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Vor 100 Jahren – Die Thomastik-Geige
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Immer stärker hat […] das Streichquintett unserer großen Orchester besetzt werden müssen, weil es sonst nicht möglich wäre, den gerade in der modernen Musik stark vermehrten Bläsergruppen die Waage zu halten. Daß aber die Intensität des Gesamtklanges sich durch stärkere Besetzung überhaupt ohne weiteres nicht entsprechend vermehrt, ist eine bekannte Erfahrungstatsache. Man müßte also versuchen, Instrumente zu schaffen, die mehr Ton geben können, wie die bisherigen Streichinstrumente.

Diese und ähnliche Erwägungen brachten Dr. Thomastik in Wien auf den Gedanken, einen ganz neuen Geigentyp zu konstruieren. […] Er möchte die alte „Resonanzbrettgeige“ ersetzt wissen durch eine „Resonanzkastengeige“, der man nicht nur Süße und Weichheit als charakteristische Eigenschaften nachrühmen kann, sondern auch eine gewisse Größe, ein Pathos des Tones zusprechen darf. Das entscheidende Merkmal der neuen Geige ist der Steg. Während nämlich der Steg der bisherigen Instrumente auf dem fichtenen Deckel aufsitzt und nur diesen zum Mitschwingen anregt, soll bei der Thomastik-Geige auch die Resonanz des Bodens und damit natürlich auch die des zwischen beiden eingeschlossenen Luftraums ausgenutzt werden, indem der eine Fuß des Steges die Decke durchbohrt und in sinnreicher Konstruktion auf dem Boden des Instruments zu ruhen kommt. […]

Freilich ist dieser Steg, der also wie ein doppelarmiger Hebel wirkt, nur eine der Neuerungen des neuen Geigensystems. Auffällig ist ohne weiteres, daß die kunstvolle Schnecke ganz vermieden wird. Um alle Holzfasern zur Resonanz heranziehen zu können, wird jeder einzelne Teil nach einem bestimmten System abgestimmt. Dabei verwendet Thomastik Saiten, die nach eigenem System gedreht, vor allem umsponnen sind, um das sogenannte „Drahtloswerden“ zu vermeiden. Auch sind die geschwungenen F-Löcher verschwunden, oder besser zu beträchtlichen Öffnungen erweitert, um die Verbindung mit der Außenluft zu erleichtern, und schließlich ist das ganze Instrument aus bestem Ahornholz gebaut. Das Klangergebnis ist verblüffend. Die Fülle des Tones, besonders in der tieferen Lage, ist derartig, dass man an den Vollklang edler Bratschen erinnert wird. […]
Dr. H. Meißner, Neue Musik-Zeitung, 43. Jg., 2. März 1922

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