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Stefan Vinke als Alviano Salvago und Manfred Fink als Menaldo Negroni in der Kölner „Gezeichneten“-Inszenierung. Foto: Klaus Lefebvre
Stefan Vinke als Alviano Salvago und Manfred Fink als Menaldo Negroni in der Kölner „Gezeichneten“-Inszenierung. Foto: Klaus Lefebvre
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Autoschrottwerkstatt, von Publikum und Klangebenen quadrophon umgeben: Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ in Köln

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Lange hat es gedauert, bis sich Köln – nach den Nachbarstädten Düsseldorf („Die Gezeichneten 1987) und Bonn („Irrelohe“ 2010; „Der ferne Klang“ 2011 ) – einer Oper jenes Komponisten erinnert hat, der in den Zwanzigerjahren wiederholt mit bis zu drei seiner Opern pro Saison auf dem Kölner Spielplan vertreten war. Franz Schrekers vor 95 Jahren in Frankfurt uraufgeführtes Renaissance-Drama über einen hässlichen Außenseiter hatte nun in der Ausweichspielstätte Palladium der Kölner Oper Premiere.

Alviano Salvago, der sehnsuchtsvolle Krüppel, der zur Kompensation seines Gezeichnetendaseins auf der Insel Elysium ein Reich der Schönheit geschaffen hat, ist – wie in den vorangegangenen Inszenierungen von Franz Schrekers vierter Oper seit deren kontinuierlicher Wiederbelebung – auch in Köln kein genuesischer Renaissancemensch. Zu den süffig berauschenden Klängen des Vorspiels deponiert Alviano eine Leiche im Kofferraum eines verstaubten Autos und lauert einem rauchenden Freudenmädchen in deren Appartement auf, um ihr die Kehle durchzuschneiden. Diese Aktionen erweisen sich als zeitgleich überlagerte Antizipationen des Endes: im Affekt wird Alviano seinen Nebenbuhler, den Schönling Tamare, erstechen und hier obendrein Carlotta umbringen.

In der Neuinszenierung ist Alviano proletarisch und unschön, wenngleich nicht verwachsen, aber als Inhaber einer Autowrackverwertung durchaus nicht arm. Er träumt sich in die Epoche der Renaissance, so dass seine adeligen Freunde, die das Elysium für Verschleppungen junger Frauen und für Lustmorde missbrauchen, zunächst in historischen Kostümen auftreten, – ebenso seine Haushälterin wie auch der Podestá und dessen Tochter Carlotta. Zusätzlich kreuzen elf historisch gewandete Damen die Szene, die sich sukzessive ihrer Halskrausen und ihrer Oberteile entledigen.

Auch Carlotta ist offenbar nur eine von Alvianos Projektionsflächen. Hier ist sie weder psychosomatisch herzkrank, noch bei ihrer Arbeit als Malerin zu erleben, und sie küsst Tamare bei der ersten Begegnung sogleich leidenschaftlich (was dessen Absicht, sie notfalls zu vergewaltigen, ad absurdum führt). Als der Herzog bei ihr für Tamare wirbt, geht Carlotta mit dem Regenten ins Bett. Allerdings verbrennt sie die Geldscheine, mit denen er ihre Liebesleistung vergütet. Hingegen sind exzessive Momente der originalen Spielvorlage, wie jene zwischen Pietro (Ralf Rachbauer) und Martuccia, zu Commedia-Szenen verharmlost; vielleicht auch, weil Martuccia (Katrin Wundsam) hier die Sätze diverser Dienerinnen mit zu übernehmen hat, somit nicht dem Messer des Bravos zum Opfer fallen kann.

Da sich das Opernhaus im Umbau befindet, hat der seit seinem Kölner Regiedebüt hier zum zweiten Mal auch Regie führende Designer Patrick Kinmonth (gemeinsam mit Drako Petrovic) im Palladium, einer historischen Werkhalle im Mülheimer Schanzenviertel, eine Autowerkstatt angesiedelt. Umgeben ist die zentrale Spielfläche von zwei hochgebockten Häusern, den Etagenwohnungen von Carlotta und Aviano, sowie zwei sich gegenüberliegenden Zuschauertribünen.  Die Einheitsdekoration wird im dritten Akt mit zahlreichen ungerahmten Bildern des selben Formats zu einer Gemäldeausstellung abstrakter Malerei. Aufgrund zu großer Entfernung des Elternpaares (Astrid Schubert und Christian Miedl) geht Schrekers Witz über deren unterschiedliche Erziehungsmethoden verloren, aber auch der anschießende Tod ihres Kindes (Sebastian Kellner) bleibt unklar.

