nmz 2000/10 | Seite 8
49. Jahrgang | Oktober
Wie damals in Leipzig...
Auf den Spuren Bachs im Internet unterwegs –
Ein Frustrationsbericht
Es ist einmal wieder Zeit, eines ganz Großen zu gedenken – Bach natürlich, denn 2000 ist Jubeljahr. Und gejubelt wird aller Orten: In unzähligen Veranstaltungen, in Radiosendungen, im Fernsehen und ganz privat vor dem heimischen Hi-Fi-Turm. Und bestimmt auch im Netz der Netze. Dachte ich zumindest und machte mich auf die Suche. Sie begann ganz logisch bei www.bach.de – diese Site wurde bereits in der nmz-Ausgabe 07-08/2000 besprochen. Leider wurden die Mängel wie etwa die fehlende Möglichkeit zur Online-Kartenorder, nicht korrigiert.
Na gut, einfach weiter nach diesem Prinzip zu www.bach.com, dem internationalen Pendant. Dort findet man zuerst einen Hinweis auf beethoven. com. Was wollen die Betreiber damit wohl zum Ausdruck bringen? Zurück zu den .de-Domains und zum Naheliegendsten: www.jsbach.de. Hier findet sich die Seite des Konzertevents „24 hours Bach” der EuroArts Music International GmbH am 28. Juli. Schade, schon vorbei. Und ebenso schade ist, dass auf dieser Site – trotz des eindeutigen Domainnamens – nichts über Bach zu erfahren ist.
Zumindest nehme ich noch einen Link mit, der mich zum Projekt Bach Digital unter www.bachdigital.org führt. Hier präsentiert sich ein ambitioniertes Großprojekt in Kooperation der Stiftung preußischer Kulturbesitz, dem Bach-Archiv Leizpig, der Sächsischen Landesbibliothek Dresden, der Bachakademie Stuttgart und anderen. Die Idee dahinter ist, den interessierten Surfern Bach-Autographen zur Online-Betrachtung zur Verfügung zu stellen – und gleichzeitig über Spendenaufrufe für die weitere Sicherung der wertvollen Originale zu sorgen. Was nach einer runden Sache klingt, entpuppt sich in der Realität des digitalen Netzes als Rohrkrepierer. Nicht nur, dass das professionelle (und – unter uns – extrem teure) Designer- und Programmiererteam von „Big Blue“ technisch sehr hohe Hürden vor den eigentlichen Surfspaß platziert hat – das eigentlich Interessante, die digital aufbereiteten Autographen, sind in der sogenannten Digitalen Bibliothek noch gar nicht verfügbar. Es lässt sich auch kein Hinweis finden, ab welchem Zeitpunkt der Zugang zur Digitalen Bibliothek möglich sein soll. Statt dessen wird man bis dato mit ein paar Bildern in viel zu geringer Auflösung abgespeist. In den nächsten Wochen muss sich erweisen, ob hier das Geld richtig angelegt wurde.
Nachdem also das Prinzip des „ins Blaue probieren“ wenig eingebracht hat, wähle ich einen der berühmten Suchdienste, in diesem Falle das gute alte Yahoo! Nachdem ich mich durch die etwas fragwürdige Kategorienkette Unterhaltung – Musik – Künstler – Komponisten – Klassik – Barock gehangelt habe, finde ich immerhin ganze acht Seiten, die in diesem größten Verzeichnisdienst über einen der bedeutendsten und meistrezipierten Komponisten eingetragen sind.
An erster Stelle begegnet mir besagte Site Bach Digital. Numero Zwo führt mich auf einen T-Online-Serverbereich unter http://home.t-online.de/home/andi.singer/bach.htm – einem Schülerprojekt zum Bachjahr. Begrüßt werde ich mit einem für die Verhältnisse gut in MIDI umgesetzten Bach-Werk – und ich werde ruhig. Da ich kein Lehrer bin, weicht die Ruhe sehr schnell der mir typischen Ungeduld. Die Lehrer unter den Lesern werden auf dieser Seite aber vielleicht wichtige Informationen zum Thema „Bach im Unterricht“ erhalten.
Also weiter im Yahoo-Verzeichnis zum Bach-Archiv Leipzig unter www.bach-leipzig.de. Trotz meiner schnellen ADSL-Verbindung dauert der Seitenaufbau und vor allem das Laden der völlig harmlosen Grafiken extrem lange. Was man dann insgesamt erhält ist eine Begrüßungsseite, ein paar sehr spartanisch gehaltene Informationsseiten über die Arbeit des Archivs nebst Kontaktmöglichkeit. Über Bach habe ich schon wieder nichts erfahren.
Der nächste Link in der Yahoo-Liste bringt mich zu einer IP-Adresse: http://216.161.118.49/bach/bach.htm. Hier werde ich endlich wieder fündig – zumindest zu einem Teil. Man erfährt einiges Interessantes und Kurioses über „Bach heute“, und vor allem bekommt man eine umfangreiche Linkliste an die Hand, um tiefer einzusteigen. Die Seite hat Privatcharakter – und wie so oft sind die privaten Initiativen weit „ertragreicher“ als vergleichbare von offizieller Seite. Viele der Kulturverantwortlichen scheinen ihre irgendwie angeborene Abneigung gegen das Internet noch nicht überwunden zu haben. Noch immer rubriziert man das Netz gerne unter reinem Hype. Lassen wir sie ruhig schlafen.
