Fast möchte man, wie im Krieg, von Frontnachrichten sprechen: Die Proteste, Demonstrationen, Initiativen gegen die geplante Fusionierung der beiden Rundfunk-Sinfonieorchester des Südwestrundfunks (SWR) hören nicht auf, ebenso das monotone Widersprechen in den leitenden Etagen des Senders in Stuttgart und Baden-Baden. Bei allem geht es vornehmlich um die Existenz des Baden-Badener/Freiburger Orchesters. Der Sitz des neuen „Großorchesters“ wird Stuttgart sein, die Stuttgarter Musiker, soweit sie für das „Neue“ ausgewählt werden, dürfen in ihrem Häusle sitzen bleiben, die Freiburger Kollegen müssen umziehen. Und der Landesteil Baden wird, von einigen Abo-Konzerten in Freiburg abgesehen, der musikalischen Ausdörrung ausgesetzt – da können im Voraus noch so viele Versprechungen verbalisiert werden, die „normative Kraft des Faktischen“ wird letztendlich gewinnen.
Über alles ist in der neuen musikzeitung immer wieder berichtet und kommentiert worden. Letzte Meldungen: Am 2. Mai 2014 wird dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann die Liste mit den 31000 Unterschriften von den „Freunden des Freiburger/Baden-Badener“ Orchesters übergeben, mit denen Freunde und Bürger gegen die Fusion der Orchester protestieren. Dieselbe Liste wurde bereits dem Vorsitzenden des Rundfunksrates des SWR überreicht. Man darf gespannt sein, ob der Herr Ministerpräsident bei der Übergabe vielleicht endlich einmal persönlich etwas zum Thema äußert. Er kann nichts anordnen, das weiß man und es ist im Prinzip auch gut so, dass die Politik nicht in Rundfunkangelegenheiten eingreifen darf. Aber ein Wort des Unbehagens über die entstandene Situation, über die Sorge der musikinteressierten Bürger speziell im badischen Landesteil, über die Folgen für die von den Freiburg/Baden-Baden-Musikern mustergültig ausgeübten musikpädagogischen Aktivitäten, das alles sollte wenigstens dem „Ersten Mann“ eines großen Bundeslandes nicht gänzlich gleichgültig sein. Das Thema „Fusion“ mitsamt ihren vielen Folgen ist schon seit langem über die engen Grenzen der Funkhäuser mit ihrer „Freiheit“ hinausgewachsen und zu einem Politikum des ganzen Landes geworden. Und wenn man zugleich auch noch die künstlerische Problematik dieser Fusion einbezieht: des ganzen Musiklandes Deutschland mit seiner weltweiten Ausstrahlung.
Deshalb ist man auch immer noch erstaunt, wie zurückhaltend sich etwa die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) zum Thema SWR-Orchester geäußert hat – Sozialpläne für Orchesterabbau können doch nicht alles sein, was eine Gewerkschaft bei einem unverantwortlichen Raubbau an der Musikkultur interessiert. Wenigstens hat der Deutsche Musikrat mit seinem Landesverband Baden-Württemberg sich energisch zu Wort gemeldet – und wurde natürlich, möchte man sagen, von den SWR-Oberen mit denselben Worten abgespeist, die man seit zwei Jahren immer wieder aus Stuttgart hört: Wir müssen sparen, es geht nicht anders, alles ist geprüft und der Rundfunk ist frei, also spukt uns nicht immer wieder in die Suppe.
Es ist an der Zeit, die zweifellos eindrucksvollen Protestaktionen, ernsthaft, witzig, aggressiv, nicht fortzusetzen – nein: Sie sind ein Signal für den anhaltenden Bürgerprotest, aber diese Aktionen müssen jetzt endlich einmal durch energischere Schritte ergänzt werden. Es kann nicht angehen, dass ein Intendant, akklamiert durch seinen zuvor präparierten Rundfunkrat, mit seinen Entscheidungen gleichsam in einem rechtsfreien Raum agiert. Wenn das Recht auf Unabhängigkeit des Rundfunks gegenüber von außen kommender Einflüsse von Intendanz samt Rundfunkrat nicht wahrgenommen, vielmehr durch Gefolgsamkeit quasi verletzt wird, dann müsste es juristisch doch wohl möglich sein, die Vorgänge zumindest in einem Feststellungsverfahren aufzuklären. Das Protokoll der Rundfunkratssitzung von Juni 2012 dokumentiert eindeutig, dass von Seiten Rheinland-Pfalz die Rundfunkräte mit dem Hinweis auf finanzielle Folgen für den Sender zur Ordnung gerufen wurden: als Vorsitzender der Rundfunkkommission ließ der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck durch seinen Staatssekretär die kaum kaschierte Drohung übermitteln. Überhaupt: das ganze Hin-und-Her-Gespiele, dass sich Intendant Boudgoust auf seinen Rundfunkrat beruft, nachdem er diesen erst einmal eingestimmt hat, ist an Heuchelei und Widerwärtigkeit kaum zu überbieten. Das ganze Verfahren ist, sachlich-ernsthaft betrachtet, schon seit langem zu einem Problem Boudgoust geworden: Wie wird man eigentlich Intendant einer großen Rundfunkanstalt? Nicht nur der Bundestagspräsident Norbert Lammert, dieser aber in eindringlicher Form in Rede und Schrift, hat darauf hingewiesen, dass Vorgänge wie bei dieser Orchesterfrage letztlich zu der Frage nach der Legitimität des gebührenfinanzierten Öffentlich-rechtlichen Rundfunks führen könnten. In Brüssel wird man, heimlich schadenfroh, die Entwicklungen im deutschen Gebührenrundfunk aufmerksam registieren. Man wartet wahrscheinlich nur auf die geeigneten Vorlagen, um das schon einmal versuchte Verfahren gegen den Gebührenrundfunk wieder aufzunehmen.
P. S. Am vergangenen Freitag haben, nach CDU, SPD und FW, auch die Grünen in Freiburg eine Gemeinderatsinitiative mit finanzieller Zusage der Stadt für die Erhaltung des Baden-Baden/Freiburg-Orchesters gefordert. Letzte Meldung aus der Badischen Zeitung vom 28. April: „Drei Fraktionen des Gemeinderats wollen in Sachen SWR-Sinfonieorchester ein Zeichen setzen: CDU, SPD und FDP erklären, sie wollten auf dessen Mietzahlungen fürs Konzerthaus verzichten. Dadurch würde das Orchester etwa 340.000 Euro im Jahr sparen.“ Das könnte die Debatte um die umstrittene Fusion beeinflussen.