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Anatstasia Melnik als Ameise Annabelle in Christian Josts „Mikropolis“. Foto: Wolfgang Silveri
Anatstasia Melnik als Ameise Annabelle in Christian Josts „Mikropolis“. Foto: Wolfgang Silveri
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Berliner Insektenvolk mit Migrationshintergrund: Uraufführung von Christian Josts „Mikropolis“ an der Komischen Oper Berlin

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Im Juni 2009 hatte der Komponist Christian Jost an der Komischen Oper Berlin großen Erfolg mit der Uraufführung seines „Hamlet“. Damals bereits soll er geäußert haben, er würde sehr gerne etwas Theatrales für Kinder schreiben. Der scheidende Intendant Andreas Homoki ermöglichte ihm – als durchaus verwandte Nachfolge-Premiere zu Janáceks „Schlauem Füchslein“ – die Realisierung dieses Wunsches: als sein eigener Interpret am Dirigentenpult hob Jost seine „abenteuerliche Insektenoper“ aus der Taufe – und führte „Mikropolis“ für Jung und Alt und für sich selbst zu einem vollen Erfolg.

Die Geschichte, die Michael Frowin in ein Libretto gepackt und witzig gereimt hat, ist rasch erzählt: Ein Tornado verschlägt Grille Gesine aus dem grünen Umland in die Hauptstadt Berlin und eröffnet bei deren Insekten Sehnsucht nach einer alternativen Lebensform. Einige, denen das neue Gedankengut unbequem ist, wollen sie in einem Laubsauger entsorgen, aber Gesine wird aus der Monstermaschine gerettet und führt die Großstadt-Freunde ins „Wiesenparadies“.

Für die moderne Rousseau-Variante hat sich Jost eine ganz zauberhafte, durchwegs tonale Musik einfallen lassen. Beginnend mit einem deutlichen „Mahagonny“-Bezug, also Weill-Klängen, bei der Rundfunkwarnung vor dem Tornado, mit sanglichen Blechbläserchören und Schlagwerk-Drive zumeist nahe am Musical-Sound, und doch mit bewusst gewähltem Tiefgang.

Originell in der Orchestrierung von Bläsern und Streichern, mit Harfe, Gitarre, Xylo- und Vibraphon, zeichnet der Komponist das Leben in der Metropole mit Jazzelementen, charakterisiert in bester komischer Cornelius-Nachfolge exotische Tiere, Krokodile und das Trompeten von Elefanten. Nach langen durchkomponierten Passagen gönnt er dem Orchester Ruhepunkte, um den Witz in unbegleitetem Dialog zu seinem Recht kommen zu lassen. Einen leider all zu kurzen, aber nachhaltigen orchestralen Höhepunkt der beim Verlag Schott veröffentlichten Partitur bildet das klangvolle Zwischenspiel nach dem Abflug der Insekten zur Rettungsaktion.

Als Programmbuch erhalten die Besucher der Komischen Oper Berlin das ebenfalls bei Schott erschiene Hardcover-Bilderbuch, in dem der Berliner Autor und Kabarettist Michael Frowin die Geschichte dieser Oper nacherzählt. Leider reicht die Ausstattung von Esther Bialas nicht an die liebenswerten Illustrationen von Jöelle Tourlonias heran. Die Kostüme sind einfallsreich, etwa die parallel geführten zweiten (künstlichen) Arme der Ameise Annabelle (Anastasia Mellnik), oder die zahlreichen Leuchtpunkte im Glitzerkostüm des Glühwürmchens Finn (Anna Borchers). Aber der Bühnenraum mit drei fahrbaren Quadern als Berliner Hochhäusern und ein blinkender, flacher Alex-Fernsehturm im Hintergrund erinnern an billig produzierte TV-Sendungen der 60er-Jahre. Das „Rückspiegel-Surfen“ der Insekten bleibt ohne szenisches Äquivalent. Noch weniger entschädigt das Paradies der grünen Wiese, wofür die – vordem die Bühnenecken markierenden – großen Löwenzahn-Blumen durch Edelweiß-Köpfe an Schwingseilen und durch grünes Licht ergänzt werden. Wirkungsvoll sind jedoch die großen Spielrequisiten Apfelbutzen, Zigarettenstummel und Maiskolben.

Nadja Loschky hat in ihrer Inszenierung die Protagonisten verdoppelt durch Pantomimen für Artistik, Tanz und Breakdance (Choreographie: Zenta Haerter) und ist selbst als Double der Fliege eingesprungen. Die stärksten Momente hat ihre Inszenierung bei naivem Zauber, etwa wenn alle Darsteller von der Vorbühne bäuchlings unter dem Hauptvorhang auf das lugen, was sich dahinter verbirgt.

Besonderen Publikumszuspruch erntet Peter Renz für den wohl ursprünglich für einen asiatischen Sänger konzipierten, ängstlich angepassten Marienkäfer Kung, der ständig seinen Vornamen Karl und seinen Migrationshintergrund betont. Und die barfuß daher kommende Erika Roos als Grille Gesine obsiegt in der Handlung, wie mit ihrer dramatischen Stimmgebung und mit ihrem Charme. In Berliner Türkendiktion gestaltet Matthias Siddharta Otto die Stubenfliege Kostas und singt den Alltagsfliegenblues in ein bereit gehaltenes Mikrofon. Dass die über ihr Dasein als Eintagsfliege jammernde Stubenfliege am Ende erkennt, doch schon mehrere Tage zu leben, mag als ein klug konstruiertes gutes Omen für die neue Oper selbst gelten, die diesmal ohne Übertitel in den Vordersitzen läuft. Ihr Hauptzielpublikum sind (offenbar noch lesensunkundige) Kinder, die mit dieser Produktion gleichwohl trefflich an Haus und Kunstform Oper herangeführt werden können.

Et vivant sequentes!
 

Weitere Aufführungen: 2., 14. November, 4., 13., 16., 19., 26. Dezember 2011, 17., 18. Februar 2012

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