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Blick in Nachbars Garten: eine Konzertreihe im Pariser Goethe-Institut

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Marion Lénart, Harfenistin im Ensemble 2e2m, wendet sich ans Publikum: „Bevor ich anfange zu spielen, möchte ich Ihnen kurz die Geschichte meines Instruments erläutern“. Klingt nach hausbackenem Volkshochschulseminar. Stattdessen beginnt im Saal des Pariser Goethe-Instituts eine poetische Zeitreise, die mehrmals in die Vergangenheit und wieder zurück in die Gegenwart führt.

Rückblende: Lénart sitzt an ihrem Instrument, ein Spotlight taucht sie in helles Licht. Aus Lautsprechern dringt überscharfes Knistern einer Schallplattennadel, alte Aufnahmen des berühmten Harfenisten Carlos Salzedo erklingen, und die sanft verbogene  Intonation ruft die melancholische Aura des Vergangenen hervor. Szenenwechsel: die Musik stürzt ab, als hätte jemand den Stecker gezogen, man ist wieder im Hier und Jetzt, und Marion Lénart wieder sie selbst. Das unterstreicht sie durch elektronisch verstärkte und verfremdete Klänge, die sie auf den Saiten und dem Korpus erzeugt.

Wieder ein Zeitsprung, wieder der nostalgische Blick zurück. Dank einer Folie hinter den Saiten wandelt sich die Harfe zur Leinwand. Altes Filmmaterial flimmert darüber, man sieht eine Harfenistin beim Spiel. „Before playing“, spricht sie in die Kamera, „I will give you a short outline of the history of my instrument“ und preist dann Sébastien Erard für seine Erfindung der Doppelpedalharfe. Marion Lénart grüßt ihre Zelluloid-Kollegin mit zartem Pedalspiel – mehr Geräusch als Ton.

Simon Steen-Andersen verschränkt im 2011 entstandenen „History of my instrument“ Vergangenheit und Gegenwart auf zauberhafte Weise miteinander. Zurzeit hält sich der dänische Komponist als Stipendiat des Künstlerprogramms des DAAD in Berlin auf. In den Genuss dieser Förderung sind auch die anderen im Programm dieses Abends vertretenen Komponisten irgendwann einmal gekommen: Ondrej Adámek im Jahre 2010, Fabien Lévy 2001, Gérard Grisey 1980. Sie alle suchten Inspiration im Nachbarland, schauten sich gewissermaßen in Nachbars Garten um. „Le jardin d’en face“, so heißt denn auch die Veranstaltungsreihe, die vom Goethe-Institut, dem Ensemble 2e2m, dem DAAD, dem deutsch-französischen Musikfonds „Impuls“, „La Muse en Circuit“ und einem der sechs französischen „Centres nationaux de création musicale“. Der Blick in Nachbars Garten – das gilt auch für den kürzlich verstorbenen Hans Werner Henze, dem Deutschland in den fünfziger Jahren fremd wurde, der aber 1964 als Wahlitaliener und Stipendiat des Künstlerprogramms in die geteilte Stadt kam.

Er ist mit seinen „Neuen Volkslieder und Hirtengesänge“ für Fagott, Gitarre und Streichtrio vertreten. Die dicht gesetzten, feingliedrigen Miniaturen werden von Medi Al Hammami, Fagott, Didier Aschour, Gitarre, Jasmine Eudeline, Violine, Claire Merlet, Bratsche, und David Simpson, Violoncello, mit großer Sorgfalt ausgeführt. Gérard Griseys „Anubis et Nout“ für Bass-Saxophon führt in die Klangwelt der französischen Spektralisten. Pierre-Stéphane Meugé versenkt sich mit stupender Anblas- und Überblastechnik in die Obertonforschungen, die einigen meditativen Reiz besitzen, aber auch die Gefahr der Ermüdung bergen. Als hintersinnige Musik in den Umbaupausen fungiert Ondrej Adameks „Die Zeit rennt“. Dieser Satz, gesprochen in verschiedenen Sprachen, dient Adamek als Material für eine kurzweilige Klangcollage.

Unterhaltsamer ist da die kleine Farce für Bariton und Fagott, der Fabien Lévy, ab Oktober Kompositionsprofessor in Detmold, den Titel „Dr. B.“ gab. Das ist jener Schachspieler aus Stefan Zweigs „Schachnovelle“, der an einer „Schachvergiftung“ leidet und sein Ich in zwei Personen aufspaltet, um gegen sich selbst spielen zu können. Mehdi Al Hammami, Fagott, und Guillermo Anzorena, Bariton, fechten diesen Zwist auf amüsante Weise aus, der eine mit filigranen Parlandomotiven, der andere mit Gespür für szenischen Witz in einem „Libretto“, das zum Teil aus Zügen einer Partie zwischen den Schachlegenden Karpow und Kasparow besteht.

Die Reihe „Le jardin d’en face“ wird mit einem zweiten Konzert im Dezember am gleichen Ort fortgesetzt, zwei weitere Konzerte im nächsten Jahr sind in Vorbereitung.

Weitere Infos: www.ensemble2e2m.fr, www.goethe.de/paris

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