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Das Einfache, das schwer zu machen ist

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Festivals in Dessau und Berlin zeigen ein neues Bild von Kurt Weill
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Um die angemessene Würdigung ihres Schützlings kämpfen die Kurt-Weill-Festspiele Dessau seit nunmehr acht Jahren, zur Feier des 100. Geburts- und 50. Todestages mit wachsendem Erfolg. Die ganze Stadt hatte man in die 33 Veranstaltungen einbezogen, vom Geburtstagsspektakel im Hauptbahnhof über die diversen Dinner-Shows und Dreigroschen-Bälle in Schlössern und historischen Kornspeichern bis zur strengen Bauhauskulisse für neusachlich-nostalgische Song-Revuen. Im Sommer wird die geflutete Halbinsel eines ehemaligen Braunkohlenkombinats Schauplatz eines Meetings der Rock- und Pop-Größen mit je unterschiedlichen Weill-Adaptionen sein – eine Art „Bitterfelder Weg“ für den Dessauer Kantorensohn. Doch über die genussreiche Vermittlung auf den verschiedensten Ebenen hinaus trachtete man auch diesmal nach erhellender Beleuchtung unbekannter Seiten.

Dieser Komponist bringt alles durcheinander. Begriffe wie Avantgarde und Anpassung, populäre oder progressive Kunst verlassen den ihnen zugewiesenen Platz. Verdient einer, der seine Botschaften als kulinarische, leicht verpackte Häppchen unter die Leute bringt, weiterhin das Achselzucken der „seriösen“ Fachwelt? Oder ist vielleicht gerade derjenige Avantgardist, der im Grenzbereich von „U“ und „E“ ein neues Publikum zur Kunst verführt, mit verständlichen Mitteilungen Lust auf Auseinandersetzung macht? Um die angemessene Würdigung ihres Schützlings kämpfen die Kurt-Weill-Festspiele Dessau seit nunmehr acht Jahren, zur Feier des 100. Geburts- und 50. Todestages mit wachsendem Erfolg. Die ganze Stadt hatte man in die 33 Veranstaltungen einbezogen, vom Geburtstagsspektakel im Hauptbahnhof über die diversen Dinner-Shows und Dreigroschen-Bälle in Schlössern und historischen Kornspeichern bis zur strengen Bauhauskulisse für neusachlich-nostalgische Song-Revuen. Im Sommer wird die geflutete Halbinsel eines ehemaligen Braunkohlenkombinats Schauplatz eines Meetings der Rock- und Pop-Größen mit je unterschiedlichen Weill-Adaptionen sein – eine Art „Bitterfelder Weg“ für den Dessauer Kantorensohn. Doch über die genussreiche Vermittlung auf den verschiedensten Ebenen hinaus trachtete man auch diesmal nach erhellender Beleuchtung unbekannter Seiten. Der „ganze“ Weill Der „ganze“ Weill, fälschlicherweise in einen „deutschen“ und einen „amerikanischen“ geteilt, muss durch einen „französischen“ ergänzt werden, die Werke des kurzen Pariser Aufenthalts 1933 vor der Emigration in das gelobte Land USA. Da sind natürlich „Die sieben Todsünden“, wieder einmal nur konzertant aufgeführt mit Publikumsmagnet Milva und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter dem neuen künstlerischen Dessauer Leiter Patrick Ringborg, leider nicht ganz geglückt in einer recht groben, die leisen Nuancen und damit den Unterton der Melancholie verfehlenden Wiedergabe. Der zwiespältige Eindruck hingegen, den die als wichtige Novität angekündigte Operette „Der Kuhhandel“ hervorrief, mag im Werk selbst begründet sein. Schon seine Entstehungsgeschichte ist zwitterhaft: In Paris geriet die Arbeit an der „musikalischen Komödie“ mehrfach ins Stocken, so dass Weill schließlich Teile davon in eine Londoner Version unter dem Titel „A Kingdom for a Cow“ einbrachte. Aus den verschiedenen unvollendeten Fassungen des „Kuhhandel“ filterte Lys Symonette, die Vizepräsidentin der Kurt-Weill-Foundation for Music New York, ein möglichst authentisches Destillat, die der Regisseur Johannes Felsenstein zusätzlich in eine pfiffige „Dessauer Fassung“ brachte: Ein geteiltes Land wird von Waffenhändler Görling in die gegenseitige Aufrüstung getrieben, ein junges Liebespaar durch Kriegssteuer immer wieder seiner Kuh beraubt. Die braucht es aber als Existenzgrundlage eines gemeinsamen Lebens, „make love not war“ muss also die Devise sein, Entmachtung der Oberen aller Länder und kleines Glück für das wiedervereinigte Volk das gute Ende. Aus der Kuhhandel von Kurt Weill / Foto: Claudia Heysel Im anspielungsreichen Bühnenbild von Fridolin M. Kraska hat das Publikum damit seine Wiedersehensfreude; das Ensemble des Anhaltischen Theaters singt und spielt sich achtbar durch die temporeiche Partitur; Weill hat ein paar hinreißende Nummern beigesteuert, wie den fetzig offenbachischen Schluss-Can-Can, Sinnbild einer gelungenen unblutigen Revolution. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack: Was einst auf die Nazis gemünzt war, entfaltet hier doch eher biederen Humor; auch die Musik, auf der vorgefundenen tonalen Operettensprache basierend und ihres Stachels der distanzierten Ironie beraubt, berührt in ihrer Bekanntheit fremd. Hochintelligent gemacht ist sie gewiss, und vielleicht müssen wir sie, als gänzlich ungewohnten Weill, einfach in noch schlüssigerer Aufbereitung „hören lernen“. Interpretation und Rezeption Wie Interpretation der Rezeption auf die Sprünge helfen kann und muss, war in Dessau exemplarisch zu erfahren. Eine Binsenweisheit allerdings, und notwendige, immer wieder zu beherzigende Binsenweisheiten enthielt auch das Symposion zur Weill-Interpretation. Deren „Zehn Gebote“ – unter diesem Titel reflektierte man über „Schaden und Nutzen“ der Werktreue – lassen sich eigentlich zu einem einzigen zusammenfassen: „Du sollst den Notentext heiligen!“ Damit sprachen Teresa Stratas, Sängerin und enge Lenya-Freundin, der Dirigent John Mauceri, und der Musikforscher David Drew dem Präsidenten der über Authentizität wachenden Weill-Foundation aus dem Herzen. Dass Weill wie Mozart sei, den man auch nicht einfach in eine andere Tonart transponiere oder „verjazzt“ hören wolle, war da zu hören, oder dass seine Musik keines besonderen Interpretationsstils bedürfe, schon gar nicht der Unsitte des Sprechgesangs. Doch Fragen der Aktualisierung, die im Weill’schen Sinne den Konzert- und Opernrahmen sprengt, wurden damit nicht gelöst. Wäre es wirklich so schlimm gewesen, die Partie der Mrs. Peachum etwas tiefer zu legen, wie sie Nina Hagen in der „Dreigroschenoper“ in Berlin singen wollte? Oder hätte H.K. Grubers brillante, auf der authentischen Ausgabe der Foundation beruhende Aufführung dadurch vielleicht noch den letzten Kick erhalten? Im Dessauer Preisträgerkonzert des ersten in Deutschland durchgeführten Lotte-Lenya-Wettbewerbs, dessen Jury ebenfalls Teresa Stratas vorsaß, beeindruckten schöne Stimmen und einwandfreie Gesangstechnik, Hoffnungen für modernen Bühnengesang. Wirklich überzeugend aber ist das knorrige Wiener Urgestein H.K. Gruber, der genau versteht, wovon er eigentlich nicht singen kann, wenn er „Shell! Shell! Shell!“ brüllt, die Verhöhnung des Ölkonzerns im Song „Muscheln von Margate“. Eine zersplitternde Welt In Berlin näherte man sich dem Doppeljubilaren unter anderen Aspekten. Elf Instrumentalkonzerte zeigten überwiegend den „seriösen“ Weill, den Busoni-Schüler im noch kontrapunktisch wuchernden, melodisch fragmentarischen 1. Streichquartett und der dramatischen, freitonalen 1. Sinfonie; den Chorkomponisten, der bereits im fast unsingbaren „Recordare“ op. 11 („Lamentationen des Jeremias“) das Thema des seinen Weg suchenden verfolgten Volkes aufgreift; den Flüchtling, der dies zum letzten Mal konzertant mit der 2. Sinfonie in wuchtigen Ausbrüchen und sehr wenigen Song-Erinnerungen ausspricht. Das ist sehr deutsche, die zersplitternde alte Welt als Tschaikowsky- oder Mahler-Klang aufbewahrende Musik. Des „ganzen Weill“ versuchte man jedoch auch in Berlin habhaft zu werden: unter dem Motto „Amerikanismus/Americanism“ entwickelte ein von der Humboldt-Universität veranstaltetes Symposion erste Beschreibungsansätze einer Identität des Komponisten. Dazu holte man in weitem Bogen interdisziplinär aus, skizzierte die weitgehend auf Klischees beruhende Amerikabegeisterung und –ablehnung der Weimarer Republik einerseits, die Suche nach einem eigenen nationalen Tonfall im „Schmelztiegel Amerika“ andererseits. Utopisches Gesellschaftsbild Beides war für Weill, der sich kontinuierlich als Fürsprecher der Unterdrückten sah, utopisches Gesellschaftsbild genug, um sein Amerika-Engagement nicht in Widerspruch zum kritischen deutschen Schaffen zu bringen. Darüber hinausgehende Anpassungstendenzen erklärte Tamara Levitz von der McGill University Montréal mit der Fremdheit der jüdischen Existenz schon in Deutschland, die auch in den USA immer noch wirksam gewesen sei. Stephen Hinton von der Stanford University beanspruchte eine Identität des Werks nicht für den Stil, sondern für die Gattung: Weill sei ein „typus theatralis“ gewesen, der wie Händel den wechselnden Bedürfnissen der Gattung seinen Stil anpasste. Damit sieht Hinton auch ein anderes Künstlerverständnis im Gegensatz zum traditionellen Geniebegriff gegeben, weitaus mehr eine moderne Existenz als Schönberg oder Hindemith. Und folgt man dem Berliner Musikwissenschaftler Hermann Danuser, so korrigiert Weills Musik ohnehin das Vorurteil der Unvereinbarkeit von Schönheit, Verständlichkeit und Modernität. So gesehen ist sein Werk, dessen gesamte Rezeption erst heute beginnt, nicht weniger seiner Zeit um fünfzig Jahre voraus gewesen als dasjenige Arnold Schönbergs.

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