Vor 100 Jahren: Das Dresdner Philharmonische Orchester wird im Mai/Juni durch die Schweiz reisen +++ Vor 50 Jahren: Werk, Komponist, Anlass und Anliegen machen die Lukas-Passion des 1933 geborenen polnischen Musikers Krzysztof Penderecki zu einem Schlüsselwerk der zeitgenössischen Musik.
Vor 100 Jahren
Das Dresdner Philharmonische Orchester wird im Mai/Juni durch die Schweiz reisen; Dirigate Richard Strauss, Oskar Fried und Edwin Lindner. Ob man in der Schweiz von dem seit Monaten inszenierten Großbetrieben an Künstlerbesuchen sehr erbaut sein wird? Es liegen viele Berichte aus der Schweiz vor, die sich über das meist mit weit über das Normale hinausgehenden Eintrittspreisen verbundene Konzertieren ausländischer Künstler nicht gerade erfreut aussprechen. Es besteht geradezu ein Wettlaufen deutscher und französischer Künstler um die Gunst der Schweiz. Schon ist eine Petition an den Schweizer Bundesrat abgegangen, landesfremden Künstlern nur in dem Verhältnisse die Wirksamkeit auf Schweizer Boden zu gestatten, in dem schweizerische Künstler für das Ausland verpflichtet werden. Diese Eingabe ist viel besprochen worden und hat (…) Stimmung gegen die Tätigkeit auswärtiger Künstler in der Schweiz gemacht. Angesichts dieser Tatsache ist den deutschen Künstlern unter allen Umständen äußerste Vorsicht geboten, damit nicht die gute Absicht, für die deutsche künstlerische Kultur zu werben, unterbunden werde.
Neue Musik-Zeitung 38. Jahrgang 1917, H. 14, S. 232
Vor 50 Jahren
Werk, Komponist, Anlass und Anliegen machen die Lukas-Passion des 1933 geborenen polnischen Musikers Krzysztof Penderecki zu einem Schlüsselwerk der zeitgenössischen Musik. Das Leid des polnischen Volkes, Auschwitz und seine Opfer, die Gedanken von Passion und Kreuz, Nationalismus und Katholizismus sind eine zwingende Einheit geworden, so wie sie der Komponist am Text der Lukas-Passion, eingestreuten Psalmenzitaten und an anderen liturgischen Texten einer einheitlichen musikalischen Form unterwirft. Schon der Gedanke, dass ein Pole im Auftrag des Kölner Rundfunks dieses Werk vollbringt, ist versöhnlich.
Ein Durchbruch nicht eines einzelnen Werkes, sondern einer ganzen Richtung hat sich im Winter 1966/67 in Paris vollzogen. Frankreich galt bisher auf musikalischem Gebiet als extrem konservativ. Selbst die französische Musik litt darunter. Schließlich war Paris die Geburtsstätte der elektronischen Musik, aber trotz aller Bemühungen gelang es weder ihrem Erfinder Pierre Schaeffer noch dessen Mitarbeitern und Schülern, sich über einen kleinen Kreis von Sektierern hinaus Gehör zu verschaffen. Nicht besser erging es der Zwölftonmusik, obwohl sie um eine volle Generation älter war als die kurz nach dem Weltkrieg geborene „konkrete Musik“ Pierre Schaeffers und Pierre Henrys. Frankreichs Lehrmeister der seriellen Musik, René Leibowitz, fand ebenfalls über enge Fachkreise hinaus keine Resonanz. Man sprach und schrieb darüber, aber man spielte sie nicht. Selbst Alban Berg blieb in Paris so gut wie unbekannt. Wer den führenden französischen Musiker der jüngeren Generation, Olivier Messiaen hören wollte, musste am Sonntagmorgen in die Trinité-Kirche gehen, wo er sich als Organist in freien Phantasien ausleben konnte. Von seinem begabtesten Schüler Pierre Boulez wusste man, dass er Paris für unheilbar reaktionär hielt und sich in Baden-Baden am Südwestdeutschen Rundfunk wohler fühlte.
Musikalische Jugend, 6. Jahrgang 1967, H. 2, S. 9