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Krenek halbszenisch im Konzerthaus Berlin. Probenfoto: nmzMedia
Krenek halbszenisch im Konzerthaus Berlin. Probenfoto: nmzMedia
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Aufarbeitung einer traumatischen Beziehung: Kreneks „Orpheus und Eurydike“ im Konzerthaus Berlin

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Schönbergs „Erwartung“, Bergs „Lyrische Suite“, Zemlinskys „Zwerg“ – diese Werke sind autobiographische Dokumente ihrer Schöpfer. Ernst Kreneks Oper „Orpheus und Eurydike“ ist ebenfalls ein Schlüsselwerk, nicht aber für den Komponisten, sondern für den Textautor Oskar Kokoschka, der hier seine leidenschaftliche Affäre mit Alma Mahler verarbeitete. Diese war nach dem Tod Gustav Mahlers, der ihr Enthaltsamkeit auferlegte, zur männerverschlingenden Furie geworden.

Um den Maler wieder loszuwerden, schickte sie ihn 1915 als Soldaten an die Front, wo ein Kopfschuss ihm fast das Leben kostete. Während der Genesung gestaltete Kokoschka seine traumatischen Erfahrungen als Drama und machte sich dabei zum Orpheus, Alma zur Eurydike.

Als Kokoschka sich eine Vertonung seines 1921 uraufgeführten Dramas wünschte, wurde ihm Krenek als Komponist vorgeschlagen. Dieser sagte zu, obwohl er den Text für „expressionistisches Blabla“ hielt. Aber die dahinterstehende Liebesgeschichte interessierte den Schwiegersohn Alma Mahlers. Er kürzte diese psychoanalytische Interpretation des alten Mythos, die um das aus „Lohengrin“ übernommene Frageverbot kreist und Orpheus im Wahnsinn enden lässt, und komponierte sie. 1926 wurde Kreneks Oper erfolgreich in Kassel uraufgeführt, bis schon ein Jahr später der viel größere Erfolg von „Jonny spielt auf“ sie in Vergessenheit geraten ließ.

Lothar Zagrosek hat sich immer wieder für vergessene und verboten Bühnenwerke eingesetzt. 1990 dirigierte er „Jonny spielt auf“ für die Leipziger Oper und für die CD-Serie „Entartete Musik“. In der von ihm am Konzerthaus Berlin initiierten Reihe konzertanter Opernaufführungen „mit Szene“, in der zuletzt „Die Vögel“ von Walter Braunfels zu erleben waren, folgte nun sein Plädoyer für Kreneks „Orpheus“. Die Proben erwiesen sich als Zitterpartie, denn als Folge des strengen Winters hatten die Gesangssolisten gleich reihenweise abgesagt. Von neun Partien mussten fünf kurzfristig neubesetzt werden. Claudia Barainsky übernahm erst drei Tage vor der Premiere den anspruchsvollen, ihr bislang unbekannten Part der Psyche; umso höheres Lob verdient ihre großartige Leistung. Auch Daniel Kirch (Orpheus) und die ausdrucksstarke Brigitte Pinter als Eurydike waren kurzfristig eingesprungen.

Zagroseks Ziel war es, die komplexe Oper dem Publikum möglichst verständlich zu präsentieren. Dazu wurden auf ein hohes Gerüst, auf dem alle Mitwirkenden platziert waren, zentrale Textausschnitte projiziert. Sparsam eingesetzte Videos (Jan Speckenbach) unterstrichen die emotionale Grundhaltung der Szenen. So sah man am Anfang, wenn Orpheus und Eurydike sich ihre Liebe versichern, eine Kussszene aus einem Hollywoodfilm. Zeitlupenaufnahmen vom Tod einer Giraffe korrespondierten dem Gang in die Unterwelt, in der Eurydike stirbt. Vor allem griff der Regisseur Karsten Wiegand die autobiographische Dimension des Dramas auf.

Kokoschka hatte seine traumatische Liebesaffäre auch dadurch verarbeitet, indem er eine Alma-Puppe herstellen ließ, die er schließlich „ermordete“, um sich von dieser Last zu befreien. Diese rituelle „Tötung“ einer eigens dafür hergestellten Puppe wurde nun nachgestellt und auf die Leinwand projiziert, was das Grundmotiv der Oper verdeutlichte.

Zu Recht hat der Komponist seine Musik zu „Orpheus und Eurydike“ viel höher eingeschätzt als die zum „Jonny“. Sehr unterschiedliche Stilebenen zwischen Tonalität und Atonalität unterstreichen die Handlung. So wird das Inferno, wie von Kokoschka vorgeschlagen, durch mechanische Repetitionen zum Ausdruck gebracht. Der glücklichen Vereinigung von Amor und Psyche entsprechen dagegen konsonante helle Streicherakkorde. Trotz gelegentlich drastischer Klangwirkungen bei dramatischen Schaltstellen stellte das Konzerthausorchester nie die Vorherrschaft der deutlich deklamierenden Gesangsstimmen und des Chores in Frage. Diese gelungene Ausgrabung macht neugierig, dieses Werk auch wieder einmal auf einer Opernbühne zu erleben.

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