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Horst Engelhardts Schostakowitsch-Büste in Gohrisch. Foto: Michael Ernst
Horst Engelhardts Schostakowitsch-Büste in Gohrisch. Foto: Michael Ernst
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D-Es-C-H in der Scheune: die 1. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch

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Mit Festivalitis hat das nichts zu tun: Mitten in der Sächsischen Schweiz startete das weltweit einzige ausschließlich Dmitri Schostakowitsch gewidmete Musikfest. Über den Grund dafür wurde an dieser Stelle bereits berichtet: Der sowjetische Komponist besuchte den Kurort Gohrisch vor genau einem halben Jahrhundert zum ersten Mal und komponierte in nur drei Tagen sein 8. Streichquartett g-Moll op. 110.

Im Jahr 1972 kehrte er noch einmal an den Entstehungsort des Legende gewordenen Kammerstücks zurück, diesmal gemeinsam mit Gattin Irina. Die Witwe war nun die allseits gefeierte Hauptperson der 1. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch. Doch im Mittelpunkt stand die Musik von Dmitri Schostakowitsch.

„Fünf Tage – fünf Nächte“. Diese erste Koproduktion von Defa und Mosfilm wurde im Sommer vor genau fünfzig Jahren in und um Dresden gedreht. Die Stadt war damals noch stark vom Krieg gezeichnet, hatte aber die Kunstschätze ihrer Galerien zum größten Teil bereits zurückerhalten. Um deren Rettung unmittelbar nach Kriegsende geht es in dem reichlich propagandistischen Film von Regisseur Lew Arnstam. Offenbar haben die Geschehnisse vom Mai 1945 auch eineinhalb Jahrzehnte später noch einer Rechtfertigung bedurft.

Die Filmmusik dazu sollte Dmitri Schostakowitsch schreiben. Der weilte im Juli 1960 drei Tage lang in Sachsen, besichtigte den Dreh und war im neu geschaffenen Gästehaus der DDR-Ministerrats in der Sächsischen Schweiz einquartiert. In der dortigen heilen Welt schuf er nicht das bestellte Auftragswerk, sondern ging kompositorisch ganz in sich. Die landschaftliche Idylle, vor allem aber konkrete biografische Ereignisse – Depressionen und Selbstmordgedanken im Zusammenhang mit dem quasi erzwungenen Parteieintritt, den er sich selber wohl niemals verzieh – dürften Pate für das entstandene Werk mit den immer wieder in Notenschrift wiederkehrenden Initialen D-Es-C-H gestanden haben.

Grüner Hügel von Gohrisch

Drei Tage, drei Nächte. Ein halbes Jahrhundert nach diesem filmisch bedingten Aufenthalt ist aus der historischen Begebenheit ein internationales Festival avanciert, das nicht den Filmtitel, sondern die Dauer des ersten Besuchs bedient. In dem Ort, der seit Juli 2010 als einziger in Deutschland eine postalische Adresse besitzt, die nach Schostakowitsch benannt ist, gibt es nun auch das weltweit einzige Festival, das sich ausschließlich der Musik von Dmitri Schostakowitsch widmet. Von 10. bis zum 12. September währten die 1. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, die aus einem irrwitzig erscheinenden Idealismus entstanden sind, der bis zuletzt beinahe größenwahnsinnig gewirkt haben musste.

Der Erfolg ist schier gigantisch: Ausverkaufte Konzerte, internationales Publikum, überragende Medienpräsenz. Was da auf dem Grünen Hügel von Gohrisch stattfand, einem Örtchen mit gut zweitausend Einwohnern, das kann sich gut mit gestandenen Festivals messen. Freilich mit dem nicht zu vernachlässigenden Unterschied, dass hier etwas zum ersten Mal stattfand, also nicht über Jahre und Jahrzehnte gewachsen ist, und vor allem ohne stattliche Fördertöpfe auskommen musste. Denn die Zeit zwischen Idee und Umsetzung war einfach zu kurz, um durch die Instanzen getragen und wohlwollender Prüfung unterzogen zu werden.

Bei aller Kürze war das Resultat freilich immens. Die Initiatoren dieses Festivals, einerseits die Mitstreiter vor Ort, andererseits viele Mitarbeiter der Sächsischen Staatskapelle und insbesondere deren Konzertdramaturg Tobias Niederschlag, der als Künstlerischer Leiter die vielen Fäden zusammenhielt, mögen vom Erfolg ihrer Idee wohl selbst überrascht gewesen sein. Binnen Jahresfrist wurde ein Verein mit Gohrischs Bürgermeister Tom Vollmann als Vorsitz gegründet, der rasch die gesamte Gemeinde auf Schostakowitsch und dessen Musik eingestimmt hat. Für die Veranstaltungen ist eine Scheune der Agrargenosssenschaft als Konzertsaal hergerichtet worden. Mit stimmiger Logistik und selbstausbeuterischem Marketing wurden die drei Tage in Gohrisch zu einem vielbeachteten und erstaunlich gut besuchten Fest, das internationale Gäste anzog und es sogar in die Nachrichten geschafft hat.

Die Partitur am Herzen

Natürlich stand das 8. Streichquartett an zentraler Stelle im Programm. Diese einzige außerhalb seines Heimatlandes geschriebene Musik ist ein höchst verinnerlichtes Werk und zugleich eines mehr, in dem die Initialen von D-Es-C-H in Noten geflossen sind. So konsequent wie in dieser vielfach gedeuteten Komposition – parteiische Doktrinäre wollten darin den Bombenfall auf Dresden gehört haben – ist den biografischen Spuren im Werk des Künstlers sehr selten nachgegangen worden.

