeisen. Schlimmer noch: Selbst Minderjährige wollen wir anleiten, sich im Internet zu bewegen, es am Ende gar selbst zu gestalten (siehe Seite 6).

Dabei fühlen wir uns altmodisch wohl und innovativ zugleich: Unserer Meinung nach ist es nur vernünftig, eine im Ursprung ausgemacht demokratische neue Technik – und die ist das World-Wide-Web – mit sinnvollen Inhalten anzureichern. Statt zu jammern liefern wir Information und Überblick. Statt zu zaudern bieten wir Platz für Gewachsenes, Durchwachsenes und Neues. Solche Chancen gab es bei früheren technologischen Weltrevolutionen nicht immer: Beispielsweise enthält Musik relativ wenig Uran. Deshalb wird – bei allen normalen Anreicherungsversuchen, die jede börsentaugliche Innovation mit sich bringt – kein unüberschaubarer Endlagerbedarf in tschernobylschem Sinn entstehen. Dafür gibt’s fürs Internet, sogar bei Windows, den Papierkorb. Ganz konservativ. Was bleiben wird, ist der Streit mit all jenen, die das Web schon jetzt zum lukrativen Müllplatz für Herz und Hirn umgestalten wollen. Aber damit können wir leben, damit können wir umgehen. Das können wir ändern. Sonst schreiben Sie uns einen Brief (ohne Abo-Kündigung bitte). Willkommen im Web.

 

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