Bei der Episodenszene des reichen Mädchens und des armen Jünglings wurde in Köln die zensurbedingt veränderte Textvariante Schrekers gewählt, im Gegensatz hierzu aber erfolgte das Spiel, kulminierend in der zuckenden körperlichen Vereinigung des Paares, wodurch das „Komm, komm!“ des Mädchens eine neue Bedeutung erhält. Choreographisch vervielfacht ist die Szene des antiken Festzuges, mit dem verlarvten Tamare und der sich ihm hingebenden Carlotta. Die Befragung des Angeklagten nimmt der Capitaneo mit Stabtaschenlampe vor. Da Alviano in der Kölner Neuinszenierung aber bereits von Beginn der Handlung an Momente von Geisteskrankheit gezeigt hat, bleibt ihm am Ende nicht mehr die Flucht in den Wahnsinn. Wie weiland Paul in Götz Friedrichs Inszenierung von Korngolds „Die tote Stadt“, erschießt er sich auf dem letzten Ton.

Kanonisch greift Kinmonths Inszenierung Topoi anderer „Gezeichneten“-Inszenierungen seit der Wiederaufführung auf: wie 1979 bei Hans Neuenfels (und 2010 in Palermo bei Graham Vick) steigen die Adeligen aus Autos, wird das Gemälde Alvianos mit einem Messer zerstört, ist „die Acht“ achtköpfig und werden die Choristen aus Sympathie zu Alviano selbst zu Gezeichneten; allerdings bleibt deren Rigoletto-Parodie nunmehr nur ein kurzer Moment, und die Acht sind in Köln nicht die Ehefrauen des mormonischen Herzogs wie bei Neuenfels, sondern acht heutige Polizisten. Und wie manche Frauen in Neuenfels’ Tivoli-Elysium als Pasolini-Zitat an Hundehalsbändern geführt wurden, so hier das Double der Ginevra Scotti (Aneta Hollá). Selbst Lehnhoffs Salzburger Inszenierung zitiert der Regisseur als Ausstatter, mit durchsichtigen Bustiers der Damen, wie auch der Carlotta. Und einmal erfolgt – wie 2010 in Los Angeles – eine die gesamte Szene erfüllende Gemälde-Projektion. 

An der Seitenwand der Halle ist das Gürzenich-Orchester positioniert, die Streicher zu ebener Erde, darüber spielen die Bläser und noch weiter oben, etwas abgeschirmt, die Schlagzeuger. In Partituren von Detlev Glanert hatte der Dirigent Markus Stenz wiederholt die Nähe zu Franz Schrekers Klangwelten aufklingen lassen. Da durfte man nun auf das Original besonders gespannt sein. Stenz schwelgt in Schrekers Klangrausch, gleichwohl muss er – raumbedingt –abdämpfen, so dass manche Momente im Klangteppich – etwas das Tamtam am Ende des Vorspiels – kaum hörbar sind. Durch Verteilung der Bühnenmusik auf alle Seiten des Theaterraums ergeben sich spannende, quadrophone Effekte. Gleichwohl nimmt der Abend sukzessive an Intensität ab. Die Atelierszene ist hier nicht der Höhepunkt des nahtlos an den ersten Akt gefügten zweiten Aktes, optisch ungut verstärkt durch das Einschlafen Alvianos während Carlottas Bericht über die Psychographik gemalter Hände. Auch der dritte Akt der vertikal ungekürzten Partitur bringt in Köln keine echte Steigerung. In Koinzidenz mit dem Fehlen der glühenden Sommernacht vermag deren Flirren auch das Orchester kaum zu versinnlichen.

Dabei wird größtenteils sehr gut gesungen. Die rundeste vokale Leistung, bei textklarer Artikulation, gelingt dem finnischen Bassisten Jyrki Korhonen in der – trotz hochkarätiger Besetzung stimmlich zumeist problematischen – Rolle des Podestá. Nicht ganz sicher in ihrer Partie, aber darstellerisch überzeugend, vokal sauber und differenziert, gestaltet Nicola Beller Carbone seine Tochter Carlotta. Kraftvoll charakterisiert Stefan Vinke den Alviano, kernig Simon Neal den Tamare und warm timbriert Oliver Zwarg in der von Schreker vorgesehenen Doppelung von Herzog und Capitaneo di Giustizia. Trefflich besetzt sind die adeligen Mörder (Martin Koch, Manfred Fink, Marcello de Souza Felix, Young Doo Park und Yorck Felix Speer) und die Senatoren (Alexander Fedin, Leonard Bernad, Lukas Singer), die zum Teil auch in weiteren Solorollen, etwa als Kunst-Handwerker, zu erleben sind. Eindrucksstark in der Ferne und auf der Bühne die von Andrew Ollivant einstudierten Chöre.

Merkliche Ratlosigkeit, auch ablesbar am zaghaften Applaus, herrschte zur Pause. Danach gab es in dem auch auf seitlichen Emporen das Bühnengeschehen umringenden Publikum vermehrt freie Plätze. Trotz der Übertitelung auf mehreren Monitoren, vermochten offenbar nur jene, denen diese Oper bereits anderweitig geläufig ist, der vielschichtigen Handlung zu folgen. Die Verfremdung durch zeitgleiche Parallelwelten trug nicht zur Erhellung bei, sondern erschwerte das Verständnis. Beim nicht sonderlich emphatischen Applaus am Ende des Abends gab es jedoch keine Missfallensäußerungen.

Weitere Aufführungen: 25., 27. April, 2., 5., 12., 18. Mai 2013.

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