Der so lange verachtete Leierkasten soll jetzt reformiert werden. Der Vorsteher der Londoner Musikschule, Sir Hugh Allen, hat auf einer Konferenz der englischen Musikgesellschaft zu dieser Tat aufgefordert. Er hob hervor, daß der Leierkasten eines der wichtigsten Verbreitungsmittel der Musik sei und diese Kunst selbst an Ohren bringe, die sie sonst nie erreicht. Daher dürfe man nicht dulden, daß diese Instrumente, die die vorzüglichsten Träger der Verbreitung guter Musik unter den Volksmassen seien, nur für die niedersten Gassenhauer mißbraucht würden und er schlägt vor, von nun an auf den Drehorgeln Menuette von Bach und Händel, Walzer von Tschaikowski und ähnliche klassische Musikstücke zu spielen.
Der Inhaber der größten Drehorgelfabrik in England, Pasquale, hat zu diesem wohlgemeinten Vorschlag Stellung genommen. Er meinte seinerseits, auch er würde lieber gute Stücke für die Leierkästen bringen, wenn es das Geschäftsinteresse zuließe. Die Engländer seien aber so unmusikalisch, daß sie solche Sachen auf der Drehorgel nicht hören wollten. Über die Art, wie er jetzt die Musikstücke für die Drehorgel auswählt und die allerdings sich nicht nach den berufensten Kunsturteilen richtet, sagt er: „Ich gehe in den bekanntesten Musikalienläden herum, kaufe mir die gangbarsten Lieder und sehe, ob sie sich für die Drehorgel eignen. Die besten und beliebtesten Stücke werden dann ausgewählt.“
Soweit die M.Z., der wir den Artikel entnehmen. Hoffentlich wird das Studium dieser ernsten Frage auch in Deutschland aufgegriffen und mit dem nötigen Nachdrucke betrieben! Welche Aussichten für die Zukunft, wenn der künftige Orgelmann erst die 9. Symphonie auf der Walze haben wird…
Neue Musik-Zeitung, 42. Jg., 17. Februar 1921