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Georg Zeppenfeld (Zoroastro), Gala El Hadidi (Medoro), Carolina Ullrich (Angelica) und Barbara Senator (Dorinda) im Dresdner „Orlando“. Foto: Matthias Creutziger
Georg Zeppenfeld (Zoroastro), Gala El Hadidi (Medoro), Carolina Ullrich (Angelica) und Barbara Senator (Dorinda) im Dresdner „Orlando“. Foto: Matthias Creutziger
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Alles aus Holz – Andreas Kriegenburg inszeniert Händels „Orlando“ an der Dresdner Semperoper

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Sein ganz persönliches Wagner-Jahr hat er schon hinter sich. Die Münchner „Ring“-Inszenierung von Andreas Kriegenburg mag durchaus als vorzeitige Gratulationskarte für den deutschesten Opernjubilar von 2013 gelten. Als Quartett spannend. In einem Doppelspiel debütiert der Regisseur ausgerechnet in Dresden vollkommen frei von Richard Wagner: Vor Sartres „Fliegen“ am Staatsschauspiel gab es am letzten Januar-Sonntag Händels „Orlando“ in der Semperoper.

Barockoper gilt heute gemeinhin als langweilig. Das ist sie aber nur, wenn sie banal musiziert und schlecht inszeniert wird. Um all dem vorzubeugen, graben Dirigenten in Urschriften und erforschen Originalbesetzungen, um von historischer, historisch informierter oder aber moderner Aufführungspraxis zu reden. Welche dieser Umsetzungen letztlich die aufregendste ist, sei dahingestellt. Denn die eine wie die andere kann anöden, wenn sie nicht gut gemacht ist.

Bei Regisseuren ist neben gründlichen Quellenstudien persönlicher Einfallsreichtum gefragt. Je mehr sie über ein Werk und dessen Verfasser wissen, umso besser können sie damit umgehen. Ein Fakt, sollte man denken. Ein Trugschluss hingegen ist, dass eine Inszenierung nicht langweilt, wenn auf der Bühne ständig alles in Bewegung ist.

Andreas Kriegenburg, der vom Schauspiel kommt und schon eine ganze Reihe respektabler Operninszenierungen absolviert hat, konnte nun erstmals an der Dresdner Semperoper arbeiten, wo man ihm Georg Friedrich Händels Opera seria „Orlando“ anvertraut hat. Er hat diese 1733 in London uraufgeführte und letztlich auf das vor fast 400 Jahren entstandene Epos „Orlando furioso“ von Ludovico Ariosto zurückgehende Oper wieder gemeinsam – wie schon einige vorangegangene Arbeiten etwa in Zürich – mit der Choreografin Zenta Haerter erarbeitet. Zu den eigentlichen Opernfiguren kommen also noch doppelt so viele Tänzerinnen und Tänzer hinzu. Das hat entscheidende Vor- und Nachteile in diesem kammerspielartigen Liebeskonflikt mit Zaubereinlage. Denn rein äußerlich geschieht ja nicht viel. Der Ritter Orlando ist schwer verliebt und will sich statt Waffen nur noch seiner Prinzessin Angelica widmen. Eine vorbildliche Haltung, gegen die überhaupt nichts einzuwenden sein sollte.

Doch der Zauberer Zoroastro will die Kriegspfade nicht verwaist sehen, außerdem ist neben Orlando auch noch Medoro in Angelica verliebt. Der aber, ein auf dem Schlachtfeld verwundeter Prinz, wird von der Schäferin Dorinda begehrt, die ihn gemeinsam mit Angelica gesundgepflegt hat. Es braucht also überhaupt keinen Tumult, um die Gefühle allerheftigst komplett zu verwirren.

Barockem Duktus gemäß wird diese Verstrickung mehr modellhaft typisierend denn in dramatischer Steigerung dargestellt. Kriegenburg und sein Team (Kostüme: Andrea Schraad, Bühne: Harald Thor, Licht: Stefan Bolliger) sahen sich also gezwungen, diese Abstrakta mit Leben zu füllen. Dank Protagonisten wie Christa Mayer in der Titelpartie und Georg Zeppenfeld als Zoroastro sind eindrückliche Auftritte realisiert worden, die von einer pfiffig-gewitzten Barbara Senator als Dorinda noch lebenswarm bestärkt wurden. Gala El Hadidi zelebrierte den afrikanischen Prinzen Medoro eher zugeknöpft, angesichts des Konfliktpotenztials durchaus nachvollziehbar. Und Carolina Ullrich als geliebt liebende Angelica stellte ihre Zerrissenheit inniglich aus.

