Am 15. März findet die Ministerpräsidentenkonferenz in Brüssel (Landesvertretung Bayern) statt und die Landeschefs wollen sich zu den Spar- und Reformvorschlägen der ARD-Rundfunkanstalten äußern. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte, dabei müsse auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) einbezogen werden. Die KEF gibt eine Empfehlung zur Höhe des künftigen Rundfunkbeitrags ab (siehe auch den Nachschlag von Martin Hufner auf Seite 18). Die nmz druckt aus aktuellem Anlass einen Text von Hermann Wilske, Präsident des Landesmusikrats Baden-Württemberg und Mitglied des SWR-Rundfunkrates ab.
Ohne jeden Zweifel ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland in die größte Legitimationskrise seit seinem Bestehen geraten. Um die 2 Milliarden Euro hat man während der derzeit laufenden Gebührenperiode bereits eingespart, und eine weitere Einsparungsrunde droht, wenn man im Frühjahr mit den Ministerpräsidenten der Länder in Verhandlungen für die nächste Gebührenperiode eintritt. Jene ersten 2 Milliarden, so ein Kulturwellenchef der ARD, habe man noch weitgehend verträglich umsetzen können. Würde diese Einsparungsmarge im Frühjahr, anlässlich eines erneuten Zusammentreffens der Intendanten mit den Ministerpräsidenten der Länder, erneut erhoben, dann indes käme es zu darwinschen Verdrängungswettkämpfen innerhalb des Hauses, wie man das noch nie erlebt habe. Das mag ein wenig dramatisierend klingen, denn schließlich leidet man ja, wenigstens im Moment noch, durchaus auf hohem Niveau, und Einsparpotenzial scheint auch immer noch vorhanden.
Ist es beispielsweise nötig, dass „Plusminus“ oder „Weltspiegel“ an mehreren ARD-Standorten produziert werden? Müssen länderübergreifend fröhliche Landfrauen mit dem Retro-Bus zum Kochduell verbracht werden oder reichte es nicht aus, es gäbe lediglich einen Radiosender, der rund um die Uhr die Republik mit Nachrichten versorgt? Alle genannten Beispiele hätten bereits einen Verlust von Vielfalt zur Folge, ein Verlust jedoch, der hinsichtlich der Einsparungsmöglichkeiten gegengerechnet werden müsste. Schon jetzt spricht vieles dafür, dass es hier zu Vereinheitlichungen kommt.
Gleichwohl müssen alle rundfunkinternen Befürchtungen auch vor dem Hintergrund politischer Äußerungen gesehen werden, wonach die ARD zum Schaufenster der Regionen regredieren solle, parallel zu einem ZDF, das als letzter Brückenkopf öffentlich-rechtlichen Auftrags für Information und Kultur verbleiben möge. Immerhin – Ministerpräsidentin Malu Dreyer, ihres Zeichens Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, möchte an den Grundstrukturen der ARD nicht rütteln, und das sei zugleich die Ansicht der „meisten“(!) anderen 15 Bundesländer. Nun aber gibt es, jenseits deutscher Landesgrenzen, zeitgleich in der Schweiz einen eigentümlichen Parallelfall. Am 4. März 2018 wird dort ein Volksentscheid durchgeführt, in dem die No-Billag-Initiative das Gebührenaufkommen der dortigen SRG (derzeit 451, zukünftig 365 SFR pro Haushalt) vollständig zu Fall gebracht werden soll. Das Erstaunliche an dieser Initiative ist die eigentümliche Identität der Argumentationsweise mit Rundfunkkritikern in Deutschland, ein interner Verbund unter politisch Gleichgesinnten erscheint mithin ausgesprochen wahrscheinlich. Die SRG kann wohl aufatmen: Knapp zwei Wochen vor der Abstimmung vom 4. März besteht nach wie vor ein deutlicher Nein-Trend zur No-Billag-Initiative. Zwei Umfragen gehen von mindestens 60 Prozent Nein-Stimmen aus. Gemäss der ebenfalls aktuellen dritten Tamedia-Trendumfrage würden 58 Prozent Nein und zwei Prozent eher Nein stimmen. Das ergäbe eine Ablehnung von 60 Prozent. In der zweiten Tamedia-Umfrage hatte die Ablehnung noch bei 61 Prozent gelegen. [Anmerkung der Redaktion: Es sind schließlich sogar insgesamt knapp 71 Prozent geworden.]
