Der 1952 in Kärnten geborene Komponist und Dirigent Gerd Kühr erhält den Großen Österreichischen Staatspreis, wie Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer am 10. Oktober bekanntgab. Die höchste Kultur-Auszeichnung Österreichs geht in unregelmäßigen Abständen an die Musik, zuletzt erhielt ihn 2019 Thomas Larcher.
Ankomponieren wider die Sprachlosigkeit
In Kührs Schaffen lebt ein Engagement, das man nicht politisch nennen muss, aber politisch werten sollte. Denn in vergifteten Debatten heilt bereits ein leises Wort, eine Nachdenklichkeit. Und da der natürliche Feind der sozialen Medien die Diskretion ist, sei hier an die 3. Szene aus Kührs Opernerstling „Stallerhof“ erinnert, 1986/87 nach einem wortkargen Theaterstück von Franz Xaver Kroetz für die Münchner Biennale komponiert und den Durchbruch des Komponisten markierend. Im Textbuch steht hier: „Sepp sitzt auf dem Abort beim Scheißen. Dabei onaniert er.“ Kühr schreibt hierzu einen in sich gekehrten Gesang der Bassklarinette, begleitet vom zarten Gewebe der Streicher und Bläser. Die Musik illustriert nicht, sondern verleiht der Szene Poesie. Damit besteht sie darauf, dass das, was Sepp tut, menschlich ist.
Die Musik von Gerd Kühr widersteht der Sprachlosigkeit, indem sie auf den Grundregeln einer durch Inhalte begründeten Kommunikation beharrt. Das hat ihn, der in Klagenfurt und Salzburg, später bei Hans Werner Henze und Sergiu Celibidache studierte und seine Laufbahn am Opernhaus in Köln begann, einst zum Außenseiter unter den jungen Komponisten gemacht: ein Stiller, für den das abfallende Sekundintervall noch immer ein Klagemotiv darstellt, der sich mit keinem der großen Wiener Ensembles verbündete, sich aber der Wertschätzung seitens des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien erfreute.
Für viele seiner Uraufführungen engagierte sich Ulf Schirmer. Über die Jahre trugen ihm überragendes Handwerk, ernsthaftes Anliegen, pädagogischer Einsatz und menschliche Integrität Respekt bei Avantgarde und gemäßigter Moderne ein. Dass er 1995 als Kompositionsprofessor nach Graz berufen wurde, mit „Tod und Teufel“ die repräsentative Grazer Uraufführung zur Jahrhundertwende beisteuern durfte, im Sommer darauf bei den Salzburger Festspielen die „Next Generation“ vertrat und beim Festival styriarte (2003) sowie beim musikprotokoll im Steirischen Herbst (2005) porträtiert wurde – all das spricht für die kulturelle Standfestigkeit Österreichs jenseits parteipolitischer Wechselspiele im Regierungslager.
- Anspieltipps: „Mundo perdido“ (1992) und „stop and go and black and white (and sometimes blue)“ (2000).
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