Allein, die Spannung ist ganz überwiegend eine nur innere. Da hätte es größter Darstellungs- und Führungskünste bedurft, um die emotionalen Binnenwelten über den gehobenen Graben hinweg ins Publikum zu übertragen. Bei Wagners „Tristan“ etwa ist dies das Grundproblem, das nur von wirklichen Ausnahmeinszenierungen gelöst wird.

Händels „Orlando“ geht zwar ebenfalls auf einen uralten Mythos zurück (die Sage vom rasenden Roland), ist aber erstens kürzer und zweitens anstelle von Zaubertrank mit ganz handfestem Wahnsinn gewürzt. Orlando kann den vermeintlichen Betrug an seiner Liebe nicht verschmerzen, will nur noch sterben und spielt sich auf dem Weg in den eigenen Tod schicksalhaft mörderisch auf. Da gerät Christa Mayer in ihrer Hosenrolle plötzlich zum Sensenmann, der gleich darauf mit diesem Todessymbol über den Charon rudern will.

Solche Ausbrüche und Sinnbilder sind selten in diesem „Orlando“, allzu viele Arrangements entpuppen sich als leidlich kaschiertes Rampentheater. Um davon abzulenken, wirbeln und tanzen wieder und wieder die zehn stummen Figuren über die Bühne. Allerdings liefern sie nicht antikisch kommentierend eine Zusatzebene, sondern sind mal pure Schatten der Musik, mal bloßer Blickfang mit hektischen An- und Ausziehbewegungen, sie illustrieren koffertragend ein beständiges Unterwegssein, berücken mit einem faszinierenden Spiegeltanz, witzeln als Freiwild in Uniform mit etwas Geäst auf den Helmköpfen, lassen mit herbstlichem Laub die Zeit hinwegrinnen.

Das wird gekonnt dargestellt, ist teils hübsch anzusehen und setzt schön schlanke Kontraste. Aber ist es erhellend? Kaum. Funktionierende Bildsprache ergibt sich eher aus sinnbildlichen Verstrickungen aller mit allen – bunte Bänder machen deutlich, wie unlösbar verbandelt die Liebeswesen miteinander sind.

Das Geschehen, so will es die Sage, ist tief in einem Wald verortet. Der ist prächtig im Bühnenhintergrund illustriert. Davor steht der Rittersaal in Form eines Salons. Eine hölzerne Guckkastenbühne, in der alles aus Holz ist. Die Wände, der Boden, die Heizkörper, das Bett und der Kronleuchter. Noch so ein eindrucksvolles Bild, das unvergesslich bleibt, den Rahmen aber doch letztlich nicht weitet, nur einengt.

Umso mehr konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf Händels Musik. Jonathan Darlington am Pult der Staatskapelle hält das Geschehen eifrig im Fluss, erweist sich als prädestinierter Begleiter, der aber auf die reizvollen Schattierungen dieser Musik viel zu häufig verzichtet. Die bleibt dynamisch meist unentschieden, wo Ausbrüche oder Zurücknahmen wirkungsvoller gewesen wären, erstaunliche Stimmungsschwankungen im Orchester kommen erschwerend hinzu. Das Gesangsensemble, ausnahmslos aus dem derzeitigen Bestand des Hauses, konnte diese Fehlstellen immerhin ausbügeln. Grandios der Bass von Georg Zeppenfeld, hell und biegsam der Sopran von Barbara Senator, warm strömend der von Carolina Ullrich und von samtiger Kraft der Alt Gala El Hadidis. Wo Christa Mayer in Koloraturen zu unentschlossen wirkte, da brillierte sie mit geschmeidigem Mezzo und untrüglichem Gespür für Phrasierung.

Händel hatte mit seinem „Orlando“ einst gestalterisches Neuland betreten. Davon war in der Dresdner Produktion, allen Unterhaltungswerten zum Trotz, kaum etwas zu spüren.

Termine: 3., 5., 17., 24.2., 3.3., 14.5., 6.6.2013

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