Nach einem Jahr Denkpause feierten die Antikenfestspiele in Trier einen Neustart. Vorausgegangen war die Entscheidung für ein künstlerisch hochwertiges Konzept. Mit Arrigo Boitos selten gespielter Oper „Nerone“ lag man auch mutig auf dieser Linie – zumindest in der Werk-Auswahl.
Stimmungsmäßig und inhaltlich passt der „Nerone“ ausgezeichnet in die Ruine des römischen Amphitheaters. Der vierte Akt spielt tatsächlich in der Arena – worauf Bühnenbildnerin Nanette Zimmermann verweist, wenn sie am westlichen Hang die Buchstaben des Wortes „Coloseo“ aufleuchten lässt. Doch es ist die Musik, die in diesem Fall die besten Argumente für die Wiederentdeckung liefert. Boitos eigenwillige, auf Wagner und dem späten Verdi fußende, zwischen Nüchternheit und Rausch hin- und herpendelnde Musiksprache entfaltet trotz der klanglich etwas unbefriedigenden Lautsprecher-Anlage klanglich, atmosphärisch und dramaturgisch eine beachtliche Faszination.
Das von GMD Victor Puhl geleitete Philharmonische Orchester der Stadt Trier und der von Angela Händel einstudierte Festspielchor überzeugen rundum. Die solistischen Leistungen sind zumindest solide. Am überzeugendsten in der sängerischen Ausstrahlung wirken Bruno Balmelli in der Rolle des christlichen Apostels Fanuèl, Eva Maria Günschmann als Vestalin Rubria und Peter Koppelmann als Gobrias.
Regisseurin Andrea Schwalbach und Bühnenbildnerin Nanette Zimmermann, die andernorts schon wesentlich triftigere Arbeiten vorgelegt haben, gelingt es nicht, dem eine adäquate Inszenierung gegenüberzustellen. Sie verlegen den Großteil der Handlung auf eine (teilweise schlecht einsehbare) runde Plattform am unteren Westhang der Amphitheater-Ruine, während der Hang selbst vor allem pittoresken Zwecken dient. Nicht einmal im Ansatz sind die unterschiedlichen Szenarien der ersten drei Akte zu erkennen.
Die ungeschickte Personenführung verunklart Handlungsablauf und dramatische Entwicklung. Mit der Begründung. letztlich seien ja alle Römer, machen Schwalbach und Zimmermann beim Chor keinen Unterschied zwischen den Christen und ihren Verfolgern, obwohl gerade hier eine wesentliche Konfliktlinie liegt. Der unberechenbare Potentat Nero wird auf seine kindisch-sprunghafte Seite reduziert, von charismatischer politischer oder viriler Ausstrahlung ist hingegen nichts zu spüren. Entsprechend schwer tut sich der tapfer singende Gianluca Zampieri mit seiner Rolle.
„Jetzt habe ich gar nichts mehr verstanden“, lautete am Ende ein Zuschauer-Kommentar. Selbst mit Programmheft und deutschem Libretto ließ sich das Bühnengeschehen nur schwer dechiffrieren. Einige Damen in weißen Tüchern, eine Handvoll munterer Pierrots, ein Engel und eine Bischofsgestalt, unter der sich ein Skelett verbirgt, bevölkern zusätzlich an verschiedensten Stellen Hang und Bühne, ohne dabei tiefere Bedeutungsschichten zu erschließen. Letztlich reduziert sich der szenische Anspruch der Inszenierung aufs dekorative Arrangement. „Es wird viel gesungen, aber wenig gesagt“, war eine Publikumsäußerung nach der Pause.
Was hätte dieser „Nerone“ alles sein können? Ein faszinierendes Sittenbild aus dem alten Rom, eine Expedition in die Vorstellungswelt der Décadence, eine psychologische Studie über die pathologischen Seiten der Macht oder des Geschlechterverhältnisses, ein politisches Lehrstück in Sachen Manipulation und Manipulierbarkeit, eine packende Erzählung über Gut und Böse. Alle Ansätze in einer dieser Richtungen versickern in szenischer Beliebigkeit. Und so bedeutet „Antike“ hier weder sinnliche Erfahrung noch geistige Herausforderung. Dass beides zusammengeht, bewies – der Resonanz nach zu urteilen - ein theaterpadägogisches Projekt am Rande: Olivier Kemeids Version der „Äneis“ in den Viehmarktthermen.