Da war Bach eben ein anderes Kaliber. Als nächstes lande ich vom Yahoo-Portal aus beim Bachhaus in Eisenach unter http://www.bachhaus.de/. Ganz erwartungsvoll mache ich mich auf einen virtuellen Rundgang bereit, mit 360°-Blick durch VRML und was es noch für tolle Möglichkeiten mittlerweile dank der immer weiter entwickelten Technik gibt ... und werde erneut enttäuscht. So langsam gerät der Auftrag der neuen musikzeitung, mich nach Spuren des großen Thomas-Kantors im Internet auf die Suche zu machen, zur frustrierenden Pflichtaufgabe. Wo aber ist die Kür? Zumindest nicht im virtuellen Bachhaus, denn hier erfährt man lediglich Kurzbiografisches wie überall, sehr knappe Infos über sein Werk und einige Konzerttermine – immerhin mit der Möglichkeit, Karten sofort online via E-Mail zu bestellen. Daneben finden sich Informationen zum Museum des Bachhauses – von einer Art Rundgang oder auch nur aussagekräftigen Photos keine Spur, lediglich ein paar lapidare Sätze informieren.
Eines hat das Bachhaus aber verstanden: der E-Commerce ist mehr als Hype. Deshalb erfährt man auf dieser Seite zwar kaum etwas über Bach oder erhält (fotografische) Einblicke in das Museum – aber es gibt einen Shop, in welchem man umgehend allerlei Nützliches (Musikalien, Bücher) und Kitschiges bestellen kann. Wie wäre es etwa mit einem Puzzle des Bach-Wohnzimmers? Was ich auf dieser Reise noch immer schmerzlich vermisse, sind Informationen, die über die übliche Kurzbiographie und eine nach BWV-Nummern sortiere Werkliste hinaus gehen. Analysen vielleicht, ausführliche Essays über Wirken und Werk oder ähnliche Dinge.
Als nächstes wird die Bach-Gesellschaft Bremen, die noch nicht über eine eigene Domain verfügt, sondern ein paar kByte bei der Telekom abgelagert hat: http://home.t-online.de/home/Hans-Martin/jsbach.htm angesteuert. Und was finde ich? Natürlich, der aufmerksame Leser hat es bereits erraten: Eine Kurzbiografie, die bei dieser Variante mit gerade einmal drei kurzen Absätzen auskommt, einem Veranstaltungskalender für Kirchenveranstaltungen der direkten Umgebung (ohne Online-Bestellmöglichkeit) und daneben einen Radiotip sowie Informationen zum „Kleinod aus dem Lande Bachs in Bremen“, einer Silbermann-Orgel im Dom St. Petri. Nachdem die Yahoo-Liste nun zu Ende ist, muss ich mich wieder auf das wahllose Ausprobieren von möglichen URLs verlegen.
Wie wäre zum Beispiel die Domain www.bachakademie.de? Und schon ein Treffer. Ich lande auf der Seite der Internationalen Bachakademie Stuttgart, die jüngst durch den vierfachen Zyklus „Passion 2000“ mit vier Auftragswerken an die Komponisten Rihm, Tan Dun, Golijov und die Komponistin Gubaidulina von sich reden machte. Das Angebot ist umfangreich aber setzt sich (natürlich?) hauptsächlich mit der eigenen Arbeit und weniger mit der Arbeit des Namensgebers auseinander. Immerhin ist laut Website eine umfangreiche Bach-Datenbank in Vorbereitung. Man sollte sich diese Seite also vormerken, auch weil hier endlich genügend Material vorhanden ist, um einen erneuten Besuch bzw. einen Bookmark zu rechtfertigen.
In diesem Sinne wieder etwas aufgerichtet, verlege ich mich noch einmal auf die internationale Ebene. Da das Kürzel jsbach bereits zu Ergebnissen geführt hatte, wenn auch nicht unbedingt zu den gewünschten, versuche ich diesmal die Adresse www.js bach.net und lande auf „Dave’s J.S. Bach Page“. Und endlich eine Site, die ich ohne größere Probleme den Lesern ans Herz legen mag. Sie ist inhaltlich sehr dick geraten, die Optik ist angenehm und die Bedienung eingängig. Neben einer Werkliste gibt es auf der Site von David J. Grossman auch endlich Musik zu hören – hauptsächlich in MIDI, teilweise aber auch „real“ via RealAudio. Ein bisschen Spaß muss auch sein, so steht etwa ein Bach-Quiz und Bach-Icons für den heimischen Windows-Desktop parat. Ein wenig arg schenkelklopfend gerät dann „Bach Warp!“, einem PlugIn, mit dessen technischer Voraussetzung man ein Komponistenporträt schändlichst verzerren darf. Welcher gequälte Musikschüler also Bach schon immer einmal eine lange Nase machen wollte, kommt hier auf seine Kosten. Kern der ganzen Site ist aber die „Bach Central Station“ und hier endlich finde ich Links zu den Informationen, die über das Übliche hinausgehen: Analysen, Bibliografie, Bach-Noten und einiges weitere mehr.
Dermaßen zufrieden beende ich meine Suche nach den Spuren Bachs im Internet – mit gemischten Gefühlen. Natürlich wurden unzählige Internetseiten nicht genannt, wahrscheinlich auch einige Perlen ausgespart. Eine allgemeine Suchanfrage „Johann Sebastian Bach“ ergibt allein in der deutschen Variante der Suchmaschine weit über 8.000 Treffer.