Der denkbar glänzendste Rahmen, die freudigste, großmütigste Gastfreundschaft umgab diese Veranstaltung. Willem Mengelberg, der musikalische Erzieher und Reformator Hollands, feierte das Fest seiner fünfundzwanzigjährigen Dirgientenwirksamkeit am „Concertgebouw“ in Amsterdam. Und da er zwar alle modernen Komponisten von Bedeutung von Strauss bis Schönberg und Ravel eifrig gefördert hatte, seinen durch gegenseitige Bewunderung gewonnenen Freund Mahler aber am meisten und liebsten, so sollte sein Fest zugleich ein Mahler-Fest sein, das erste, und im größten Stil ausgeführt. […]
Als wir nun die ersten Proben und Veranstaltungen besuchten – Mengelberg und das Orchester baten uns zu allen proben und hatten denn da auch regelmäßig ein Publikum von dreißig bis vierzig internationalen Kennern –, merkten wir sogleich die wunderbaren Qualitäten der Ausführung. Da war alles Kultur, Disziplin, Freude am Klang, Ergebnis mühevollster, sorgfältigster Arbeit. Und doch konnte dann Willem Mengelberg, dessen ganze Art und Persönlichkeit so sehr an die souveränen Malergestalten Hollands erinnert, die Früchte solchen Fleißes als Improvisator von Genie verschenken und genießen lassen; er hatte seine Leute durchaus auch dazu erzogen. Alles blieb bei ihm immer lebendigste Bewegung. Wie er Tempi modifiziert, aus kleinen Rückungen Nuancen gestaltet, Höhepunkten zueilt, mit Pausen arbeitet, das ist unnachahmlich und ist meisterhaft. Er ist nach diesem Fest als Dirigent von ganz eigener Linie und geistiger Größe für die Musikgeschichte gekennzeichnet. Sein Orchester klingt wunderbar, kann, leistet alles. Es wird einem schwer werden, unmittelbar danach selbst gute andere Orchester zu würdigen.
Das Fest versprach und gab alle Symphonien Mahlers, entdeckte Mahlers Jugendwerk „Das klagende Lied“ sozusagen von neuem, vereinigte es übrigens mit der Ersten Symphonie und den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ zu einem Abend. Je ein weiterer Abend gehörte der Zweiten und Dritten Symphonie, die Vierte und Fünfte wurden zu einem Konzert vereinigt, wobei die Fünfte, wie den überhaupt alle minder „beliebten“ Werke Mahlers besonders glänzend herausgearbeitet wurde. Mit der Sechsten wurden die Kindertotenlieder, mit der Siebenten andere Lieder Mahlers zusammengestellt, dann kam das Lied von der Erde und, am Todestage Mahlers, dem 18. Mai, sein „Abschied vom Leben“, die Neunte Symphonie. Zuletzt seine Verklärung, die Achte. Hier und in der Zweiten, im klagenden Lied, waren es besonders die Chöre, die zur Bewunderung zwangen: der „Tonkunst“-Chor, den Mengelberg leitet, steht seinem Orchester wirklich nicht nach. Auch der Knabenchor des Herrn den Hertog hielt sich glänzend. Die ersten Solisten waren herbeigeholt worden und bedeckten sich mit neuem Ruhm: die Damen Foerstel, Noordewier, Reidel, Menagé-Challa, Cahier (Lied von der Erde), Durigo (Kindertotenlieder), Hoffmann-Onegin, Urlus (Lieder eines fahrenden Gesellen), Groenen und Deuys. […]
Dr. Paul Stefan, Neue Musik-Zeitung, 41. Jg., 17. Juni 1920