Mit einem Augenzwinkern könnte man die „besondere“ Aufgabe der Tuba in den Evangelischen Posaunenchören versuchen zu beschreiben. Denn natürlich geht es bei kirchlichen Musikanten immer um die Dopplung, Gott und die Menschen erreichen zu wollen. Für die Menschen gibt es Trompeten und Posaunen, die ihren Ton gewissermaßen parallel zur Erdoberfläche in Richtung der Ohren blasen. Die Tuba – weit aufragend im Hintergrund – hat ihren Schalltrichter nach oben, „himmelwärts“, ausgerichtet und sorgt damit für die Beschallung der himmlischen Gefilde.
Das Musikinstrument des Jahres 2024: Tuba – Teil 5: Himmelwärts
Von wo man sich der Tuba auch immer nähern mag, viel Neues scheint sie nicht zu bieten zu haben. Sie ist und bleibt das Instrument im Untergrund: tief und tragend. Ihre wirkliche musikalische Bedeutung würde man wahrscheinlich am besten wahrnehmen, wenn sie nicht mehr mitspielen würde, nicht mehr da wäre. Das wäre wohl ein ziemlich leerer Klang ohne jegliche Bodenhaftung. Durch den Wunsch nach Tragkraft und Fülle in der Militärmusik ist die Tuba als Instrument erst zum Leben erweckt worden und hat dann ihren Siegeszug ins Orchester und auch als Solo-Instrument angetreten.
Als die ersten Evangelischen Posaunenchöre gegründet wurden, gab es die Tuba schon, war das mehrstimmige Blechblasinstrumentarium – trotz aller späterer Verfeinerungen – bereits vollständig ausgebaut und vorhanden. Ihre kulturelle Bedeutung zeigt sich heute unter anderem darin, dass die Posaunenchöre 2016 in Deutschland in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden sind, nur zwei Jahre nach der Orgel und ein Jahr nach dem Choralsingen. Mit beiden sind die Posaunenchöre eng verbunden, wurden sie einerseits in vielen Gemeinden anfangs als „mobile Orgel“ oder auch „Open-Air-Orgel“ verstanden und eingesetzt, war andererseits die Begleitung des Gemeindechorals ihre vornehmste Aufgabe.
Schon aus dem frühen 16. Jahrhundert sind Posaunenensembles überliefert – hauptsächlich in Bildquellen. Michael Praetorius erwähnt einen „Posaunen Chor“ in seinem Syntagma musicum von 1618 – allerdings eine Zusammensetzung mit Singstimmern, Fagotten, Zinken, Streichern und Blockflöten. Das ist sehr weit von den modernen Posaunenchören entfernt! In der Renaissance und noch im Barock waren Trompeten und Posaunen getrennten Instrumentengruppen zugeordnet. Den Posaunen wurde dabei oft die Flöte oder der Zink hinzugefügt, den Trompeten die Pauke. Das chorische Posaunenspiel wurde bis etwa 1750 fast ausschließlich von Stadtpfeifern gepflegt.
Herrnhuter Brüdergemeine
Die Ursprünge der Evangelischen Posaunenchorarbeit – katholische Posaunenchöre sind äußerst selten! – liegen in der Herrnhuter Brüdergemeine in der Oberlausitz, auch wenn sie noch keine wirkliche Strahlkraft in die Umgebung besaß und keine nennenswerten weiteren Chorgründungen verzeichnete. In den Herrnhuter Gemeinden hat sich diese Posaunentradition allerdings bis heute erhalten. So spielen sie sehr regelmäßig in den Gottesdiensten und den Singstunden. Ein ihrer besonderen Aufgaben ist das Wecken der Gemeinde am Ostermorgen. Noch heute führt die Herrnhuter Brüdergemeine alle zwei Jahre einen Internationalen Bläsertag durch.
Über die wirklichen Ursprünge unserer heutigen Posaunenchorbewegung liest man in „Posaunenfragen beantwortet von P. Johannes Kuhlo-Bethel“ im IV. Kapitel „Von der Geschichte und dem Segen der Posaunenchöre“: „Das Posaunenblasen hat so recht seine Heimat im Ravensberger Lande. Es sind zu gleicher Zeit zwei Posaunenväter gewesen, die mit dem Worte Gottes auf den Missionsfesten auch das Posaunenblasen in fast allen Gemeinden des Ravensberger Landes zu Ehren gebracht haben: der alte Pastor Volkening aus Jöllenbeck und Pastor Eduard Kuhlo aus Gohfeld. Ersterer erhob seine Stimme für Christum, seinen Herren, mit so heller Posaune, daß – wie die durch ihn erweckten Jünglinge seiner Gemeinde sagten – die ehernen Posaunen nicht ausbleiben durften.“
Es war missionarischer Eifer, der den Beginn des Evangelischen Posaunentums markiert. Pastor Eduard Kuhlo war Anhänger der neupietistischen Erweckungsbewegung und gründete Jünglings- und Jungfrauenvereine, eine soziale Arbeit, die jungen Menschen von der Straße holen sollte, ihnen einen Sinn im Leben geben und sie auf den rechten Pfad führen sollte. Religion und Musik waren hier wichtige Erziehungs(hilfs)mittel. Daneben galt ein klares und hartes Regelwerk: kein Alkohol, keine Zigaretten, sittsames und keusches Verhalten und natürlich ein Musikinstrument erlernen.
