Hauptrubrik
Banner Full-Size

Bleibt uns mit den alten griechischen Problemen vom Hals! Manfred Trojahns Oper „Orest“ in Amsterdam

Publikationsdatum
Body

Kurz und knapp war der Beifall in het muziertheater, erheblich die Ratlosigkeit in den Gesichtern. Das Publikum fragte sich womöglich, was ihm das Gehörte und Geschaute bedeuten solle. In Amsterdam war Manfred Trojahns „Orest – Musiktheater in sechs Szenen“ präsentiert worden. In der Vergangenheit hatte der Hochschullehrer aus Düsseldorf das Opernpublikum mit einem heiteren Konversationsstück über Kaiser Heinrich IV. ergötzt („Enrico“ nach Luigi Pirandello, Schwetzingen 1991); hatte dann die Shakespeare-Fortschreibung „Was ihr wollt“ kredenzt (München 1998) und, wiederum gestützt auf die mediterrane Italianità Pirandellos, 2003 in Köln mit „Limonen aus Sizilien“ eine außerehelich angereicherte Familiensaga serviert.

Zuletzt wurde Trojahn im Auftrag der Niederländischen Nationaloper mit tiefem Ernst tätig. Er arrangierte sich selbst den Text für eine Arbeit an griechischem Mythos – von den Komponisten selbstgestrickte Libretti sind im Jahr 2011 eine grenzüberschreitend verbreitete Modeerscheinung. Gut genährt wurde der niederrheinische Kunsthandwerker beim Schreiben seines „Orest“ vom Glauben, es gäbe „Exponate unserer Kultur, die eine immerwährende Relevanz haben“ – und erkennbar suchte sein volltönender Tonsatz von der „Wucht“ historischer Vorlagen zu profitieren (vornan von Format, Intonation und Dynamik des mittleren Strauss und des späten Wolfgang Rihm).

Mit der Euripides-Adaption, die auch an der Staatsoper Hannover herauskommen soll, will Trojahn seiner Kundschaft glauben machen, der nach Mykene zurückgekehrte Prinz, der die Mutter samt deren peinlichen Bett- und Throngenossen aus der Welt schafft und dadurch zum Staatsoberhaupt avanciert, sei eine „sehr heutige Figur“. Dass er im Sinne des gegenwärtig gültigen Strafrechts ein Krimineller ist (wenn auch aus der Oberschicht), scheint dem Dichterkomponisten entgangen zu sein. So avanciert Trojahn gleichsam zum Staatstrojaner unserer Tage.

Orests Schwester Elektra (Sarah Castle) und der Onkel Menelaos (Johannes Chum) nebst dessen Gattin, die ehedem schöne Helena (Rosemary Joshua) gaben Trojahn Anlass, „die Welt zu verstehen“. Genau das will ja auch die auf Computern von „Verdächtigen“ installierte Spionage-Software. Doch anders als die Sicherheitsbehörden möchte Trojahn, wie er in seinem zur „Orest“-Uraufführung verfassten Text „Neue Linien“ unterstreicht, „nur das Wesentliche poetisieren und in der Fokusierung den größtmöglichen Platz für den singenden und spielenden Menschen auf der Bühne schaffen.“ Auch wenn alle Kunstwerke zeitbedingt sind und bleiben, ist unter den im Dienste Trojahns singspielenden Menschen Hermione, die naive Tochter Helenas, mit ihrer kleinen Rolle womöglich so etwas wie eine „zeitlose“ Figur.

Die Sprache der neuen deutschen „Linien“ erscheint monumental – der Dirigent Marc Albrecht unterstreicht das Flächige mit de Nederlands Philharmonisch Orkest. Trojahns Verlautbarung in eigener Sache, die ihren Autor schon vor der Erprobung durch das Theater in eine Reihe mit dem größten altgriechischen Tragödendichter, mit Hofmannsthal und Nietzsche rückt, verrät nicht eben Mangel an Selbstwertgefühl oder gar Skrupel. Der Brenner des Romanautors Wolf Haas würde angesichts dieser Suada, die davon schwärmt, dass „uns“ das Theater ggf. „heil entlasse“, eher unwillig murmeln: „Breitmaulfrosch Hilfsausdruck“. Nein, das Theater ist keine Einrichtung des Gesundheitswesens (wird ja auch aus guten Gründen nicht von den Krankenkassen finanziert).

