Jeder Musiker will aus seinem Instrument klanglich das Beste herausholen, will vielleicht sogar im Umgang mit ihm Grenzen überschreiten, Spieltechniken und Klänge finden, die nie zuvor jemand anderes verwendet oder entdeckt hat. Letztlich aber ist der Umgang mit dem Instrument reglementiert. Ganz anders bei der Mandoline – vom ersten Unterricht bis zum täglichen Umgang mit dem Instrument, sind die Spieler und Spielerinnen immer wieder auf der Suche nach Neuem: neue Haltungen, neue Spieltechniken, neue Klänge.
Das Wort „exotisch“ ist im Zusammenhang mit der Mandoline nun schon des Öfteren gefallen. Gemeint war hier in erster Linie die sparsame Verbreitung des Instrumentes und der damit verbundene nicht allzu hohe Bekanntheitsgrad. Aber die Mandoline hat noch ganz andere exotische Momente zu bieten. Man denke für einen Moment an die schier unzählbaren grandiosen „Etüden“ und die „Schule der Geläufigkeit“ für Klavier von Carl Czerny, an die „Orgelschule“ von Ernst Kaller oder „Die fröhliche Klarinette“ von Rudolf Mauz – manche junge aufstrebende Instrumentalisten hatten mit diesen Lehrwerken ihre Freude, aber auch manche Stunde des Grauens. Immerhin – und das mag gut der schlecht sein – es gab für diese Instrumente so etwas wie einen ausgeklügelten und „klassischen“ Lehrplan.
Spricht man mit arrivierten Mandolinisten und Mandolinistinnen, so beschleicht einen gelegentlich das Gefühl, der Unterricht (und auch das Ergebnis des Unterrichtes) für dieses Instrument ist ein großes Forschungs- und Experimentierfeld. Das betrifft beziehungsweise betraf – wie bei vielen anderen Instrumenten auch – die pädagogischen Fähigkeiten der Instrumentallehrer. Das Fach Pädagogik war im Instrumentalunterricht bis teilweise in das 21. Jahrhundert hinein ein leider oft sogar unbekanntes Stiefkind – schon in der Ausbildung der Lehrer selbst. Daher kann man den Lehrern zumeist keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht immer den besten Weg gefunden haben, musikalische Inhalte zu vermitteln. Die besten Lehrer waren oftmals diejenigen, die die Schüler dann an andere Lehrer ab- beziehungsweise weitergegeben haben. Die experimentellen Dimensionen der Mandolinisten reichen aber weit über diese pädagogischen Themen hinaus. Zwei Mandolinisten, Denise Wambsganß und Alon Sariel, stehen für ein Instrument, aber auch für zwei sehr unterschiedliche Zugänge zu und Umgänge mit diesem.
Zwei Karrieren
Denise Wambsganß kannte aus ihrem Pfälzer Heimatort Essingen eines der vielen Zupforchester, die sich in Deutschland hauptsächlich aus der Wandervogelbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts noch als gute Relikte erhalten haben. Wenn sie bei den Proben und Konzerten zuhören durfte, weil ihre Mutter Gitarre im Orchester spielte, war sie ganz von den Mandolinen angetan. Aber so schnell kam sie an das Instrument nicht ran. „Du bist noch zu klein“, sagte die Mutter, machte aber gleichzeitig auch Mut: „Wenn Du acht Jahre alt bist, dann schauen wir mal“.
Als Denise dann soweit war, stieg die Mutter gleichzeitig von der Gitarre auf die Mandola um, letztlich eine Tenor-Mandoline in gleicher Stimmung wie die kleine Schwester nur eine Oktave tiefer und auch mit der gleichen Stimmung der Saiten. Ihren ersten Mandolinen-Unterricht erhielten Mutter und Tochter in einer altersmäßig gemischten Gruppe von etwa zehn Schülern im Verein, der natürlich ein großes Interesse daran hatte, Nachwuchs für das Orchester heranzuziehen. Pädagogische Erfahrung war im Verein nicht wirklich vorhanden, aber viel guter Wille.
Als Denise mit neun Jahren zum ersten Mal an einem Mandolinenkurs des Bundes Deutscher Zupfmusiker mit professionellen Mandolinenlehrern teilnahm, war ihre wichtigste Erkenntnis: „Die Mandoline klingt hier ja ganz anders als bei uns im Verein“. Gleichzeitig erkannte man während des Kurses das Talent von Denise und wollte sie fördern. Ihrem Orchester ist sie treu geblieben, Unterricht hat sie fortan aber einmal im Monat bei einer Mandolinenstudentin aus Wuppertal genommen. Parallel dazu hat sie angefangen Geige zu spielen. Dadurch, dass die Saiten von Violine und Mandoline gleich gestimmt sind, war dieses durchaus eine Hilfe, konnte man vieles doch direkt von einem Instrument auf das andere übertragen. 1993 erreichte Denise beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ in der Wertung „Mandoline solo“ den 1. Platz auf Bundesebene.
