Vor dem Hintergrund der Diskussion um den neuen Rundfunkstaatsvertrag erhält das Veranstaltungsthema „Web 2.0 – Potenziale und Herausforderungen“ eine zusätzliche aktuelle Dimension – vor allem, wenn der Veranstalter die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen ist, die zum Thema „Öffentlich-Rechtliche im Netz“ vermutlich eine andere Meinung vertreten dürfte als die Öffentlich-Rechtlichen selbst. Die Präsentationen, die im Rahmen des Workshops gezeigt wurden, gaben jedenfalls – neben dem Eindruck der Unüberschaubarkeit musikalischer Netz-Angebote – beredt Zeugnis von vielfältigen Netz-Portalen, die auch ohne Gebühren-Bezuschussung Kultur anbieten.
Das Ziel des Workshops war allerdings ein anderes. Eigentlich wollten dessen Initiatoren, Joachim Gerth von der Landesmedienanstalt und Matthias Pannes vom Verband deutscher Musikschulen, am Ende des Tages den Einstieg in ein Musikportal für junge Menschen gefunden haben, das mit seriösen und qualitativen Inhalten eine steuernde Wirkung hat.
Spricht man vom „Web 2.0“, muss man sich allerdings fragen, inwieweit Steuerung von außen überhaupt eine Chance hat. Begriffe wie „user generated content“, „wikis“, Social Bookmarks oder Weblogs, die den – nicht begrenzbaren – Raum des Web 2.0 prägen, deuten bereits an, dass hier Vieles mit Selbststeuerung zu tun hat.
Der immense Erfolg von Webportalen wie Studi- oder Schüler-VZ ebenso wie My Space oder You Tube ergibt sich ja gerade aus der Selbstregulierung, in die – scheinbar – von außen niemand eingreift.
Würden sich junge Menschen also auf ein – womöglich noch von älteren Generationen – gesteuertes Musikportal einlassen?
Kollektive Antworten auf diese Frage konnten die Referenten nicht finden. Zu unterschiedlich stellten sich die Portale dar, die sie präsentierten. Eröffnungsredner Bernt von zur Mühlen hatte sich im Netz umgetan, um positive wie negative Beispiele ausfindig zu machen. Einige Ergebnisse: Klassische Musik ist durchaus geeignet, auch ins Web 2.0 Eingang zu finden.
Allerdings brauchen solche Web-Angebote, gerade wenn sie Jugendliche ansprechen wollen, mehr „spirit“ als das, was zurzeit auf dem Markt ist. Bewegtbild sei nicht mehr wegzudenken, so von zur Mühlen. „Promis“ als Zugpferde seien auch im Klassikbereich attraktive Anziehungspunkte. Schließlich empfahl er den Blick auf Formate wie „DSDS“, die dem Klassikbereich in Sachen Marketing mehrere Schritte voraus seien.
Die anschließenden Beiträge stellten scheinbar unvereinbare Angebote wie die Musikschul-Community im Netz (präsentiert von Andreas Fervers) einem sich selbst regulierenden Portal wie „Last.fm“ (Marco Medkour) gegenüber. Wiederum eher von außen geregelte Strukturen zeigte Kerstin Ciba mit Bildungsangeboten von DigiOnline auf.
Angst und Bange konnte einem werden, als es um die Gefahren des Web 2.0 ging: Gefahren, die gerade von jungen Menschen, die sich wie selbstverständlich im World Wide Web tummeln, oft nicht erkannt werden. Begriffe wie „cyber mobbing“, Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes, jugendgefährdende Inhalte, Jugendschutz, Urheberrechtsverletzungen und vollkommene Transparenz der eigenen Persönlichkeit wurden von Christina Rhode eindrucksvoll in den Raum gestellt. Rechtsanwalt Christian Solmecke schließlich, dessen Kanzlei zurzeit zahlreiche illegal downloadende Jugendliche gegen die Phonografische Wirtschaft vertritt, sprach über die „Kriminalisierung“ junger Menschen und die aus seiner Sicht überdimensionale rechtliche Verfolgung von „Piraterie“-Delikten. Die Verteidiger des Urheberrechts auch im Bereich der neuen Technologien waren in der anschließenden Diskussion leider in der Minderzahl. Keiner mochte so recht das Schwert der Kreativen hochhalten; die Frage, wie Musik-Autoren in Zeiten von „creative commons“ Geld verdienen sollen, blieb von dessen Verfechtern unbeantwortet.
Dass am Schluss kein Rezept gefunden war, was man jungen Musik-Interessierten im Web 2.0 sinnvoll und qualitativ anbieten kann, tat der Veranstaltung keinen Abbruch. Neue Räume hat sie den Teilnehmern allemal eröffnet, allerdings auch den sicher richtigen Eindruck hinterlassen, dass eine regulierende Ordnung im musikalischen Internet letztlich nicht (mehr) geschaffen werden kann.