Der Librettist Trojahn spreizt die Sprache, als blicke ihm Stefan George über die Schulter, „Apollos beinerner Bogen taugt mir nicht“, klagt der angeblich ganz „heutige“ Orest gegenüber dem aus der Versenkung auftauchenden Gott – und in Hinblick auf die vorteilhafte, aber psychisch nicht folgenlose Tötung der Mutter: „Den Vater zu rächen zwangst du mich tückisch“ (na denn, wenn wieder die Götter an den Taten der Täter schuld sind, kann man sich die teure irdische Gerichtsbarkeit sparen …). Zum Onkel sagt Orest, den Dietrich Henschel als hyperchondrisches Sensibelchen gibt: „Und käme Rettung nicht von dir, müßte neues Morden mir den Weg bereiten“ – heutige Amokläufer sprechen den Medienberichten zufolge eine gefährlichere Prosa. Die in Rachephantasien abgedriftete Elektra weist die neuerliche Kontaktaufnahme von Tante Helene zurück mit den Worten: „Weib, weißt du, was du sagest?“ Ganz von heute! (Vorschlag zur Ungüte: „Alte Schlampe, du bist doch nicht ganz richtig im Kopf“) etc. etc.

Der umtriebige Autor aus dem Hinterland der Literaturoper schrieb zu seinem hart an der unfreiwilligen Komik-Grenze vorbeischrappenden Text eine volltönende Musik, die aus einem Schrei erwächst. Ferne Geigen greifen das Signal auf und vielfältig wiederholt ein Geisterstimmenchor den Ruf nach (oder gegen) „Orest“. Der weitere Verlauf des Sechs-Personen-Stücks bringt die Angstträume des Bluträchers an den Tag und den Hader mit Apollo, dem Finnur Bjarnason Statur verleiht. Die Szenenfolge beleuchtet den Besuch der alten Tante bei Orest und dessen Verhältnis zur Schwester, die das Recht auf ihrer Seite wähnt, dabei einen allzu subjektiv zurechtgerüttelten Begriff der Rechtsförmigkeit pflegt und zu weitergehender Familienplanung mit dem Hackebeil rät. Die beiden Geschwister werden von Menelaos zur Flucht aufgefordert, da man sie „in der Stadt“ bereits zum Tod durch Steinigung verurteilt habe. Aber unerklärliche Kräfte lähmen Orest, der am Ende, bevor Romy Petrick als „zarte“ Nichte „Orest, Orest“ ruft, erklärt, dass er nicht der sei, der er sein sollte. Zuvor hatte er das Weibsbild, das er für eine Widergängerin der Mutter hielt, mit dem Schlagbohrer ruhig gestellt (so, wie eben Zombies erledigt werden) – und Elektra hatte ihm dabei das Kabel gehalten.

Überhaupt sorgte Katie Mitchell für eine permanente Belebung der Bühne. Da ist die Spurensicherung an der Arbeit, vor allem im Obergeschoss von Giles Cadles Bühnenarchitektur, wo das Blut der Mutter und ihres Aegisth ergiebig an die Wand spritzte, sich auch die Matratze intensiv rot tränkte. Darunter findet sich jene Art von Wohnwelt des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die inzwischen die Verkleinbürgerlichung der historischen oder mythologischen Gestalten und Figuren standardmäßig rahmt. Im Westen nichts Neues.

Das gilt schließlich auch für die Musik, die so ganz und gar die Hauptsache sein wollte und doch auf dem Theater stets teilen muss mit Wort und Bild (es sei denn, der Geist bekommt einen Maulkorb verpasst). Der Grundgestus des volltönenden, erkennbar dicht an Richard Strauss angelehnten Tonsatzes tut so, als wäre noch immer oder schon wieder 1911 (dabei, liebe Leute, schreiben wir in Kürze 2012!); freilich fehlt die Raffinesse der motivischen Arbeit und mitunter auch die Delikatesse – vorwaltend sind breite Pinselstriche des Plaktiven und ein langes Paukensolo erweist sich als besonders wuchtig (sooo groß können Gefühle sein, dröhnt es). War der mit gutem Appetit auf alles Mögliche ausgestattete Meister in Garmisch ein Gourmet, mag einem Trojahn mit seinen allemal platt-effektiven Effekten als Gourmand vorkommen. Die kompositorischen Mittel seiner aufgedunsenen Kammeroper wurden gegenüber „Enrico“ an den Rändern modernisiert (Kunststück! Nach 20 Jahren eine gewisse Reaktion auf das zu zeigen, was auch andere Hersteller neuer Opern auf der Pfanne haben ...).

Im Kern wie im Resultat bleibt der Amsterdamer „Orest“ als auf die Gegenwart gerichtetes Theater-Projekt verfehlt: Blutrache, es hat sich inzwischen herumgesprochen, schadet nicht nur der Umwelt des selbsternannten Rächers, sondern ggf. auch diesem selbst. Die einschlägige Gesetzgebung in den EU-Staaten erklärt diese früher mehr als heutzutage gepflegte Form der Familienplanung für unerwünscht; auch Nervenärzte und Apotheker weisen in der Regel auf die Risiken und Nebenwirkungen hin. Man bleibe uns bitte wenigstens fürs erste mit den prähistorischen griechischen Problemen von Hals und Ohr. Die neueren genügen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!