Mit „Radio ohne Rauschen“ war der Digitalradio-Gipfel des Bayerischen Rundfunks am 11. März 2014 überschrieben. Intendant Ulrich Wilhelm hatte Radiomacher aus Deutschland und angrenzenden Nachbarländern sowie Industrievertreter und Politiker ins Münchner BR-Funkhaus eingeladen, um über die entscheidenden Fragen zur digitalen Entwicklung des Mediums Radio zu diskutieren.
Anlass war die Veröffentlichung eines Gutachtens, das einen Kostenvergleich der terrestrischen Radioübertragung in Bayern über die Übertragungsstandards DAB+ (Digital Audio Broadcasting) und LTE (Long Term Evolution – gemeint ist damit mobiles Internet) in Bayern ausstellt. Das zentrale Ergebnis des Gutachtens war, dass es kein entweder/oder zwischen den beiden digitalen Übertragungswegen DAB und Internet geben kann. Das mobile Internet wird an Bedeutung gewinnen, ist aber wegen der hohen jährlichen Kosten von 616,7 Millionen Euro zurzeit noch zu teuer. Mit bayernweit 15,5 Millionen Euro stellen die jährlichen Übertragungskosten für Radio über DAB+ einen Bruchteil dar.
Im Zentrum der Debatte stand das Abschaltdatum für die UKW-Verbreitung der Programme. 2011 hat der Bundestag beschlossen, die zunächst für 2015 geplante UKW-Abschaltung zu streichen, um einer EU-Regelung nicht vorzugreifen. Die meisten Rundfunkanstalten erwarten eine UKW-Abschaltung 2025. Von Seiten der Endgeräteindustrie, die mit Innovationszyklen von fünf Jahren rechnet, sind solche langen Zeiträume nur schwer zu handhaben.
Sonderfall in Bayern ist BR-Klassik. Wie bereits in der nmz 2/2014 dargelegt („Die Vertreibung ins digitale Paradies“, Seite 1), droht diesem Kanal die vorzeitige Abschaltung, da nicht mehr genügend UKW-Sendefrequenzen zur Verfügung stehen, wenn der Jugendkanal „Puls“ auf UKW ausgestrahlt wird. Bereits am 22. Mai soll der Rundfunkrat über BR-Klassik und UKW entscheiden.
Im Gegensatz zu allen anderen BR-Hörern, müssten die Hörer von BR-Klassik sofort digital umrüsten. Die Folgen sind offensichtlich: BR-Klassik verliert seine ARD-Alleinstellung im Bereich Klassik. Private Sender wie Klassik Radio werden profitieren und die verlorene Klientel bedienen. Ganz problematisch ist es, dass Produktionen der drei BR-Klassik-Klangkörper deutlich weniger Zuhörer erreichen werden.
Die Übertragungen aus Bayreuth, der Bayerischen Staatsoper, dem Staatstheater Nürnberg und der MET beispielsweise werden in den angeschlossenen ARD-Anstalten über UKW zu empfangen sein, in Bayern aber nur noch über die digitalen Ausspielwege. Außerdem würden die Autofahrer, die die größte Hörergruppe stellen, vom Empfang abgekoppelt.
Die UKW-Abschaltung könnte die Legitimation der drei Klangkörper weiter schwächen, vor allem vor dem Hintergrund dass der Bayerische Oberste Rechnungshof 2009 in einem Bericht forderte, diese aus dem BR auszugliedern. Auch soll es erneut Überlegungen geben, die beiden Rundfunkorchester zu fusionieren. Dies sagte der Präsident des Bayerischen Musikrats, Thomas Goppel, bei einer Veranstaltung auf der Frankfurter Musikmesse im März.
Im aktuellen Telemedienkonzept „BR-Klassik“ heißt es noch: „Das Themenfeld Klassik stellt seit jeher eine Kernkompetenz des BR dar.“ Würde die UKW-Verbreitung von BR-Klassik als erstes wegfallen, würde dies drei UKW-Programme zur Folge haben, die alle von Popmusik dominiert sind. Wichtige Teile des bayerischen Musiklebens (Neue Musik, Klassik, Jazz und Laienmusik) würden unter den Tisch fallen.
Von Seiten der Industrie wurde beim digitalen Tag die Forderung laut, marktgetrieben zu agieren. Das würde bedeuten, UKW nicht abzuschalten, sondern digitale Verbreitungswege dazuzuschalten. Für die Industrie würde dies bedeuten, für einen gewissen Zeitraum Endgeräte anzubieten, die alle Übertragungswege empfangen können.
Nachtrag 17. April 2014
In einer Mitteilung der BR-Pressestelle zum Thema "BR-Klassik" sowie "Klangkörper des BR" dementierte Pressesprecher Markus Huber, dass es Überlegungen zur Fusionierung der BR-Klangkörper gibt und verwies auf ein Interview von Markus Thiel vom 11. Februar 2014 für den Münchner Merkur mit dem designierten Hörfunkdirektor Martin Wagner, der ab dem 1. Mai im Amt sein wird.
Zitat:
Markus Thiel: Beim SWR werden zwei Orchester fusioniert. Können Sie eine Garantie für die drei BR-Klangkörper abgeben?
Martin Wagner: Ich denke, ja. Die Anstrengungen, die wir derzeit unternehmen, zielen darauf ab, BR Klassik noch besser aufzustellen. Weder das Programm noch die Klangkörper sollen beschädigt werden. Sie sollen noch bessere Plattformen bekommen.
Die neue musikzeitung hatte bereits Anfang Dezember 2013 vergeblich versucht, einen Interviewtermin mit dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, zu bekommen.
Mit Verweis auf das im obigen Artikel angesprochene geplante Timing einer möglichen Frequenzumwidmung sagte Huber der nmz: „Wir widersprechen dem Begriff „Abschalten“ ganz deutlich. BR-Klassik soll über Digitalradio in einer verbesserten Tonqualität ausgestrahlt werden – über ein Sendernetz, das dem von UKW überlegen sein wird – und all das nicht heute oder morgen, sondern nach einer angemessenen Umstellungszeit.“
Heute ist auch die Bayerische Akademie der Schönen Künste mit einem Appell an die Öffentlichkeit getreten, in welchem sie nachdrücklich an alle Verantwortlichen appelliert, die „offensichtlich für 2016 geplante Abschaltung der UKW-Ausstrahlung von BR-Klassik zu überdenken“. Am 22. Mai hat der BR-Rundfunkrat das Thema BR-Klassik voraussichtlich wieder auf der Tagesordnung. Die nmz wird berichten.