Mit Erstaunen hat man in der Schweiz registriert, wie auffallend gering bislang die Solidarität in der Gruppe der Nutznießer des öffentlichen Rundfunks, hier insbesondere die der Kulturschaffenden, ausgefallen ist. Hier gibt es eine vergleichbare Situation wie in Deutschland. Zwar hat die Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats sich eindeutig für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks positioniert, aber so recht scheint bei den Kulturschaffenden noch nicht angekommen zu sein, welch elementaren Verluste mit der Beschneidung oder gar dem Verschwinden der ARD tatsächlich verbunden sein könnten.
Ein (gezwungenermaßen oberflächlicher) Streifzug durch die 3. Fernsehprogramme der ARD zeigt übrigens rasch, dass auch dort das Quoten-Über-Ich längst seine Wirkung entfaltet, dies übrigens mit zunehmender Tendenz, je weiter man von BR3 entfernt ist. Und auch bei den Kulturwellen des Radios steht immer häufiger nur noch Klassik darauf, wo Inhalte längst von Unterhaltung dominiert werden. Und schaltet man sich schließlich einen Abend lang durch die digitalen Jugendradios, dann gibt es zwar bei den Wortbeiträgen gelegentlich noch Differenzen zu Privatsendern, musikalisch hingegen regiert der blanke Mainstream aus House und Hitparade. Kulturauftrag: Fehlanzeige!
Aber dennoch – nach wie vor gibt es in der ARD einen singulären Reichtum an Nischenprogrammen und Hochkultur, den man, gerade vor dem Hintergrund eines drohenden Totalverlustes, keinesfalls missen möchte. Unvorstellbar, wenn auch hier das bei privaten Anbietern grassierende Interesse am schlechten Geschmack, am Extremen und Abseitigen, am Voyeurismus gegenüber Menschen um sich greifen würde, die eigentlich vor sich selbst geschützt werden müssten. Gibt es Möglichkeiten, solch verhängnisvolle Entwicklungen zu verhindern?
Zunächst einmal haben gleich mehrere ARD-Anstalten ihren Rundfunkräten Argumentationshilfen an die Hand gegeben. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, statt einer gemeinsamen Medienoffensive habe man es, im Moment zumindest, eher mit einem ratlosen Zaudern der Kaninchen vor den Schlangen der Staatskanzleien zu tun. Und die Vertreter der Kultur in Deutschland?
Die Gründungsväter dieses Landes haben dem öffentlichen Rundfunk bekanntlich die Verpflichtung zum Kulturauftrag ins Stammbuch geschrieben. Leider musste man in der jüngeren Vergangenheit immer wieder feststellen, dass besagter Kulturauftrag spätestens dann zu einer stumpfen Waffe werden kann, wenn es zum Schwur kommt – die Auseinandersetzungen um den Erhalt des SWR-Orchesters Freiburg haben in aller Eindringlichkeit gezeigt, wie schwierig es sein kann, den Kultur- und Bildungsauftrag präzise zu definieren. Was verbirgt sich denn nun konkret hinter besagten „kulturbezogenen Verpflichtungen“, die „konstitutives, übergreifendes und prägendes Merkmal“ (Urteile zum Rundfunkstaatsvertrag) sein sollen?
Schlimmer noch – ausdrücklich ist damit nicht nur die sogenannte Hochkultur gemeint, sondern selbst noch Popkonzerte fallen darunter, Kultur also für weite Bevölkerungsschichten. Der Kulturauftrag des Fernsehens, so konstatierte denn auch der Medienforscher Norbert Bolz, sei letztlich „nichts weiter als ein Phantasma“ (Berliner Zeitung, 15.1.2009). Und dennoch: Böte nicht gerade die unumgängliche Reform des öffentlichen Rundfunks die Chance, bei den Ministerpräsidenten der Länder auf eine Neubestimmung des Kulturauftrages hinzuwirken? Die Rechtfertigung eines Rundfunkbeitrages resultiert doch eben nicht daraus, dass man den privaten Anbietern immer ähnlicher wird, sondern aus Qualitätsjournalismus und der Präsentation jener Kultur, die im Wettstreit gegen die Quote stets unterlegen sein wird. Daraus resultiert zugleich, dass bei zukünftigen Einsparungsprozessen die Kultur einem besonderen Schutz unterliegen müsste. Es lohnten sich in diesem Kontext alle Anstrengungen, durch einen zwingenden Zusammenschluss sämtlicher Kultursparten die Kräfte zu bündeln, um im Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft jene drohende Medienwelten zu verhindern, in welcher kruder Quotennihilismus nur unerheblich mehr als unbehauste Kulturlandschaften zurücklassen wird.