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Wie seltsam der Mond aussieht! Irene Kurka als Salome. Foto: Jürgen Laubhold
Wie seltsam der Mond aussieht! Irene Kurka als Salome. Foto: Jürgen Laubhold
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Auf den Gesangsleib geschrieben: Neue Kompositionen von Christina Messner und Georg Katzer in Düsseldorf

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Tonhalle, im März: ein Neue-Musik-Abend mit neuen alten Entdeckungen. Einer, der als Konzert begann und als Musiktheater endete. Bemerkenswerte Verwandlungen, geschuldet einer wandlungsfähigen Sängerin einerseits – Irene Kurka; einem traumwandlerischen Duo aus Komposition und Szene andererseits – Suna Göncü und Christina Cordelia Messner.

Womit die feminine Arbeitsgemeinschaft keineswegs vollständig aufgezählt ist. Dass sich Irene Kurka im zweiten Teil schichteise entblättern konnte, aus glockigem, kaffeekannenwärmerartigem Taftumhang bis auf ein unschuldsweißes Bodysuit, dass sie eine überdimensionierte Glühbirnen-Krone umherschieben und einen Schalen-Gong schlagen konnte – diese augenfreundlichen Requisiten hatten ihr Christiane Schmid und Stefanie Reichenberger hergerichtet.

Und dazu geisterten mit der selbstmörderischen Ophelia und der mondsüchtig-mörderischen Salome zwei andere Frauengestalten durch die Handlung. Schließlich, last not least – verantwortet ward der ganze Abend, der so sinnenfroh von der Starre vor den Notenständern in Bewegung übergehen durfte, von der scheidenden Dramaturgin Elisabeth von Leliwa, die in der Vergangenheit so vielfach und nachhaltig zum Segen der zeitgenössischen Kunst am Orte gewirkt hatte. Kurz: Die Tonhalle fest in weiblicher Hand – fast jedenfalls.

Hell wie der Neomond

Vor der Pause nämlich hatte das (vormals) starke Geschlecht immerhin noch knapp die Nase vorn als Burkart Zeller Irene Kurka zu Georg Katzers „Ophelia“ für Sängerin und Violoncello begleitete. Eine jener im Oeuvre des Komponisten leider nur spärlich vertretenen Vokalkompositionen. Seitdem ein Katzer-Oratorium 1964 dem Rotstift des Zensors zum Opfer gefallen war, hatte der Meisterschüler von Hanns Eisler um diese Gattung einen Bogen gemacht. Erst in der Nachwendezeit, zum Siebzigsten wollte er sich mit dieser ausladenden „Ophelia“ selbst beschenken.

Seine mit allen Raffinessen, inklusive Doppelflagoletts gespickte Cello-Stimme fand dann in Zeller einen Meister seines Fachs. Sichere Bank für Partnerin Kurka. So konnten beide in die Tat umsetzen, was sich der Komponist vorgestellt hatte: alle nur denkbaren Skalen und Farben zwischen Gesang und Geräusch anzuschlagen, anzustimmen. Dazu alles textverständlich zu lassen – mit das Wichtigste gerade für die Literatur und Musik der früheren DDR-Opposition. Gegen das Metaphern-Gestöbe stand ja die gesättigte Aufrichtigkeit der Worte eines Wolfgang Hilbig, den Katzer (zum Konzert anwesend und gut gestimmt) noch über Heiner Müller stellen möchte. So blieb denn alles klar und hell wie der „Neomond“, der seinerzeit einem Hilbig’schen Erzählband den Titel gegeben hatte. Und doch – deutlich hörte man hier Geschichte. Seitdem die Gegenwelt für diese Texte in Wegfall geraten ist, kommt auch diese Literatur wie auf Stelzen daher. Das mochte auch Kurka gespürt haben. Überhaupt – die Habachtstellung vor dem Notenständer ist einer quirligen Natur wie der ihren pure Fessel.

Das änderte sich nach der Pause um so rascher und nachhaltiger. Komponistin Christina Messner hatte ihr eine Partie auf den Gesangs-Leib geschrieben, die alle Register bediente: das schnutige Vokaldehnen („Schau den Mooond“), das Schnalzen und kecke Auskosten der Explosivlaute („na-ck-t) wie das närrische Aufglucksen, wenn Kurka das „hysterische Weib“ herauslässt. Alles drin in diesen erfolgreich zur Uraufführung gebrachten „Salome-Extrakten“, die Messner aus wild-psycholgischem Oscar Wilde, aus symbolistischem Mallarmé und aus unschuldsreinen Lasker-Schüler-Versen extrahiert hat.

Oh Himmel komm

Der Untertitel dabei ausgesprochen korrekte Zustandsbeschreibung fürs Formgeschehen: Inszeniertes Solo für eine Sängerin, was uns schließlich aufs Produktionsgeheimnis dieser gelungenen Theaterarbeit bringt. Was ein hiesiges „Kultursekretariat NRW“ mit seinem Förderprogramm „Fonds Experimentelles Musiktheater“ mühsam anzustoßen versucht – die Einheit von Musik, Text, Szene ins Bewusstsein und auf die Bühne zu bringen –, das hat diese Arbeitsgemeinschaft aus Sängerin, Regisseurin, Komponistin ganz von selber mitgebracht. Die Folge: ein schlüssiger Abend. Vor allem dank einer superben Leistung der stimmakrobatisch veranlagten Sopranistin Irene Kurka. Treu der alten Valentin-Weisheit hat sie uns nichts spüren lassen von der unendlichen Arbeit, eine 40-Minuten-Solo-Partie zu besagter ‚Einheit von Musik, Text, Szene’ zu verschmelzen und dazu alles so leicht aussehen zu lassen wie die „kleinen weißen Tauben“, die Wilde in seinen Mondgesängen besingt – Traumbild für die Kindfrau und unheimliche Mörderin Salome.

Nur eben, auch dies wurde glücklich vermerkt: kein abgeschlagenes Haupt, das serviert, kein Theaterblut, das vergossen wurde. Brauchen wir nicht – wenn wir denn so verzaubert werden. Und noch dies fiel auf: Die Form der improvisierenden Bewegung im Raum wie die dazugehörige Musik, die in Vokalisen, in dadahaftem Konsonantenklang nur so schwelgt, all dies haben wir im besten Sinne als Wieder-Entdeckungen gehört und gesehen – trotz der Uraufführung, die Messners Salome de facto gewesen ist, die aber eben nicht als „neue“ Musik daherkommt.

Komisch, denkt man manchmal, wenn man sieht, sehen muss, dass die Errungenschaften der schöpferischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts heute schon fast wieder vergessen, aus der Mode gekommen sind. Und, hochinteressant, so denkt man (laut) weiter, wenn man bemerkt, wovon ein feiner Geist wie der von Cordelia Messner inspiriert wird. Weniger vom gehärtetem Neoexpressionismus. Es sind Stéphane Mallarmé, Oscar Wilde, Else Lasker-Schüler, es sind die sternensuchende Naivität, der symbolistische Psychologismus, dem die Komponistin immer noch, besser wohl: wieder neuen Spirit abgewinnt. Davon abgeleitet, kann man auch sagen: Sprit. Brennstoff.

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