Der Posaunengeneral
Eduards Sohn Johannes konnte auf dieser Arbeit seines Vaters aufbauen. Auch er schlug die geistliche Laufbahn ein. Nach Studien in Halle, Leipzig und Erlangen machte er in Münster sein Examen und erhielt nach kurzer Arbeit im Rauhen Haus in Hamburg seine erste Pfarrstelle in Hüllhorst im Ravensberger Land. Bald darauf übernahm er in Bethel das Pfarramt der von Bodelschwinghschen Anstalten. Kurz zuvor hatte ihm sein Vater das Amt des „Gau-Präses“ der Posaunenbewegung übergeben, denn Johannes‘ – auch theologische – Arbeit war immer von Musik durchsetzt und bestimmt. In Bethel bildete er als Vorsteher der Diakonenanstalt Nazareth Diakone unter anderem im Posaunenblasen aus und erreichte so bald eine große Verbreitung des Posaunentums in den Gemeinden.
Johannes Kuhlo war ein durch und durch eigenständiger und in seiner Arbeit zielgerichteter Typ. Er war geprägt von einer naiven Frömmigkeit und wirkte durch sein asketisches Leben – unter anderem sein ständiges Barfußgehen – verschroben und komisch. Man muss ihm zugestehen, dass er theologisch absolut auf der Welle der Zeit mitschwamm. Musikalisch hatte er seine eigenen Vorstellungen. So bevorzugte er bei den Blechbläsern einen eher vokalen und der menschlichen Stimme ähnlichen Klang, den er in den weitmensurierten Bügelhörnern (Horn, Tuba) verortete. Diese klangliche Vorstellung trieb ihn auch – gemeinsam mit dem Bielefelder Instrumentenbauer Ernst David – zur Entwicklung des nach ihm benannten Kuhlo-Horns.
Schon früh hatte er sich durch seine flächendeckende musikalische Arbeit und vor allem Fortbildungsarbeit einen Namen gemacht, den er selbst weniger mochte: der Posaunengeneral. Er selbst bezeichnete sich lieber als „Mitarbeiter am Psalm 150“, diesem großartigen letzten und alles zusammenfassenden Psalm des Psalters: „Lobet den Herrn in seinem Heiligtum; lobet ihn in der Feste seiner Macht! Lobet ihn in seinen Taten; lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit! Lobet ihn mit Posaunen; lobet ihn mit mit Psalter und Harfe. Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Harfen. Lobet ihn mit hellen Zimbeln.“ Hier fühlte sich der Blechbläser Kuhlo persönlich angesprochen.
„Vogelwilder“ Haufen
Noch vor etwa 50 Jahren (und zum sehr kleinen Teil auch heute noch) war die Ankündigung, dass der Posaunenchor der Gemeinde im Gottesdienst mitwirken würde, nicht immer eine genussversprechende Aussicht. Zwar war man stolz auf seine Bläser und ihr Engagement, aber nicht immer klang das Dargebotene wirklich schön. Für eine qualitativ hochwertige Posaunenmusik war die Ausbildung der Musiker auf dem platten Land oft noch nicht ausreichend differenziert und hochwertig. Auch huldigte man dem Gedanken „f oder fis – das ist doch egal, wir spielen zur Ehre Gottes“. Johannes Kuhlo soll einmal gesagt haben, dass man nicht zu früh öffentlich spielen solle – frühestens nach zwei Wochen.
Ähnlich wie bei der Mandoline, dem Instrument des vergangenen Jahres, und ihren Orchestern ist die Qualität der etwa 90.000 Bläser in den ca. 5300 deutschen Posaunenchören in den letzten Jahrzehnten erheblich gestiegen. Bei den Posaunenchören haben wir es immerhin mit einer der größten deutschen Laienmusikbewegungen zu tun. Es gibt mittlerweile bundesweit in den Landeskirchen, Dekanaten und Propsteien hauptamtliche Musiker, die sich um das Fortbestehen der Posaunenchöre und deren Qualität kümmern. Regionalen und überregionalen Auswahlchöre bieten oft einen Anreiz, sich durch Üben für die Teilnahme in diesen Ensembles zu qualifizieren. Früher hatten die einen Laien den anderen Laien weitergegeben, was sie oft gerade erst gelernt hatten.
Was aber ist die große Stärke dieser Chöre? Warum werden sie noch lange bestehen – möglicherweise länger als die evangelische Kirche selbst? Matthias Fitting, Landesposaunenwart der evangelischen Kirche der Pfalz, kann das herausragende Moment der Posaunenchöre benennen: „Wir sind die einzige kirchliche Gruppe, die konsequent generationsübergreifend und integrativ arbeitet. Da sitzt bei den Jungbläsern [Anm: das sind diejenigen, die gerade angefangen haben, ein Blasinstrument zu erlernen] ein 7-jähriges Mädchen neben einem 71-jährigen alten Herren am gleichen Pult und beide ‚quälen‘ sich gemeinsam – vielleicht mit einer unterschiedlichen Lebenserfahrung – mit denselben instrumentalen Anforderungen und Aufgaben.“ Mitbringen muß man nichts, außer der Lust, ein Instrument zu erlernen. Die ersten Instrumente werden zumeist von den Chören gestellt.
Die Menschen kommen aus allen „gesellschaftlichen Milieus“, weiß Möwes und manchmal – so Fitting – sind da ganz schön „schräge Vögel“ dabei. Das macht die menschliche Qualität der Arbeit aus, die natürlich noch immer auch klar auf dem Boden evangelischer Gemeindearbeit steht. Evangelisch muss man nicht sein, um mitspielen zu dürfen, auch nicht unbedingt Christ. „Wir arbeiten absolut konfessionsübergreifend, unsere größte Stärke ist unsere Toleranz“, sagt Fitting. Möwes nennt diese Gesamtkonstellation, die viele der Bläser als „ihre Familie“ bezeichnen, liebevoll einen „vogelwilden“ Haufen.
Klänge:
- Ein vielfältiges und abwechslungsreiches Repertoire an Posaunenchormusik kann man direkt auf der Seite des Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland (EPIN) hören.
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