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Anrufung eines allumfassenden Friedens: Deutsche Erstaufführung von Bruno Madernas Requiem in Chemnitz

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Es gibt gewiss andere Orte, an denen posthum eine deutsche Erstaufführung von Bruno Maderna zu erwarten wäre. Andere Orte als ausgerechnet die charmefreie Stadthalle von Chemnitz. An zwei Abenden hat uns die Robert-Schumann-Philharmonie eines Besseren belehrt und das triste Gebäude von 1974 lauthals zum Leuchten gebracht. Madernas 1946 entstandenes Requiem wurde fast vierzig Jahre nach seinem Tod erstmals in Deutschland gehört.

A capella eröffnet der Chor. Der Grundton des Werks scheint damit vorgegeben. Tiefe Innerlichkeit, Trauer, Verlust. Entsetzen und schiere Verzweiflung mischen sich erst später ins tönerne Geschehen.


Bruno Maderna, gebürtiger Venezianer aus dem Jahrgang 1920, starb 1973 in Darmstadt. Zehn Jahre hatte er dort gelebt, wo er schon 1949 erstmals die so berühmten wie berüchtigten Ferienkurse für Neue Musik besuchte, denen er ab 1956 auch als Dozent verbunden war. Kompositorisch wusste er sich da schon längst auf ganz anderen Wegen unterwegs als auf den tonalen Emotionspfaden, die er unter den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs unmittelbar nach dessen Ende beschritt. Er hatte sich zwar nie von den früheren Etappen seiner Musik distanziert, sich aber mit jeder neuen Stufe ganz auf diese konzentriert. Liegt es daran, dass er nie nach dem Unikat der Partitur seines Requiems geforscht hat?

Deren Wiederentdeckung gleicht einem Krimi. Schon bald nach Kriegsende berichtete er seinem Lehrer Gian Francesco Malipiero, dass er „ein Requiem zu schreiben und dann zu sterben“ als nun einzige Möglichkeit sähe. Eine schreckliche Utopie unter dem Eindruck von Krieg, Partisanenkampf und Gefangenschaft. Das 1946 vollendete Werk sollte in den USA herauskommen, was aber aufgrund seiner eigenwilligen Besetzung – Orchester und Chöre, vier Soli und drei Klaviere – nicht realisiert wurde. Erst Ende 2009 ist das knapp einstündige Requiem im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt worden.

Frank Beermann, Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz und Chefdirigent der dortigen Robert-Schumann-Philharmonie, engagierte sich nun für die deutsche Erstaufführung. Den dramaturgischen Boden dazu bereitete er mit der 6. Sinfonie von Peter Tschaikowski. Diese „Pathétique“ aus dem Sterbejahr 1893 darf getrost als Tschaikowskis Requiem gelten. Trotz ziemlich rasch angeschlagener Tempi gingen Qualität und Melancholie dieser Sinfonie nicht verloren, das Orchester erwies sich in allen Positionen als äußerst versiert und fand unter Beermann nach dem so klug aufgebauten wie bedachtsam gesteigerten 3. Satz zu einem in geradezu pathetischer Ruhe ausgehauchten Finale.

Somit war das Publikum schon mal eingestimmt auf Emotionalität und Pathos. Im Verlaufe von Madernas Requiem – dem Jugendwerk eines 26-Jährigen! – übertrug sich dessen Brisanz komplett auf das Auditorium, das nach dem finalen Dies irae erst einmal in ergriffenem Schweigen ausharrte.

Das in zwei Teile gegliederte Werk geht pausenlos attacca durch die Liturgie dieses musikalischen Totengedenkens, das sich sehr gewiss aus den Schrecken des deutschen und italienischen Faschismus speist, darüber hinaus aber universellere Geltung beanspruchen darf. Die Vielfalt der kompositorischen Stilmittel, auch wenn sie teilweise noch nach Einflüssen von Bruckner bis Orff klingt, verrät eine erstaunliche Reife. Maderna ist es gelungen, kaum dass er den eigenen Militärmantel abgelegt hat, sein Requiem als Anrufung eines allumfassenden Friedens zu postulieren.

Stilistisch bedient er sich dafür machtvoller Tutti-Einsätze ebenso wie brachialer Bläsersynkopen auf dickem Streicherteppich. Er verstrickt fettes Pathos mit vorsichtiger Moderne, wagt ein Innehalten, kreiert Fugen für die Chorstimmen, fordert schmetterndes Schlagzeug, aber auch gravitätische Zurückhaltung. Gedämpfte Hörner werden an die Grenzen ihrer Artikulationsfähigkeit geführt, Gesangsparts von kammermusikalischen Streichersoli unterlegt, himmlische Posaunen begleiten den sanftseligen Chor, der kultiviert aufblühen, aber auch flüstern kann und im Kontext dreier Klaviere ganz originären Klang evoziert. Vier Gesangssolisten hat Maderna unkonventionell mit anspruchsvollen Aufgaben bedacht. Nach heftigen Bläsersalven schwebt ein Hauch Todeswut und Ewigkeit über den letzten Takten des Werkes.

Frank Beermann und das Orchester wurden für diese Interpretation – nach einer ergreifenden Schweigeminute – kräftig gefeiert. Der MDR Rundfunkchor Leipzig, einstudiert durch Bart van Reyn, erwies sich einmal mehr als exzellent selbst in den außergewöhnlichsten Aufgaben. Ebenbürtig war die Sängerriege um Diana Tomsche (Sopran), Kathrin Göring (Alt), Bernhard Berchtold (Tenor) und den kurzfristig eingesprungenen Renatus Mészár (Bass).

Deutschlandradio Kultur hat diese bravouröse Erstaufführung des Maderna-Requiems in Chemnitz aufgezeichnet und wird sie am 4. Oktober 2013 um 20.03 Uhr ausstrahlen.

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