Natürlich gab es aber auch die ebenfalls bereits 1960 von Rudolf Barschei erarbeitete kammersinfonische Fassung des Quartetts. Der Weggefährte und einstige Schüler von Schostakowitsch musste sein Dirigat der Staatskapelle krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Er bekam, wenn auch in Abwesenheit, wie vorgesehen den frisch gestifteten 1. Internationalen Schostakowitsch Preis Gohrisch. Und, eine mehr als nur nette Replik, das Preisgeld stellte er der künftigen Arbeit des Festivals zur Verfügung. Für ihn sprang am Pult der Kapelle der russische Dirigent Michail Jurowski ein, der von Kindheitstagen an eng mit Schostakowitsch verbunden war und zudem auch einiges an Repressalien in der Sowjetunion zu spüren bekam. Er führte als wahrer Sachwalter eines genialen Erbes durch das 1. Cellokonzert und die Kammersinfonie für Streichorchester, eine derart ergreifende Interpretation machte den monogrammatischen Impetus nicht nur des D-Es-C-H-Motivs noch einmal tief innerlich spürbar. Langes Schweigen nach dem letzten Akkord – und tosender Beifall, als Jurowski symbolisch die Partitur an sein Herz drückte.

Bewegende Momente gab es in der Konzertscheune, wo im Gegensatz zu anderen Sälen kein einziges Mal in die Sätze geklatscht wurde, einige. Das Dresdner Streichquartett und der 23jährige Pianist Igor Levit eröffneten den Schostakowitsch-Dialog mit dem 1940 geschriebenen Klavierquintett g-Moll, in dem der Ton quälerischer Selbstbefragung schon deutlich anklingt. Zum Finale dieses Kammerabends führte das bestens präparierte Kapell-Ensemble das in Gohrisch entstandene Streichquartett auf – durchgehend intensiv und engagiert, der Genius Loci hat da wohl mitgewirkt – und stiftete zu einer hochkonzentrierten Atmosphäre. Zu diesem Festivalauftakt gab es die Uraufführung eines Auftragswerkes, das mit dem 1943 geborenen polnischen Komponisten und Schostakowitsch-Experten Krzysztof Meyer einem Berufenen in die Hände gelegt worden war. Sein Streichquartett Nr. 13 wurde vom Berliner Sinus-Quartett ausdrucksstark zum Klingen gebracht und gestaltete sich in einer Fülle von besinnungsvollen Momenten wie ein fragendes Rückblicken auf das große Vorbild des Komponisten.

„Der Schmerz des Krieges“

Neben den gefeierten Konzerten, die auch von der hervorragenden Akustik dieser so simplen Scheune lebten, gab es informative Führungen zum Entstehungsort des Streichquartetts und unvergessliche Begegnungen mit Zeitzeugen. Respekt und eine große Verneigung vor Irina Schostakowitsch, der Witwe des Komponisten, die nicht nur bewegend aus dem gemeinsamen Leben berichtete, sondern obendrein mit einer Geste der Wertschätzung überraschte: Sie schenkte eine Plastik des 1931 in Leningrad geborenen Bildhauers Michail A. Zwjagin, deren Titel „Der Schmerz des Krieges“ das Anliegen versinnbildlicht. Das Werk soll in Dresden einen würdigen Platz finden und könnte beispielsweise eine ideelle Brücke nach Petersburg im Osten und Coventry im Westen schlagen, um die drei vom Wahnsinn des Krieges gezeichneten Städte zu verbinden.

Den Ausklang gestalteten Violinist Igor Malinovsky, Cellist Isang Enders (der bereits das Cellokonzert hingabevoll ganz aus dem Geist der Musik zum Blühen brachte) und Pianist Igor Levit drei Schostakowitsch-Sonaten aus verschiedenen Epochen. Sie machten mit exzellentem Vortrag deutlich, dass die internationale Schostakowitsch-Pflege längst hochbegabte neue Sachwalter auch in der jüngeren Generation gefunden hat. Wenn das ein Verdienst der Altvorderen ist, dann haben die ganze Arbeit geleistet.

Auch der Anlass des damaligen Arbeitsaufenthaltes von Dmitri Schostakowitsch, der Film „Fünf Tage – fünf Nächte“, ist in der Konzertscheune noch einmal aufgeführt worden. Ein wohlbedachter Einführungsvortrag von Bernd Feuchtner erhellte den Stellenwert dieses Streifens und der dafür geschriebenen Musik. Ohne diesen Anlass, wer weiß, wäre womöglich ein Schlüsselwerk wie das 8. Streichquartett – Schostakowitsch selbst meinte in einem Brief dazu „Gewidmet dem Andenken des Autors dieses Quartetts“ – nie geschrieben worden.

Festival mit Sinn

Dass daraus fünfzig Jahre später die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch gewachsen sind, dürfte das Interesse an dem 1906 in St. Petersburg geborenen und 1975 in Moskau verstorbenen Musiker einmal neu geweckt haben. Er nimmt zu Recht eine singuläre Erscheinung im kompositorischen Schaffen des vergangenen Jahrhunderts ein und ist von den gesellschaftspolitischen Glaubenskämpfen, von ideologischen Kunstdebatten und von anhaltendem Leid kriegerischer Verbrechen geprägt worden. Eine Wiedergutmachung an dieser Persönlichkeit ist somit nicht losgelöst von einem Appell gegen jegliche Art von Diktatur und menschlicher Unterdrückung zu sehen.

Mit viel Engagement und Enthusiasmus haben die Veranstalter in Gohrisch etwas ins Leben gerufen, auf das sie zu Recht sehr stolz sein dürfen. Nach diesem Erfolg wurde jedenfalls schon selbstbewusst der Termin für die 2. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch bekanntgegeben: 16. bis 18. September 2011. Endlich mal ein Festival, das wirklich Sinn macht.

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