Nach diesem Wettbewerberfolg wurde sie Schülerin von Detlef Tewes, der sich als einer der führenden Mandolinenvirtuosen etabliert hatte und der regelmäßig mit den bedeutendsten Dirigenten und Orchestern weltweit konzertierte. Bei ihm lernte sie unter anderem den Umgang mit Orchestern und die Neue Musik kennen. Das hat sie geprägt und bot ihr manche Möglichkeiten, sich in der Mandolinen-Szene und der Szene für Neue Musik gut zu vernetzen. Ganz wesentlich aber ist für sie die Erkenntnis, dass die Mandoline ein Instrument ist, das noch lange nicht in ihrem ganzen Klangreichtum erkannt und genutzt wird. Da, wo bei anderen Instrumenten quasi dogmatisiert viele Dinge unumstößlich klar und festgelegt sind, experimentiert sie immer und immer wieder. Kleinste Veränderungen – die Beinhaltung, welches Bein nimmt man nach oben, wie ist der Winkel des Instrumentes zum Körper, welches Plektrum verwende ich und wie halte ich es – führen zu neuen und oft noch nicht zuvor entdeckten Klängen.
1998 schloß sie ihr Studium als Diplom-Musiklehrerin und -Musikpädagogin ab. Heute unterrichtet sie viel und hat seit über 20 Jahren auch die Leitung „ihres“ alten Zupforchesters in Essingen übernommen. Die Aktion „Instrument des Jahres“ hat bisher nach ihrer Meinung noch nicht viel gebracht. Die Rekrutierung von Schülern muß sie immer noch mit viel Engagement und Veranstaltungen in Schulen selbst machen – aber das macht sie gern. Allerdings merkt sie, dass sich die Presse immer wieder an sie wendet und etwas über das „Instrument des Jahres“ erfahren will. Das ist eine neue und gute Erfahrung für sie – und sie hofft, dass diese im Laufe des Jahres noch Früchte trägt. Denn wenn die Kinder das Instrument erst einmal gehört haben und in der Hand gehalten, dann ist die Liebe schnell entfacht. Mit ihrem sanften Ton und ihrer der Kinderstimme ähnlichen Tonlage ist die Mandoline ein gut geeignetes Instrument für die Heranwachsenden.
Neben diesen Hauptbeschäftigungen spielt Wambsganß immer wieder das eher klassische Programm in Symphonieorchester die Mandolinenparts oder auch auch in Mandolinenkonzerten den Solopart. Das macht ihr Spaß. Ein Faible hat sie für Neue Musik und ist auch hier immer wieder als Gast bei entsprechenden Ensembles zu finden. Derzeit sucht sie nach einem neuen Duopartner, der sie auf der Gitarre begleiten mag.
Alon Sariel stammt, wie auch Avi Avital, der Schirmherr der Aktion „Instrument des Jahres 2023“, aus einer Hochburg des Mandolinenbaus und des Mandolinenspiels, aus Be’er Scheva in Israel. Eigentlich wollte er als kleines Kind E-Gitarre spielen. Auch ihn traf das Argument: „Du bist zu klein“. Auch er wurde zunächst einmal auf ein anderes Instrument umgeleitet und vertröstet, immerhin, seien Mandoline und E-Gitarre, so sein Musiklehrer, „im Grunde fast das Gleiche“. Alon gefiel das Instrument und er hatte das Glück, dass es am Konservatorium in Be’er Scheva ein paar gute Lehrer gab. Ein paar Mal in der Woche gab es dort nachmittags für ihn Musikunterricht. Heute gesteht er, dass er auch manchmal, wenn ihm die normale Schule zu langweilig war, in das Konservatorium auf der anderen Straßenseite hinüberging und der Sinfonietta, dem Israelischen Staatsorchester, beim Proben zuhörte.
Seine Begabung wurde früh erkannt und so bekam er die Möglichkeit, während der für alle Israelis obligatorischen Armeezeit an der „Academy of Music & Dance“ in Jerusalem zu studieren. Allerdings gab es dort keine Mandolinenklasse, weshalb er zu den Geigenstudierenden in die Klasse gesteckt wurde. Die immer wieder hervorgehobene Ähnlichkeit von Geige und Mandoline – insbesondere, was den Gebrauch der linken Hand anbelangt – war der Grund für diese unorthodoxe Lösung. Vieles mußte er sich auf dem Wege eines „learning by doing“ aneignen. Hier aber wurden ganz sicher die Grundlagen dafür gelegt, dass Alon sich immer wieder Literatur für Streichinstrumente vorgenommen hat und diese gespielt hat. Seine beiden CDs „Telemandolin“ und „Plucked Bach“ sind einzigartige Zeugnisse dafür, dass es sich bei diesen Stücken nicht einfach nur um Bearbeitungen oder Adaptionen für die Mandoline handelt, sondern hier auf besondere Weise eine neue Klanggestalt erstehen.
Für Alon hatte aber an der Akademie auch die Weite der Möglichkeiten einen besonderen Reiz, die Möglichkeit westliche und (!) orientalische Musik studieren zu können, balkanische und arabische Musik. Auch hatten seine Professoren großes Interesse an älterer Musk und an historischer Aufführungspraxis. „Wir haben einfach Musik gemacht. Das Instrument war kein Thema“, beschreibt Alon seinen Umgang mit Musik verschiedener Instrumente, die er auf der Mandoline interpretiert. Lächelnd ergänzt er: „Wenn du eine Künstlerpersönlichkeit bist, hängt das nicht am Instrument. Musik kann man auch auf einem Triangel machen“.
Als er im Studium nach Italien ging, galt er ein wenig als „komischer Vogel“, die in Israel gebräuchliche Mandoline unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den europäischen oder hier auch speziell den italienischen Modellen. Beworben hatte er sich mit einer Aufnahme von Bachs d-Moll-Chaconne, gespielt – natürlich! – auf der Mandoline. Für die Interpretation und den Klang auf der Mandoline ist, so beschriebt er seine Musik – „die Spannung von der Geige da, aber das Zupfen ist fragiler“. In seiner Studienzeit in Italien hat er sich insbesondere der Laute, die ja historisch gesehen zum einen Vorläufer der Mandoline ist, beschäftigt. Andererseits gehört sie ja als Sopraninstrument auch durchaus in das Lautenensemble.
Heute spielt Alon beides. Die Mandoline ist immer noch sein Hauptinstrument, das er fast ausschließlich in solistischen Zusammenhängen, quasi als Melodieinstrument, spielt. Die Laute ist für ihn eher ein Ensembleinstrument. Heute, so sagt er, hat er „beide Hüte“ auf. Er spielt Mandoline und Laute, aber auch andere Zupfinstrumente. Er spielt folkloristische Musik und die große klassische Konzertmusik. Auch er hat großes Interesse an Neuer Musik – der britisch-französisch-israelische Komponist Nimrod Borenstein hat ihm gerade ein Konzert für Mandoline und Orchester geschrieben, das er Ende des Jahres mit der „Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach“ uraufführen will.
Schüler hat er nicht – dazu ist er viel zu viel in der Weltgeschichte unterwegs. Gelegentlich gibt er Workshops und Meisterklassen. Vielleicht eines Tages – wenn er älter und ein wenig seßhafter geworden ist. Lernen könnte die nächste Musikergeneration von ihm sicher manches!
Weitere Informationen:
- Bund Deutscher Zupfmusiker e. V.: www.zupfmusiker.de
- www.denise-wambsganß.de
- www.alon-sariel.com
CD-Tipps:
- „aus südlichen Gärten“ mit Denise Wambsganß, begleitet von Gerrit Zitterbart auf der Gitarre (bestellbar über: http://www.denise-wambsganss.de)
- „Plucked Bach“. Alon Sariel spielt Johann Sebastian Bachs Cello-Suiten auf sechs verschiedenen Zupfinstrumenten, dazu eine eigene von von Bach inspirierte Partita. (Pentatone PTC 5186985)
Termine:
- 26.05.2023, 19 Uhr – Vortrag: Der Sound der Arbeiterbewegung – Die Mandoline als Instrument der Befreiung und Verständigung.
Galerie des August-Bebel-Instituts, Berlin, Müllerstraße 163
Der Eintritt ist frei, aber eine Anmeldung unter https://august-bebel-institut.de/ ist erforderlich. - 28.06.2023, 16 Uhr – „Madrigale von Krieg und Liebe“ mit Aron Sariel
Münster, Theater, Großes Haus - 29.05.2023, 5 Uhr – Sunrise / Bach gezupft mit Alon Sariel
Wellenreiter, Seeburg / Wollbrandshäuser Straße 6, Seeburg (Karten über: https://www.haendel-festspiele.de) - 08.06.2023, 15 Uhr – Konzert Projektorchester Mandoline 2023 (Ltg.: D. Wambsganß)
Rathaus in Pfungstadt (Auftritt auf der Festmeile des Hessentages) - 10.06.2023, 20 Uhr – Konzert Projektorchester Mandoline 2023 (Ltg.: D. Wambsganß)
Reiss-Engelhorn-Museum (Florian-Waldeck-Saal), Mannheim - 11.06.2023, 11 Uhr – Konzert Projektorchester Mandoline 2023 (Ltg.: D. Wambsganß)
Burg Wachenburg, Weinheim - 18.06.2023, 11 Uhr – Konzert Projektorchester Mandoline 2023 (Ltg.: D. Wambsganß)
Festhalle, Wörth am Rhein - 20.06.2023, 19:30 Uhr – „Madrigale von Krieg und Liebe“ mit Aron Sariel
Münster, Theater, Großes Haus - 22.06.2023, 9 Uhr – „Ein Hut, ein Stock, vier Hundebein’„. Vom „Alten Fritz“ und seinen besten Freunden. Ein tierischer Parkspaziergang für Schüler der Klassen 3 bis 6
Potsdam, Park Sanssouci & Friedenssaal (Karten über: https://www.musikfestspiele-potsdam.de)